Jedes Mal, wenn ich am Schabbat zur Synagoge gehe, komme ich an einem Friseurgeschäft vorbei. Und jedes Mal werfe ich nur ein, zwei Sekunden einen Blick hinein. Der Laden ist sehr klein, man sieht nur einen Stuhl darin stehen. Und stets räkelt sich eine Blondine darauf. Sie wartet auf den Meister. Ich schaue nun schon seit Jahren in den Laden hinein. Aber bis jetzt habe ich noch nie gesehen, dass eine Haarlocke auf den Boden fiel. Egal zu welcher Uhrzeit ich an dem Laden vorbeilaufe, stets trinken die Damen Espresso mit dem Friseur. Der sieht natürlich auch nicht schlecht aus. Er hat einen langen, schwarzen Pferdeschwanz. Ob ich neidisch bin? Warum? Ich bin doch verheiratet mit der schönsten Frau auf der Welt. Trotzdem frage ich mich, manchmal auch während des ganzen Gottesdienstes, wie der Rossschwanz das nur schafft.
Die Frauen sehen sehr entspannt aus, und häufig lachen sie mit dem Friseur. Wahrscheinlich kann er auch gut Witze erzählen. Ich nicht besonders. Ich kenne zwei gute jüdische Witze. Die meisten Leute, die mich ein bisschen kennen, haben sie sicher schon drei Mal gehört. Ich kann auch nicht gut Kaffee kochen, eigentlich überhaupt nicht. Also nur rein theoretisch (denn ich bin ja verheiratet): Ich gäbe einen schlechten Friseur her. Außerdem habe ich keinen Pferdeschwanz, nur eine Halbglatze, beziehungsweise Dreiviertelglatze.
Pummelchen Nicht selten bin ich am Schabbat-Morgen ein bisschen deprimiert. Gewiss, ich bin glücklich verheiratet. Aber da ticke ich wohl ähnlich wie eine Frau: Ich liebe Komplimente. Die sind in letzter Zeit selten geworden. Meine Frau nennt mich Pummelchen. In der Synagoge geht es mir erst dann besser, wenn ich ein bisschen rumgucke. Die (theoretische) Konkurrenz in meiner Synagoge ist zum Glück klein. Das tut gut. Die meisten Männer sind noch dicker als ich oder haben noch weniger Haare. Ich darf nur nicht nach hinten schauen. Dort beten nämlich drei Männer, gegen die ich (theoretisch) keine Chance hätte. Auch links und rechts von mir gibt’s bessere Kandidaten.
Manchmal haue ich mir an den Kopf und versuche, diese kindischen Gedanken zu vertreiben. Ich bin doch nicht mehr in der Schule! Ich vertiefe mich dann in die Heiligen Bücher. Mein Lieblingsheiligbuch ist sehr alt und hat auf jeder zweiten Seite einen Kupferstich. Da sehe ich häufig den Moses oder den Abraham. Auf den Bildern sehen sie aus wie die Brüder von Arnold Schwarzenegger. Sie haben mächtige Muskelberge an den Armen und Beinen. Selbst der Jüngling Benjamin sieht aus wie ein Amateurboxer. Traurig schließe ich das Buch. Es liegt schön auf meinem dicken Bauch. Ach! Nach Schabbat will ich wieder mehr Sport machen. Und jetzt noch schnell zum Kiddusch.