Wie israelische Medien berichteten, hat der ehemalige sefardische Oberrabbiner von Israel, Raw Owadja Josef, unlängst für Furore gesorgt, als er das Tragen von Perücken anstelle eines Kopftuches scharf kritisierte. Zur Illustration seiner Ansicht erzählte er die Geschichte eines Mannes, der gemeinsam mit seiner Frau zu Rabbi Jisrael Abuchazera, auch bekannt als Baba Sali, ging, um diesen um einen Segen zu bitten. Abuchazera fragte den Mann, warum seine Frau eine Perücke trage, und dieser antwortete, so sei es bei ihnen Brauch. Daraufhin habe der Baba Sali sich an die Frau gewandt und gesagt, sie solle wissen, dass sie bei ihrer Ankunft in der kommenden Welt verbrannt werden würde, angefangen mit ihrer Perücke.
entblösst Ausgangspunkt für eine solche provokante Aussage ist die unterschiedliche Meinung über die Beschaffenheit der Kopfbedeckung für die jüdische verheiratete Frau. Dabei drängen sich einige Fragen auf. Zunächst die, woher die Tradition einer Kopfbedeckung für Frauen überhaupt stammt. Im 4. Buch Moses (5, 18) ist der Satz zu lesen: »Und [der Priester] soll die Frau vor den Ewigen stellen und ihr Haupt entblößen«. An sich lässt sich an dieser Stelle noch nichts Außergewöhnliches feststellen, außer dass ein Priester einer Frau eine Kopfbedeckung abnehmen soll.
Wenn wir in der Überlieferung einen Schritt weiter gehen, bis etwa in das 2. Jahrhundert, finden wir eine Mischna im Traktat Ketuvot (7,6), wo wir eine Auflistung der Gründe finden, wann eine Frau von ihrem Mann geschieden werden kann, ohne dass dieser ihr den Geldwert der Ketuba, des Ehevertrages, auszahlen muss. Nämlich jene Frau, die »Dat Mosche«, also die Gesetze aus der Tora, übertritt und die »Dat Jehudit«, also die Art und Weise wie sich die Töchter Israels verhalten sollen, nicht beachtet.
Zu diesen Verhaltensweisen zählt »mit unbedecktem Kopf hinauszugehen, auf dem Markt zu spinnen oder mit jedem Mann zu sprechen«. Im 4. Jahrhundert ergänzt der babylonische Talmud, dass es nicht ausreiche, wenn eine (verheiratete) Frau einen Korb auf dem Kopf trage. Er vertritt die Meinung, dass das Gebot der Kopfbedeckung aus der Tora zu entnehmen sei und gibt als Beweis eben jenen Vers aus dem 4. Buch Moses, Bemidbar, an.
Elf Jahrhunderte später ist diese Diskussion noch nicht abgeschlossen. Im Schulchan Aruch, dem Gesetzeskodex des Sefarden Josef Karo (Spanien/Israel, 1488–1575), wo von Kopfbedeckungen die Rede ist (Orach Chajim 75,2), merkt der aschkenasische Kommentator Mosche Isserles (Krakau, 1525–1572) an, dass die Frauen eine Perücke tragen können. Dieser Meinung haben sich im Lauf der Jahrhunderte mehrere große Rabbiner angeschlossen, unter ihnen der Chafez Chajim (Polen, 1838–1933), Moshe Feinstein (Minsk/New York, 1895–1986) und Menachem Mendel Schneerson (Ukraine/New York, 1902–1994).
Angebot Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Im Internet sind »hundertprozentig koschere Perücken« käuflich zu erwerben. Die Preise liegen bei 1.220 Dollar für ein Modell mit dem verführerischen Namen »Mystique«. Wer es pflegeleicht mag, kann sich für das Modell »Carefree« entscheiden, und wer in der Synagoge für Aufsehen sorgen möchte, trägt das Modell »Fireworks« für »nur« 3.320 Dollar. Natürlich ist auch etwas für den studentischen Geldbeutel dabei, das Modell »Eden« ist mit 199,95 Dollar ein wahres Schnäppchen.
2005 erschütterte eine, zugegeben nicht gerade neue, Nachricht die orthodoxe Welt. Die Haare, aus denen viele der Perücken hergestellt werden, stammen aus Indien und werden den Frauen dort anscheinend in einer religiösen hinduistischen Zeremonie abgeschnitten. Dies würde diese Haare zu einem Produkt von »Avoda Sara«, von Götzendienst (wörtl.: fremdem Dienst), machen; Produkte solcher Art sind uns jedoch zur Nutznießung verboten. Dies führte zu einer großen Perückenverbrennung in vielen ultraorthodoxen Kreisen. Die Meinungen darüber, ob diese Haare wirklich verboten seien, gehen jedoch auseinander.
Gegner Es gibt jedoch auch Rabbiner, die sich vehement gegen den Gebrauch von Perücken anstelle eines Kopftuchs einsetzen, wie der eingangs erwähnte Artikel zeigt. Ovadja Josef ist einer von ihnen. Sie vertreten die Ansicht, dass eine Perücke aus Echthaar nicht dazu geeignet ist, das »Gebot« der Kopfbedeckung zu erfüllen, da einige dieser Perücken schöner sind als das eigene Haar, und eine Frau dadurch eventuell umso attraktiver wirken kann.
Dies führt uns zu einer weiteren Frage, die sich stellt, nämlich die nach dem Sinn dieser Kopfbedeckung. Die meisten Kommentatoren geben »Zniut« als Grund an, was mit Demut, Bescheidenheit, Sittsamkeit, Keuschheit übersetzt werden kann. Zu diesem Konzept von Zniut gehören bescheidenes Verhalten und angemessene Kleidung und Sprache. Zur angemessenen Kleidung der Frau gehören unter anderem ein Rock, der mindestens die Knie verdeckt, Ärmel, die mindestens die Ellenbogen verdecken, und bei verheirateten Frauen eine Kopfbedeckung. Der Grund hierfür ist eindeutig, sexueller Erregung aufseiten der Männer vorzubeugen, wenn sie eine Frau zu Gesicht bekommen.
Hierzu schreibt Rabbiner Zwi Elimelech Schapira (etwa1874) allerdings: »Wenn [zu talmudischen Zeiten] ein Mann eine Frau sah, war dies etwas Neues für ihn: Seine Gedanken und sein Herz wurden verwirrt, was heute jedoch nicht mehr so ist, denn jetzt, in der Diaspora, unter schweren Lebensbedingungen, sind Frauen auch im Handel beschäftigt. Es ist nichts Besonderes mehr, eine Frau anzusehen, man hat sich daran gewöhnt, ein Mann wird davon nicht mehr angeregt.«
In ähnlicher Weise, wenn auch vor einem anderen Hintergrund, argumentieren heute viele nichtorthodoxe Rabbiner. Da die Frau heute nicht mehr als Objekt, sondern als vollkommen gleichberechtigt wahrgenommen werde, seien einige der Zniutvorschriften heutzutage obsolet. Wie es in der Schöpfungsgeschichte im 1. Buch Moses (1,27) heißt: »Männlich und weiblich schuf Er sie.«
Rabbinerin So schreibt Regina Jonas, die als erste Frau 1935 zur Rabbinerin ernannt wurde, in ihrer halachischen Streitschrift »Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?« Folgendes: »Wie segensreich könnte gerade eine Frau im rabbinischen Amte den alten Zniut-Begriff, der […] abhanden gekommen ist, durch Vorbild und Lehre wieder herstellen. Trotz alledem muss bei der Behandlung des Themas […] den veränderten Zeitverhältnissen und dem Empfinden früherer Zeiten Rechnung getragen werden.« Rabbinerin Jonas räumt ein, dass in der damaligen Zeit Verordnungen der Chasal (Weisen), die die Frauen von manchen religiösen Pflichten und Betätigungen ausschlossen, wohl am Platze waren und die größte Hochachtung verdienten.
»Jedoch heute, wo die Frau an und für sich im öffentlichen Leben steht und in sachlichem Zusammenarbeiten mit dem Manne Gemeinsames leistet, ist das Verhalten inzwischen ein ungezwungenes geworden. Es ergibt sich daraus, dass ihr Erscheinen unter den Männern, selbst auch im G’tteshause, nichts Erregendes für den Mann hat und am allerwenigsten für die Frau. Viele Verordnungen unserer Weisen also, die […] gerade im Hinblick auf diese Art des Zniut erlassen wurden, verlieren dann reichlich an Strenge.«
Progressive Zur Stellung des progressiven Judentums zur Kopfbedeckung der Frau schreiben die Rabbiner Walter Homolka und Jonathan Romain in ihrem Buch Progressives Judentum: »Innerhalb des progressiven Judentums wird die Frage der Kopfbedeckung unterschiedlich gehandhabt. Es gibt einige progressive Gemeinden, in denen sie nicht üblich ist. In vielen Gemeinden ist sie nur während des Gebets innerhalb und außerhalb der Synagoge üblich.«
Die Kopfbedeckung werde in keinem Zusammenhang mit dem ehelichen Status einer Frau gesehen. Frauen seien nicht verpflichtet, nach ihrer Heirat eine Kopfbedeckung zu tragen, auch nicht in der Synagoge. »Stattdessen steht die Kopfbedeckung in der Synagoge als Möglichkeit für alle Frauen offen, unabhängig von ihrem Alter und gesellschaftlichen Status. Die Folge ist, dass einige Frauen (eine kleine, aber stetig wachsende Zahl) sich entscheiden, während des Gebets eine Kippa zu tragen oder eine andere Art der Kopfbedeckung, die sie speziell für die Gebetszeiten bereithalten.«
Der Grund, so schreiben die beiden Rabbiner weiter, warum Frauen ihren Kopf bedecken, hat sich also gewandelt. »Es ist nicht mehr ein Zeichen der Demut, sondern ein Akt der Ehrfurcht, ähnlich dem Verhalten der Männer.«
Es ist also zu sehen, dass die Kopfbedeckungen und die Gründe für das Tragen bei Frauen heutzutage mannigfaltig sind, je nach religiöser Ausrichtung und Gruppenzugehörigkeit variieren: von der Perücke über das Kopftuch, über eine Perücke mit Hut oder einen Hut ohne Perücke, bis hin zu Kippa oder gar keiner Tracht. Wohl die wenigsten jüdischen Frauen auf dieser Welt haben Angst davor, aufgrund ihrer fehlenden oder gar der »falschen« Kopfbedeckung in der kommenden Welt verbrannt zu werden.
Der Autor ist Rabbinerstudent am Abraham Geiger Kolleg.