Jedes Kind in Europa weiß heute, wie ein Elefant aussieht. In Fibeln begleitet den Buchstaben E oft ein Elefant. Das war nicht immer so. In zahlreichen europäischen Handschriften aus dem Mittelalter sehen die Elefanten ihren realen Vorbildern nicht gerade ähnlich. Ein weißer Elefant mit »Burg auf dem Rücken« aus einer spanischen Handschrift des 14. Jahrhunderts sieht aus wie ein großer Hund mit einem großen Saugrüssel.
Kaum jemand in Europa hatte das Tier damals zu Gesicht bekommen. Im Land Israel und in Babylonien scheint dies anders gewesen zu sein, denn der Elefant begegnet uns im Talmud eher beiläufig, und seine Größe wird als Argumentationshilfe verwendet.
elfenbein Vor dem Talmud ist der Elefant (hebräisch: Pil) nur durch sein Elfenbein im Tanach präsent. Im 1. Buch der Könige (10,22) wird von Schlomos Flotte berichtet, die alle drei Jahre Gold, Silber, Elfenbein, Affen und Pfaue zu ihm brachte. Achaws Haus sei aus Elfenbein gewesen, wird im selben Buch (22,39) erzählt.
In den Makkabäerbüchern, die nicht zum Kanon des Tanachs gehören, begegnen uns Elefanten dann erstmals als Tiere. Es wird vom Kampf des Antiochos gegen die Juden erzählt, und die syrischen Truppen setzten auch Kriegselefanten ein. Im ersten Buch werden diese nicht näher beschrieben, aber sie trugen hölzerne Türme, und auf diesen saßen Soldaten (16,17).
Die Megillat Antiochos, die in der Vergangenheit auch Bestandteil deutscher Siddurim war, um an den Chanukkatagen gelesen zu werden, schildert die Kriegselefanten ebenfalls. Man liest dort von »gepanzerten Elefanten«, und von einem Kämpfer heißt es: »Elasar aber, der die Elefanten tötete, ertrank im Dung der Elefanten.«
BABYLONIEN Im Talmud hingegen wird der Elefant als bekannt vorausgesetzt. Es ist möglich, dass er von Indien nach Babylonien und in den Nahen Osten gebracht wurde. Im Talmud Jeruschalmi (Kilajim 8,4) wird er als wildes Tier kategorisiert: »Elefanten und Affen sind wilde Tiere. Einem Menschen ist es erlaubt, mit ihnen zu pflügen und zu ziehen.«
Um einen Elefanten im Traum zu sehen, müsste man wissen, wie er aussieht. Im Talmud heißt es: »Wer Pinchas im Traum sieht, für den ist es ein Omen, dass ein Wunder für ihn geschehen wird – so wie für Pinchas Wunder geschehen sind. Wer einen Elefanten im Traum sieht, für den ist es ein Omen, dass ihm Wunder geschehen werden. Wer mehrere Elefanten im Traum sieht, dem werden Wunder über Wunder geschehen« (Berachot 56b).
Warum Wunder? Ein Spiel mit der Sprache. Der Elefant (Pil) trifft auf Wunder – »pelaot«. Im Original »ha’roeh pil bachalom – pelaot na’asu lo«. Einige Blätter weiter (57b) heißt es dann: »Alle Arten von Tieren im Traum sind ein gutes Omen, ausgenommen der Elefant, der Affe und die Meerkatze. – Der Meister sagte doch aber, wer einen Elefanten im Traum sieht, dem geschehe ein Wunder!? – Das ist kein Widerspruch; das eine gilt, wenn er einen Reitkorb trägt, das andere, wenn er keinen Reitkorb trägt.« Fadenscheinige Argumentationen werden als »Elefant durch ein Nadelöhr führen« bezeichnet (Bawa Metzia 38b) – es geht also wieder um die Größe.
sukka Die bekannteste Erwähnung eines Elefanten im Talmud dürfte jedoch eine Diskussion im Traktat Sukka (23a) sein. Dort wird über die Wände einer Sukka diskutiert und ob man dafür auch ein Tier verwenden könne. Was, wenn das Tier stirbt? Dann wäre die Wand verschwunden und die Sukka nicht mehr »geeignet«. Was, wenn das Tier fortläuft? Dann wäre die Wand verschwunden.
»Wenn man eine Wand mit einem angebundenen Elefanten errichtet hat, sind sich alle einig, dass die Sukka geeignet ist, denn selbst wenn er stirbt und fällt, hat sein Kadaver immer noch eine Höhe von zehn Handbreit und ist geeignet für die Sukka.« Dies ruft ein interessantes Bild hervor: Eine Gruppe talmudischer Rabbinen sitzt neben dem toten Körper eines riesigen Elefanten. Dieses Bild war über Jahrhunderte vielen Europäern, die Talmud lernten, unzugänglich.