Talmudisches

Der geschlachtete Rabbi

Wie Rabba aus Versehen seinen Kollegen tötete – und wiederbelebte

von Yizhak Ahren  19.02.2018 18:30 Uhr

Selbst große Gelehrte können durch übermäßigen Weingenuss aus der Bahn geraten. Foto: Flash 90

Wie Rabba aus Versehen seinen Kollegen tötete – und wiederbelebte

von Yizhak Ahren  19.02.2018 18:30 Uhr

In Megilla 7b berichtet uns der Talmud von einer unerhörten Begebenheit: »Rabba und Raw Zera hielten zusammen das Purimfestmahl ab, und als sie betrunken waren, stand Rabba auf und schlachtete Zera. Am folgenden Tag flehte er um Erbarmen und belebte ihn. Im nächsten Jahr sprach er zu ihm: Möge der Meister kommen, wir wollen zusammen das Purimfestmahl abhalten. Dieser erwiderte: Nicht jederzeit geschieht ein Wunder.«

Diese Geschichte ist so erstaunlich, dass sie offensichtlich einer Interpretation bedarf. Wohl verstehen wir, dass die zwei genannten Amoräer die Purimmahlzeit zu­sammen eingenommen haben und dabei auch reichlich Wein tranken. Denn un­mittelbar vor der oben zitierten Talmudpassage heißt es: »Rabba sagte: Am Purimfest muss man so viel trinken, bis man zwischen ›Verflucht sei Haman‹ und ›Gepriesen sei Mordechai‹ nicht mehr zu unterscheiden vermag.«

Interpretation Der Leser fragt sich: Hat Rabba wirklich seinen Kollegen Rabbi Zera umgebracht und am nächsten Tag dessen Wiederbelebung durch ein Gebet bewirkt? In der Beantwortung dieser Frage sind die Interpreten unterschiedliche Wege ge­­gangen. Mein gelehrter Vetter Aaron Ahrend hat in einer hebräischen Abhandlung in der wissenschaftlichen Zeitschrift »Bekohl Derakhekha Daehu« (Band 8, 5759) eine Anzahl verschiedener Deutungen nebeneinandergestellt und diese klassifiziert.

Er teilt die Interpreten in zwei Gruppen ein: in solche, die das Erzählte wörtlich nehmen, und in solche, die die Geschichte allegorisch auslegen. Die einen sagen: Rabba hat Raw Zera ohne Mordabsicht getötet, als er unter Wirkung des Alkohols stand. Durch sein Gebet hat Rabba am folgenden Tag für das Wunder der Wiederbelebung des Toten gesorgt.

Die andere Gruppe von Gelehrten, zu der unter anderem Raw Abraham (1186–1237), der Sohn von Maimonides, und Rabbi Schmuel Eliezer Edeles, der Maharscha (1555–1631), zählen, erklärt, die ganze Geschichte sei nicht wörtlich zu nehmen. Rabba habe seinen Kollegen nicht wirklich getötet, sondern ihn entweder schwer verletzt oder durch forcierten Weingenuss krank werden lassen. Dementsprechend bestand das eingetretene Wunder nicht in einer Auferstehung von den Toten, sondern in einer natürlichen Genesung.

dialog Der kurze Dialog der beiden Rabbiner am Ende der talmudischen Geschichte ist nach beiden Lesarten verständlich. Rabba wollte das Purimfestmahl wieder mit Rabbi Zera zusammen feiern und die Untat vom Vorjahr gewissermaßen wiedergutmachen. Jedoch fürchtete Rabbi Zera eine mögliche Wiederholung des Geschehens und nahm die Einladung nicht an. Wer kann es ihm verdenken?

Nach Auffassung der meisten Interpreten lautet die Moral der merkwürdigen Geschichte: Sogar große Gelehrte können durch übermäßigen Weingenuss aus der normalen Bahn geraten und dann großen Schaden anrichten. Daher heißt es im Kizzur Schulchan Aruch: »Wer aber von schwacher Natur ist und ebenso derjenige, der von sich weiß, dass er dadurch – was der Ewige behüte – irgendein Gebot oder ein Gebet geringschätzen oder zu Leichtfertigkeit kommen wird, für den ist es besser, sich nicht zu berauschen. Alle Handlungen des Menschen seien dem Ewigen zu Ehren« (142,6).

Wajigasch

Nach Art der Jischmaeliten

Was Jizchaks Bruder mit dem Pessachlamm zu tun hat

von Gabriel Umarov  03.01.2025

Talmudisches

Reich sein

Was unsere Weisen über Geld, Egoismus und Verantwortung lehren

von Diana Kaplan  03.01.2025

Kabbala

Der Meister der Leiter

Wie Rabbiner Jehuda Aschlag die Stufen der jüdischen Mystik erklomm

von Vyacheslav Dobrovych  03.01.2025

Tradition

Jesus und die Beschneidung am achten Tag

Am 1. Januar wurde Jesus beschnitten – mit diesem Tag beginnt bis heute der »bürgerliche« Kalender

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  01.01.2025 Aktualisiert

Chanukka

Sich ihres Lichtes bedienen

Atheisten sind schließlich auch nur Juden. Ein erleuchtender Essay von Alexander Estis über das Chanukka eines Säkularen

von Alexander Estis  31.12.2024

Brauch

Was die Halacha über den 1. Januar sagt

Warum man Nichtjuden getrost »Ein gutes neues Jahr« wünschen darf

von Rabbiner Dovid Gernetz  01.01.2025 Aktualisiert

Mikez

Schein und Sein

Josef lehrt seine Brüder, dass die Dinge nicht immer so sind, wie sie auf den Betrachter wirken

von Rabbiner Avraham Radbil  27.12.2024

Chanukka

Wie sah die Menora wirklich aus?

Nur Kohanim konnten die Menora sehen. Ihr Wissen ist heute verloren. Rabbiner Dovid Gernetz versucht sich dennoch an einer Rekonstruktion

von Rabbiner Dovid Gernetz  25.12.2024

Resilienz

Licht ins Dunkel bringen

Chanukka erinnert uns an die jüdische Fähigkeit, widrigen Umständen zu trotzen und die Hoffnung nicht aufzugeben

von Helene Shani Braun  25.12.2024