Der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr hat während der Herbst-Vollversammlung der katholischen Bischöfe in Fulda dazu aufgerufen, das Gespräch mit Jüdinnen und Juden zu suchen und auf diese Weise jüdisches Leben heute kennenzulernen. So sei gerade das Festjahr »1700 Jahre jüdisches Leben« eine große Chance, den Reichtum der langen jüdischen Tradition in Deutschland und die Lebendigkeit und Vielfalt heutigen Judentums zu entdecken, sagte Neymeyr, Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz, bei einem Pressegespräch am vergangenen Mittwoch.
Dabei standen Neymeyr zwei Mitstreiter zur Seite: Dagmar Mensink, Koordinatorin für religionspolitische Grundsatzfragen bei der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz in Mainz und Vorsitzende des Gesprächskreises Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), sowie Johannes Heil, Ignatz-Bubis-Stiftungsprofessor für Religion, Geschichte und Kultur des europäischen Judentums an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg (HfJS).
NOSTRA AETATE Bischof Neymeyr sieht in dem Festjahr eine Einladung, »unser Verhältnis zum Judentum in den Blick zu nehmen und bewusst zu machen«. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der Erklärung »Nostra aetate« (1965) habe sich das Verhältnis der Kirche zum Judentum grundlegend verändert. In aller Deutlichkeit hätten sich die Konzilsväter von der »Lehre der Verachtung« (Jules Isaac), die über viele Jahrhunderte das Verhalten der Kirche gegenüber Juden und dem Judentum geprägt habe, verabschiedet und die theologischen Grundlagen für einen geschwisterlichen Dialog gelegt: »Dieser ist von Wertschätzung und Freundschaft geprägt«, betonte Neymeyr.
Heute könne von einer Kultur des Dialogs gesprochen werden, die sich auch in Deutschland zwischen Juden und Christen entwickelt habe. Zumal in der Kirche die Einsicht gereift sei, dass »wir unseren christlichen Glauben nicht ohne das Judentum verstehen können, dass Christen und Juden gemeinsam im Bund mit Gott stehen und deshalb zu Partnerschaft im Glauben und in der gesellschaftlichen Praxis aufgerufen sind«.
Nach seiner Überzeugung sei die Begegnung mit Jüdinnen und Juden das beste Mittel, um Antisemitismus vorzubeugen. Der Bischof verwies auf die klare Haltung der Kirche und zitierte Papst Franziskus: »Ein Christ kann kein Antisemit sein!« Neymeyr fügte hinzu, dass es die Pflicht von Christinnen und Christen, aber auch aller Demokraten sei, sich aktiv gegen Antisemitismus einzusetzen. So unterstütze er die Stellungnahme mehrerer jüdischer Organisationen, die dazu aufgerufen hatten, bei der Bundestagswahl nicht die AfD zu wählen.
Auch Dagmar Mensink erkennt in dem Festjahr die Einladung, den jüdisch-christlichen Dialog noch einmal zu verstärken. Der Austausch zwischen Juden und Christen sei keineswegs nur eine Randaufgabe der katholischen Kirche, sondern gehöre gleichsam »zur DNA unseres Glaubens«. Die Kirche müsse dabei Denkmuster überwinden, »die ein überlegenes christliches Wir gegen ein jüdisches Anderes setzen«, so Mensink.
Sie lobte ausdrücklich das Motu proprio (apostolisches Schreiben) mit dem Titel »Traditionis custodes«, mit dem Papst Franziskus die Feier der sogenannten Alten Messe stark einschränkte. Franziskus habe unmissverständlich klargestellt, dass die in Übereinstimmung mit den Dekreten des Zweiten Vatikanischen Konzils veröffentlichten Messbücher von Papst Paul VI. und Papst Johannes Paul II. die einzige Ausdrucksform für die Gebetsordnung des Römischen Ritus seien.
KARFREITAGSFÜRBITTE »Damit kann auch die 2008 von Papst Benedikt XVI. für den Außerordentlichen Ritus formulierte Karfreitagsfürbitte für die Juden, die im katholisch-jüdischen Verhältnis zu so viel Enttäuschung und Verletzung geführt hat, nicht länger beanspruchen, als Ausdruck der Lex orandi (wörtlich: Gesetz des Betens) zu gelten.« Auch für den gesellschaftlichen Diskurs könnten Christen einen kritischen Beitrag leisten, indem sie Denkmuster des christlichen Antijudaismus in Formen des säkularen Antisemitismus entlarven.
Der Historiker Johannes Heil nahm die Kirchen und kirchlichen Gemeinden in die Pflicht, gegen antisemitische, ausländerfeindliche, rassistische und diskriminierende Positionen Stellung zu beziehen. Solche Haltungen dürften »besonders im kirchlichen Leben keinen Platz haben, erst recht keine in der alten antijudaistischen Tradition stehenden Gewohnheiten«, sagte Heil.
Der Professor warb bei dem Gespräch darum, dass Theologie und Pastoral auf grundsätzlicher Ebene noch entschiedener auf ihre Sprache achten: »Aus der Vergangenheit gespeiste Sprechgewohnheiten können leicht erhebliche Irritationen hervorrufen.« Heil nannte ein Beispiel: Eine liturgische Prophetenlesung und -deutung müsse stets erkennen lassen, dass ihr christliches Verständnis kein exklusives, erst recht nicht ersetzendes und überschreibendes sei: »Das ist seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil theologisch, nicht aber in der Praxis allerorten selbstverständlich«, beklagte Johannes Heil.