Um über den Gecko zu sprechen, müssen wir einen Umweg über den Igel nehmen: Die Liste der Tiere im 3. Buch Mose 11, 29–30, die nicht als koscher betrachtet werden, ist heute nicht eindeutig. Kommentatoren und Übersetzer hatten die Wahl, ein Wort aus ihrer Sprache zu nehmen, das wahrscheinlich war, zu raten oder die Namen der Tiere im Original zu belassen.
Der langjährige Frankfurter Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) hat einige Begriffe überhaupt nicht übersetzt, aber in einem Vers dann doch eine Entscheidung getroffen: »der Igel, der Koach, die Eidechse, der Chomet und der Maulwurf« (11,30).
Das erste Tier heißt auf Hebräisch »Anaka«. Warum hat Hirsch sich dafür entschieden, es mit »Igel« zu übersetzen? Im Targum Onkelos wird es mit dem aramäischen »Jala« übertragen, das könnte ein Igel sein. Der Kommentator Raschi (1040–1105) übernahm dies. Die Septuaginta übersetzte hingegen mit »Spitzmaus«. Rabbiner Adin Steinsaltz (1937–2020) erklärt, das Wort »Anaka« stünde eigentlich für »Stöhnen« und verweise deshalb auf ein Tier, das ein Geräusch erzeugt, wie etwa ein Gecko. Andere Übersetzer entschieden sich ebenfalls für »Gecko«.
Der Gecko ist nicht koscher
Dabei lernen wir nebenbei: Der Gecko ist nicht koscher. Maimonides, der Rambam (1135–1204), nennt den Gecko in der Mischne Tora (Halachot der verbotenen Speisen 2,7) als eines der acht Tiere, die unter die Kategorie »Scheretz« (Ungeziefer) fallen: »Die acht Arten Ungeziefer, die in der Tora aufgeführt werden: der Maulwurf, die Maus und alle Arten von Dornschwanzechsen, der Gecko, der Waran, die Eidechse, die Blindschleiche und das Chamäleon.«
Etwas sicherer ist die Übersetzung eines anderen Begriffs für Gecko, der für eine Unterart steht. Der Gecko begegnet uns als »Semamit« im Buch Mischlei (30,28): »Der Gecko greift mit den Händen, und doch ist er in den Palästen der Könige.«
Damit dürfte der Türkische Halbfingergecko gemeint sein, der im gesamten Mittelmeerraum vorkommt – so argumentierte auch Rabbiner Steinsaltz.
Im Talmud begegnet uns der Gecko als kleine Opfergabe
Im Talmud (Sanhedrin 103b) begegnet uns der Gecko dann als unkoschere, offenbar sehr kleine Opfergabe: »Menasche ließ die Namen Gʼttes aus den heiligen Büchern streichen und zerstörte den Altar. Amon verbrannte die Tora und opferte einen Gecko auf dem Altar.«
Welche Funktion hat der Gecko darüber hinaus? In der Welt des Talmuds hat jedes Lebewesen seinen Platz, auch wenn die Erklärung nicht immer nachvollziehbar ist. Im Traktat Schabbat (77b) lernen wir, dass der Gecko eine Art Gegensatz zum Skorpion ist. Dort sagt Rabbi Jehuda, dass Raw gesagt habe: »Alles, was der Heilige, gepriesen sei Er, in Seiner Welt geschaffen hat, hat Er nicht umsonst geschaffen. Er schuf eine Schnecke als Heilmittel für eine Wunde; Er schuf eine Fliege, die zerquetscht und als Heilmittel für einen Wespenstich verteilt wird; Er schuf eine Mücke als Heilmittel für einen Schlangenbiss; und Er schuf die Schlange selbst als Heilmittel für einen Hautausschlag; und Er schuf einen Gecko als Heilmittel für einen Skorpionbiss.«
Wie das gehen soll, erklärt die Gemara auch: »Er bringt zwei Geckos, einen schwarzen und einen weißen, und kocht sie.« Gemeint ist damit wohl eine Art Einkochen. Die Paste, die daraus entsteht, soll man auf die betroffene Stelle auftragen.
Auf demselben Blatt heißt es im Talmud: »Die Rabbanan lehrten: Es gibt fünf Fälle von Furcht des Stärkeren vor dem Schwächeren: die Furcht des Löwen vor dem Mafgia (ein kleines Tier, erneut ein Fall eines vergessenen Wortes), die Furcht des Elefanten vor der Mücke, die Furcht des Skorpions vor dem Gecko, die Furcht des Adlers vor der Schwalbe und die Furcht des Leviatans vor dem Stichling. Rabbi Jehuda sagte im Namen Raws: Hierauf deutet folgender Schriftvers: Der Verwüstung aufblitzen lässt den Starken.«
Der kleine Fleischfresser, der zuweilen an Mauern zu kleben scheint, hat also kleine Spuren in den Quellen des Judentums hinterlassen, die fast verwischt worden wären.