In einer früheren Kolumne schrieb ich, dass die jüdische Gesetzgebung davon abrät, ein Kind zu enterben, wenn uns sein Benehmen missfällt. Am Ende unseres Lebens, wenn wir unsere Verbindung zu den Lebenden durchtrennen und uns der Welt der Wahrheit nähern, ist es am besten, ein Zeichen des Vertrauens und der Hoffnung zu setzen. Davon ausgenommen sind Fälle, in denen ein wohlbegründeter Verdacht besteht, dass das Geld in zerstörerischer oder selbstzerstörerischer Weise benutzt wird.
Ein aufmerksamer Leser wies mich darauf hin, dass es ein Zwischending gibt zwischen den beiden Polen, einem unreifen und pflichtvergessenen Kind sein Vermögen zu hinterlassen oder es komplett zu enterben: Man kann die Erbschaft davon abhängig machen, dass es sich »zusammenreißt«.
Voraussetzungen Erbschaften, die nur unter gewissen Voraussetzungen Gültigkeit erlangen, hat es schon immer gegeben. Auch die Bedingungen selbst haben sich über Generationen hinweg wenig geändert: Eltern wollen ihre Kinder verheiratet sehen; sie wollen, dass die Kinder ihrer Religion treu bleiben, ihren Charakter verbessern und so fort. Auch in jüdischen Gemeinschaften existieren solche eingeschränkten Testamente.
Der Schulchan Aruch, der maßgebliche Kodex der jüdischen Gesetzgebung, zitiert Maimonides: »Einem Minderjährigen, der heranwächst und zu viel isst und trinkt und auf Abwege gerät, enthält das Gericht das Geld nicht vor, noch bestellt es einen Vormund für ihn, es sei denn, der Erblasser hat festgelegt, ihm nichts zu geben, bis er nicht ehrbar und erfolgreich geworden ist, oder ihm das Erbe jedenfalls für einen beträchtlichen Zeitraum vorzuenthalten.«
Wir sehen also, dass die jüdische Gesetzgebung den Gebrauch solcher Bedingungen in einem Testament gutheißt. Mein Eindruck ist jedoch, dass Derartiges relativ selten sind. Das Hauptproblem solcher einschränkenden Bedingungen liegt meiner Meinung nach darin, dass das Kind sie wahrscheinlich nicht als Anreiz oder Belohnung wahrnimmt, sondern als Strafe für nicht konformes Verhalten. Die meis-ten Kinder leben in der Erwartung, dass sie eines Tages einen Teil des elterlichen Erbes erhalten. Werden sie im Testament nicht bedacht, sehen sie darin eine Strafmaßnahme. Es ist nicht unsere Tradition, ein missratenes Kind zu enterben.
Strafe Der Talmud verbietet erniedrigende Bestrafungen als kontraproduktiv: »›Leg einem Blinden keinen Stolperstein in den Weg‹ – dies bezieht sich auf einen, der seinen erwachsenen Sohn verhaut.« Ein Vater hat das Recht, ja sogar die Verantwortung, seine Kinder zu erziehen und zu disziplinieren. Im Zeitalter des Talmuds hieß das, er besaß formal das Recht, sein Kind körperlich zu züchtigen. Dennoch wurde jemand, der seinen erwachsenen Sohn auf diese Weise bestrafte, nicht nur verurteilt, sondern auch mit Missachtung belegt, weil es kontraproduktiv ist, gegen einen erwachsenen Menschen solche erniedrigenden Disziplinarmaßnahmen zu ergreifen.
Dieser Gedanke stützt das in meiner vorherigen Kolumne vorgebrachte Argument: Was ein eigensinniges Kind in den meisten Fällen braucht, sind Ermutigung und Vertrauen, nicht Bestrafung.
Fazit Jeder, der daran denkt, in seinem Testament Bedingungen festzuschreiben, sollte sorgfältig darauf achten, dass sie sich nicht wie ein Strafkatalog lesen, sondern positiv formuliert sind und erzieherisch wirken. Zum Beispiel: Im Testament ist festgelegt, dass das Kind erst im Alter von 40 eine gewisse Summe erbt.
Das stellt an sich keine Strafklausel dar und kann so verstanden werden, dass es im besten Interesse des Kinds geschieht, um Geldverschwendung zu verhindern. Diese Klausel könnte durch die Festlegung versüßt werden, dass das Kind – wegen der besonderen Bedürfnisse einer jüdischen Familie – eine größere Summe erhält an dem Tag, an dem es heiratet, und weitere Summen bei der Geburt jedes Kindes, um die Kosten zu decken.
Eltern, die wollen, dass ihr Kind studiert, können eine ähnliche Klausel einfügen. Ein Kind zu enterben, nur weil es in einem anderen Beruf arbeiten will als in dem, den die Eltern sich wünschten, ist meiner Meinung nach unangemessen – und wird auf jeden Fall Verbitterung hervorrufen.
Doch wenn eine Erbschaft im Fall eines Studiums größer ausfällt oder ergänzt wird, um für die zusätzlichen Kosten, auch unter Berücksichtigung des entgangenen Einkommens, aufzukommen, ist das eine vernünftige und erzieherische Maßnahme – es ist weniger wahrscheinlich, dass sie Verbitterung hervorruft, und sie ist wirksamer.
Gericht Interessanterweise wurde von weltlichen Gerichten ein ähnliches Kriterium angelegt. Ein Mann aus Ohio legte fest, sein Sohn könne nur unter der Voraussetzung erben, dass er innerhalb eines gewissen Zeitraums eine Jüdin heiraten würde. Als der Sohn dagegen klagte, bestätigte das Gericht die Gültigkeit des Testaments.
Die Richter interpretierten die einschränkende Klausel in dem Sinne, dass sie nicht beabsichtige, den Sohn zu bestrafen, falls er eine nichtjüdische Frau heiraten sollte, sondern dass der Vater darin seinen Wunsch zum Ausdruck brachte, mit seinem Vermögen jüdische Kontinuität zu fördern. Verstärkt wurde dieser Wunsch durch die Festlegung, dass das Erbe an den Staat Israel fallen solle, sollte der Sohn nicht innerhalb eines gewissen Zeitraums heiraten.
Die überragende Bedeutung, die dem erzieherischen Aspekt in Erbschaftsfragen zukommt, betont auch der Absatz im Schulchan Aruch, den wir bereits zitiert haben. Gleich nachdem erklärt wird, dass das Gericht keinen Vormund bestellt, um die Erbschaft eines missratenen Kindes zu blockieren, heißt es: »Dennoch sollten sie das Kind tadeln und es erziehen, damit es auf den rechten Weg kommt und auf dem Pfad der Gerechten wandelt.«
So wird das Zentralprinzip des jüdischen Erziehungsgedankens noch einmal betont: Sanktionen sind nicht an sich wirksam, sondern können nur ein Anreiz sein innerhalb eines idealistischen Erziehungsprogramms.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Business Ethics Center of Jerusalem, www.besr.org