Die Doppelparaschiot dieser Woche, Tasria und Mezora, gehören zu den komplexeren und schwierigeren Abschnitten der Tora. Es geht um rituelle Unreinheit bei der Geburt, die verschiedenen Erscheinungsformen der Krankheit Zara’at, die das Haus, die Kleidung und den Körper einer Person betreffen, und die dazugehörigen Rituale der spirituellen Reinigung.
Gemäß unserer rabbinischen Tradition gelten Frauen bei der Geburt und während ihrer Menstruation als rituell unrein. Zara’at ist eine spirituelle Hautkrankheit, die durch Laschon Hara, also üble Nachrede, ausgelöst wird. Sie soll uns vor bösem Klatsch warnen und diejenigen, die trotzdem weiterhin schlecht über andere sprechen, bestrafen, indem sie von der Gemeinschaft isoliert, abgesondert werden.
Aberglaube Als moderne Menschen sind uns diese biblischen Texte zunächst ziemlich fremd. Auch so mancher klassische Kommentar scheint auf den ersten Blick weit von unserem heutigen Leben entfernt, denn er ist geprägt von einer vergangenen Zeit, in der Aberglaube oder nur eine primitive Form der Spiritualität dominierte.
Zara’at ist eine spirituelle Hautkrankheit, die durch Laschon Hara, also üble Nachrede, ausgelöst wird.
Wenn wir uns allerdings intensiver mit dem Text unseres Wochenabschnitts beschäftigen, werden wir feststellen, dass diese Kommentare heute genauso relevant sind wie in der Antike. Wir müssen die – zugegebenermaßen – schwierigen Konzepte nur für unsere Zeit verständlich machen.
Konzept Beim biblischen Konzept von tuma, das üblicherweise mit »unrein« übersetzt wird, handelt es sich um eine rituelle Unreinheit. Es bedeutet nicht etwa »schmutzig«, es gibt also keinen hygienischen Aspekt.
Tuma wird auf eine von drei Arten übertragen: durch den Kontakt mit einer Leiche, durch den Kontakt mit Personen, die an Zara’at (oft fälschlicherweise mit »Aussatz« oder »Lepra« übersetzt) leiden, oder durch den Kontakt mit Körperabsonderungen, die mit der Erzeugung von Leben zusammenhängen, beispielsweise Menstruationsblut oder Sperma. Diejenigen, die sich in einem Zustand der Tuma befinden, dürfen sich den heiligen Bereichen des Tempels oder der Stiftshütte nicht nähern.
Aspekte Tuma hat aber auch positive Aspekte. Die Tatsache, dass die Tora Rituale der spirituellen Reinigung so stark betont, unterstreicht, dass sich G’tt Regeneration und Wiedereingliederung wünscht. Zudem wird Tuma durch sehr positive Dinge wie Geburt oder die Fürsorge für die Toten übertragen. Folglich hat Tuma auch eine gute Seite.
Daher verstehen einige zeitgenössische Kommentatoren Tuma anders als in der Vergangenheit. Sie heben hervor, dass ein Grund, warum es Menschen, die tuma sind, verboten ist, den Tempel zu betreten, darin besteht, dass Geburt und Fürsorge für die Toten selbst große spirituelle Erfahrungen sind, die durch den Besuch des Tempels nicht noch verstärkt werden müssen.
Rabbiner Shlomo Riskin schreibt in Tora Lights: »G’ttes Geschenk an den Menschen, der nach dem g’ttlichen Ebenbild erschaffen wurde, ist, dass es neben der Körperlichkeit auch die Spiritualität gibt, neben dem Tod auch das ewige Leben, neben der rituellen Unreinheit (tuma) auch die rituelle Reinheit (tahara).
Daher bringt das sehr menschliche Leben, das aus dem Mutterleib hervorgeht, nicht nur den Hauch des Todes, tuma, mit sich, sondern auch die Hoffnung auf neues Leben, tahara ... Es liegt in der Macht des Menschen, seine physischen Hemmnisse und Unvollkommenheiten zu überwinden, seine tierischen Triebe und Instinkte zu veredeln und zu heiligen, die menschliche Natur zu vervollkommnen und eine unvollkommene Welt zu erlösen.«
Geheimnisse Einige zeitgenössische Kommentatoren verstehen den Begriff der Tuma als die spirituelle Dimension der Ehrfurcht vor der wundersamen Natur der Geburt, der unglaublichen Kraft des Todes und den Geheimnissen von Krankheit und Heilung. Hier zeigt die jüdische Tradition etwas auf, das die heutige Wissenschaft und Schulmedizin oft vernachlässigen, nämlich den signifikanten Zusammenhang zwischen physischer und psychischer Gesundheit.
Die Tatsache, dass es der Kohen war, der die unreine Person untersuchte und die Diagnose stellte, half den Betroffenen und beschleunigte ihre Heilung, da sie wussten, dass sie von jemandem betreut wurden, der in der jüdischen Gesellschaft eine ganz wichtige Stellung hatte. Der Kohen half dabei, die kranke Person so schnell wie möglich wieder in die Gemeinschaft zu integrieren.
Es ist auch wichtig, anzumerken, dass der Kohen eigentlich gar nicht heilte. Er führte die rituelle Reinigung erst durch, nachdem der Kranke geheilt war, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass durch die Tahara eine Art Zauber wirke.
Ritual Doch obwohl das gesamte Ritual dazu gedacht war, die betroffene Person zu heilen und zu reinigen, haben unsere Weisen immer auf geistige oder moralische Fehler hingewiesen, die zur Krankheit der Person beigetragen haben könnten.
Gerade das ist für uns moderne Menschen so schwer zu akzeptieren, aber gerade das öffnet eine ganz moderne Sicht auf die Medizin.
Wir wissen, dass es negative Folgen hat, wenn wir unseren Körper vernachlässigen. Schlechte Ernährung und mangelnde Bewegung beeinträchtigen unsere körperliche Gesundheit. Doch allzu oft vernachlässigen wir die spirituelle Dimension einer Krankheit.
Nicht richtig zu essen, nicht ausreichend zu schlafen oder sich nicht genügend zu bewegen, sind für uns zweifellos »Sünden«. Aber so, wie wir für diese physischen »Sünden« einen Preis zahlen müssen, »kosten« letztlich auch spirituelle Übertretungen ihren physischen Preis.
Schulmedizin Die Schulmedizin hält es üblicherweise nicht für ratsam, dem Patienten zu sagen, dass er für seine Krankheit verantwortlich oder mitverantwortlich ist. Aus Sicht einer ganzheitlichen Medizin steht jedoch außer Frage, dass wir für unsere Leiden oftmals zu einem gewissen Teil auch mitverantwortlich sind. Unter dem Gesichtspunkt der gemeinschaftlichen Verantwortung gilt dies auch für jeden Menschen seinem Nächsten gegenüber.
Krankheitserreger wie das Coronavirus werden durch den Lebensstil unserer Gesellschaft begünstigt. Wenn wir gemeinsam entschlossen wären, die Ursachen unserer Zivilisationskrankheiten ernsthaft anzugehen, ließen sich viele Leiden inzwischen sicherlich verringern. Die Tatsache, dass wir durch die Wunder der modernen Medizin die durchschnittliche Lebensdauer des Menschen in den vergangenen 100 Jahren um fast 40 Jahre verlängert haben, ist ein Beweis für unsere Fähigkeit zu heilen.
Tuma, die rituelle Unreinheit, ist nicht als Strafe G’ttes gedacht, sondern als g’ttliches Signal, dass Schritte unternommen werden müssen, um die Ursache der Krankheit zu finden, damit sie geheilt und beseitigt werden kann.
Der Autor ist Mitteleuropa-Direktor des Center for Jewish-Christian Understanding and Cooperation sowie Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).
Inhalt
Der Wochenabschnitt Tasria lehrt die Gesetze für die Wöchnerin und die Dauer der Unreinheit. Bei einem männlichen Kind wird zudem festgelegt, dass es am achten Tage nach der Geburt beschnitten werden soll. Außerdem übermittelt Tasria Regeln für Aussatz an Körper und Kleidung.
3. Buch Mose 12,1 – 13,59
Im Wochenabschnitt Mezora wird die Reinigung von Menschen beschrieben, die von Aussatz befallen sind. Außerdem schildert die Parascha, wie mit Unreinheiten durch Aussonderungen der Geschlechtsorgane umzugehen ist.
3. Buch Mose 14,1 – 15,33