Der Tu-Bischwat-Seder ahmt den Seder des Pessachfestes nach. Die Grundidee ist, dass der Verzehr von 15 spezifischen Obstsorten und das Trinken von vier Gläsern Wein in einer bestimmten Reihenfolge (während entsprechende Segenssprüche und Lieder rezitiert werden) den Menschen und die Welt der geistigen Vollkommenheit näherbringen sollen. Auch der Natur des Heiligen Landes soll sich der Mensch durch diesen Seder annähern.
Im Laufe des 16. Jahrhunderts haben der Kabbalist Rabbi Jitzchak Luria von Z’fat (Safed) und seine Jünger ein Ritual mit einem vollständigen Text für einen speziellen Sederabend erstellt, der auf Tu Bischwat gemünzt ist. Dabei wird den Früchten und Bäumen des Landes Israel eine symbolisch-allegorische Bedeutung gegeben.
Kabbala Der Text wurde zunächst in einer Anthologie des kabbalistischen Brauchtums veröffentlicht. Erstmals als eine separate Broschüre im Jahre 1728 in Venedig gedruckt, wurde er seitdem in vielen Ausgaben neu aufgelegt.
Im Staat Israel wurde der kabbalistische Brauch des Tu-Bischwat-Seders wiederbelebt. Dieser Seder wird mittlerweile von vielen gesetzestreuen wie auch von säkularen Juden auf der ganzen Welt gefeiert. Spezielle »Haggadot«, die wie am Pessachseder durch den Abend führen, wurden zu diesem Zweck verfasst.
Der Tu-Bischwat-Seder ist kein halachisches Gebot, sondern er beruht auf mystischen Prinzipien. Die Kabbalisten hatten ein Konzept von »vier Welten« entworfen, aus denen der Kosmos besteht. Ein interessanter Aspekt des Tu-Bischwat-Seders ist daher die Verbindung zwischen diesen vier Welten, um die herum die Kabbalisten den Seder anordneten und die vier verschiedene Persönlichkeitstypen widerspiegeln sollen.
Die »Welten« sind: Assija, die materielle Welt; Jezira, die Welt der Formgebung und dem Element Wasser zugeordnet; Brija, die Welt der Schöpfung, dem Element Luft zugeordnet; und Azilut, die Welt des reinen Geistes. Diese Begriffe werden durch bestimmte Arten von Lebensmitteln symbolisiert, die während des Seders verzehrt werden.
Banane »Assija-Lebensmittel« sind Obstsorten mit einer äußeren Schale und einer inneren Frucht, wie Orange oder Banane und Nüsse. Von außen ungenießbar oder hart –und innen doch weich und schmackhaft. »Jezira-Lebensmittel« sind Früchte mit essbarem Äußeren und ungenießbarem Kern, wie Olive, Kirsche oder Pfirsich, also außen weich und essbar, innen hart und nicht zum Verzehr geeignet.
Brija sind Früchte, die im Gesamten essbar sind, wie Erdbeere, Traube, Feige und Johannisbrot. Azilut symbolisiert die perfekte Welt des reinen Geistes, die Welt der Erhabenheit, des Feuers, wo das Innewohnen G’ttes erkennbar ist. Dies ist ein derart vergeistigtes Reich, dass es mit keinerlei irdischer Nahrung in Verbindung gebracht werden kann.
So wie die Früchte hat auch jeder der vier Becher Wein des Abends seine Besonderheit und ist eine bestimmte Kombination von Rot- und Weißwein. Zunächst trinken wir einen Weißen, dann geben wir etwas Rotwein hinzu, danach etwas mehr, und schließlich trinken wir reinen Rotwein – und symbolisieren dadurch die Farben der wechselnden Jahreszeiten. Jede der vier Welten mündet also nach dem Studium der Texte aus traditionellen jüdischen Quellen als auch moderner Denker und Dichter in Segenssprüche, Speisen und Trank.
Geschmack Der Seder ist ein Ritual, das eine Idee greifbar macht. Er ermöglicht das Teilhaben an den Früchten des Heiligen Landes, das Genießen ihrer Farben, ihrer Beschaffenheit und ihres Geschmacks, während wir bewusst G’tt mit Segenssprüchen für die Früchte danken. Über jede Frucht, die wir in diesem Jahr zum ersten Mal essen, sagen wir auch den Segensspruch von »Schehechejanu«.
Das Nachsinnen über unsere Nahrung bildet ein zentrales Ritual des Sederabends am Neujahrsfest der Bäume. Der Text der Kabbalisten sagt: Wenn man vor dem Verzehr einer Frucht keinen Segensspruch spricht, ist es, als ob die Pflanze ihrer »g’ttlichen Energie« beraubt wird, sodass der Baum im nächsten Jahr nicht mehr reichlich trägt.
Zweck und Idee des Tu-Bischwat-Seders ist es also, eine Vorstellung zu veranschaulichen. Der Grundgedanke ist, dass G’tt die Quelle allen Lebens ist und dass jeder kleine Teil der Schöpfung – sei es eine Rosine, eine Walnuss oder ein Pfirsich – unendlich wertvoll ist. Es geht dabei auch um die Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur, in der alles mit allem verbunden ist.