Der Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium wird keinen langen Bestand haben, ist sich Leo Latasch sicher. Der Frankfurter Rettungsmediziner und jüdische Vertreter im Deutschen Ethikrat hält die darin geplante Straffreiheit bei ärztlicher Sterbehilfe, wenn es denn als »privat« deklariert wird, für unmöglich. »Es darf nicht sein, dass ich als Arzt straffrei bleibe, obwohl ich einen Patienten aktiv an einen Sterbehelfer vermittle«, meint Latasch. Das Berufsrecht verbiete ihm schließlich »jede Form von Sterbehilfe«.
Aktive und kommerzielle Sterbehilfe lehnt auch Rabbiner David Benjamin Soussan ab. »Sie ist mit unseren religiösen Gesetzen nicht vereinbar« und »explizit verboten«, betont das Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD). Soussan zitiert eine im 16. Jahrhundert von dem Rabbiner und Kabbalisten Josef Karo verfasste Zusammenfassung religiöser Vorschriften des Judentums, die in den folgenden Jahrhunderten von anderen Rabbinern weitergeführt wurde: »Der Schöpfer allein bestimmt, wie lange der Mensch zu leben hat« (Schulchan Aruch 339,39).
Die Verletzung des menschlichen Lebens durch die Hand eines Mitmenschen »kommt somit einer G’tteslästerung gleich«, und Sterbehilfe gehöre sehr wohl dazu. Deshalb lehne er auch eine gesetzliche Regelung ab, die dies erlaube, sagt der Rabbiner.
Gebot Auch die Tora sei in der Frage der Sterbehilfe eindeutig. »Ich, der Ewige, schenke Tod und Leben«, heißt es im 5. Buch Moses 32,29. Schon auf den Gesetzestafeln, die das Volk Israel erhalten habe, sei geschrieben gewesen: »Du sollst nicht morden.« Der Schutz des Lebens sei ein Gebot, »einer der wichtigsten Grundsätze des Judentums«, betont Soussan.
Die jüdischen Gebote träfen ebenfalls auf Kranke zu. »Auch einen Komapatienten darf man nicht sterben lassen.« Handlungen, die den Tod eines Patienten beschleunigen, sind unzulässig, sagt er. »Da gibt es keine Ausnahme. Im Zweifel muss jede lebenserhaltende Maßnahme ausgeschöpft werden« (Schulchan Aruch, Orach Chajim 618).
Hier eröffneten sich nach der übereinstimmenden Lehrmeinung der Rabbiner für Ärzte Möglichkeiten, im Rahmen der Palliativmedizin zur Schmerzlinderung von unheilbar Kranken beizutragen und »sie medikamentös bis zu ihrem letzten Atemzug zu begleiten«. Im Babylonischen Talmud (Sanhedrin 45a,14) stehe geschrieben: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«. Dies wird, so Soussan, heute auch als ein Verbot interpretiert, einen Menschen grausam und mit quälender Perspektive am Leben zu erhalten.
Würde Rettungsmediziner Leo Latasch, der gleichzeitig auch Sozialdezernent der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main ist, kennt aus seiner ärztlichen Tätigkeit auf einer Intensivstation zahlreiche Fälle von unheilbar Kranken. »Im Grundgesetz steht: ›Die Würde des Menschen ist unantastbar‹. Aber ich habe gelernt, dass auch die ›Würde des Sterbenden‹ garantiert werden muss.«
Für ihn als Arzt sei es eine Gratwanderung zwischen der Tora-Verpflichtung, nicht zu töten, und der, niemanden weiter Schmerzen leiden zu lassen. »Wir müssen uns als Ärzte nicht nur um die Lebenden kümmern, sondern auch um die Sterbenden.« Ihnen müsse ein »menschenwürdiger Abschied aus dem Leben ermöglicht werden«.
Zwar komme aktive Sterbehilfe für einen jüdischen Arzt nicht infrage, aber einen unheilbaren Patienten mit unsäglichen Schmerzen zu beraten und zu medikamentieren, sei notwendig. »Sterbebegleitung eines Todkranken muss für einen Arzt auf jeden Fall erlaubt sein«, findet der 60-Jährige.