Sechs Tage sollst du arbeiten und all deine Geschäfte verrichten, am siebenten Tag aber sollst du ruhen» – aus dem biblischen Schöpfungsbericht geht eindeutig hervor, dass die Ruhe am letzten Tag der Woche nicht «unverdient» ist. Doch wie passt dieser Bericht zu Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, die auch von Juden gelegentlich erhoben werden?
Die allgemeine Diskussion über dieses Thema wurde in Deutschland nicht zuletzt durch die jüngste Volksabstimmung in der Schweiz befeuert. Doch in gewisser Weise gibt es dieses Grundeinkommen für Bürger dieses Landes im Rahmen der als «Hartz IV» bezeichneten Sozialgesetze schon längst – und auch für Flüchtlinge, selbst wenn sie aus einem sicheren Drittstaat einreisen. Die einzige Bedingung ist, dass derjenige, der diese Leistungen beziehen will oder muss, einige bürokratische Hürden zu überwinden hat.
Doch würde ein bedingungsloses Grundeinkommen per se eingeführt, dann könnte uns der gleitende Übergang vom Abitur ins Rentenalter blühen. Arbeit wäre dann wie Freizeitbeschäftigung eine Option, aber kein «Muss». Mit dieser Arbeit würde man sein eigenes Grundeinkommen ein wenig aufbessern können, aber im Wesentlichen doch dafür tätig sein, dass andere in den Genuss des Grundeinkommens gelangen. Ganz abgesehen von der Frage, ob ein Staat sich das leisten kann – wie sollte eine jüdische Position in diesem Zusammenhang aussehen?
Garten Eden Noch vor der Vertreibung aus dem Paradies heißt es in der Tora: «Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, ihn zu bearbeiten und zu warten» (1. Buch Mose 2,15). Arbeit ist also dem biblischen Schöpfungsbericht zufolge keine Folge des Sündenfalls, sondern göttliche Aufgabe für das menschliche Sein – auch im Gan Eden. Einige Rabbiner interpretieren die menschliche Arbeit gerne so: Der Mensch ist Gottes Gehilfe bei der Pflege und Vollendung der Schöpfung. Aber nicht 24 Stunden und sieben Tage die Woche, sondern: «Sechs Tage sollst du arbeiten und all deine Geschäfte verrichten, am siebenten Tag aber sollst du ruhen.»
Sozialgesetzbuch Doch die Bibel ist nicht nur eine Arbeitsordnung, sondern auch das erste Sozialgesetzbuch. Abgesehen davon, dass auch Magd, Knecht, Tochter, Sohn oder Tier am Schabbat nicht schaffen sollen, stehen besonders Witwen, Waisen und Fremde unter kollektivem Schutz. Für Witwen und Waisen sieht die Bibel die «Pea», die nicht abzuerntende Felddecke beziehungsweise das Vorhalten der Nachlese von Früchten vor. Es wird ihnen nicht als Almosen zugeworfen, sondern sie erarbeiten sich in einem Schutzraum ihren Lebensunterhalt. Im Mittelalter hat sich in Anlehnung daran eine jüdische Sozialkasse, Zedaka genannt, entwickelt.
Leviten und Priester taten eine besondere Arbeit für alle Israeliten: «Awodat hakodesch», heilige Arbeiten im Tempel, solange er bestand. Priestern und Leviten, die keine materiell produktiven Arbeiten verrichteten, wurde durch steuerliche Umlagen aller Israeliten ein auskömmliches Leben gesichert. Materielle Arbeit ist in der Bibel also keine Bedingung für ein auskömmliches Leben.
Senioren Auch Senioren, die weder ein reguläres Einkommen haben noch in der Lage wären, wie Witwen oder Waisen die Nachlese zu halten, bleiben nicht dem Elend überlassen. Das biblische Gebot, Vater und Mutter zu ehren, damit man selbst ein langes Leben habe, stellt die Alten unter besonderen Schutz. Ebenso ist es kein Zufall, dass die Siknej Israel, die Ältesten Israels, als besondere Entscheider angesehen werden – möglicherweise zu einer Zeit, wo sie zu materieller Arbeit nicht mehr fähig waren.
In allen Epochen gab es jüdische Gelehrte, oft Rabbiner, die nicht von ihrer Hände Arbeit lebten. Arm sein ist, wie der Milchmann Tewje aus Anatevka singt, keine Schande, aber auch keine besondere Ehre. Der Talmud (Berachot 8a) sagt: «Derjenige, der von seiner Hände Arbeit lebt, steht höher als der Fromme.» Was in messianischen Zeiten passieren wird, ist allerdings offen. Gibt es dann noch Arbeit, wird sie wohl ein freudiger Spaß sein. Doch bis dahin soll als jüdische Position gelten: Einkommen ist nicht bedingungslos!
Der Autor ist Rabbiner der Synagoge Sukkat Schalom in Berlin und Jüdischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.