Fast wäre dieser Text nicht rechtzeitig fertig geworden. Denn ich hatte hohes Fieber und musste mich von meiner Frau versorgen lassen. Die ganze Nacht hatte ich Schüttelfrost und konnte schlecht schlafen. Auf sage und schreibe 38 Grad stieg das Thermometer! Mehrmals in der Nacht habe ich nachgemessen. Dazu musste ich das Licht anschalten, wie hätte ich sonst das Ergebnis ablesen können. Ich habe dann jedes Mal meine Frau geweckt und ihr meine Temperatur mitgeteilt. Denn sicher war sie besorgt um mich. Ich habe eine Fieberkurve erstellt und die aktuellen Ergebnisse eingetragen. Eine Excel-Tabelle.
Vermutlich war es ansteckend. Meine Frau sah am nächsten Morgen auch ganz angegriffen aus. Sie sagte, sie hätte kaum geschlafen. Aber ich war mir sicher, sie würde es leicht wegstecken. Frauen sind robuster und widerstandsfähiger als Männer. Schließlich steckt ihr Körper ja auch die Qualen der Geburt relativ leicht weg.
Grübeln Die Nachwirkungen meines Fiebers hielten noch Tage an. Vorsichtshalber habe ich in den folgenden Nächten stündlich nachgemessen. Was für ein Fieber! Ein Albtraum. Ich habe viel darüber nachgegrübelt, wo ich mich hätte angesteckt haben können. Vermutlich war es keine Ansteckung, sondern eine Folge der Pessachnahrung. Eine Tortur! Die plötzliche Umstellung des Speiseplans lässt einen Organismus, der auf höchste Leistung trainiert ist, sensibel reagieren. Aber noch schlimmer ist Jom Kippur. Gleich nach dem Aufstehen spüre ich, dass mein Körper gemartert wird. Dieser unfassbare Hunger, dieses unfassbare Gefühl von Durst!
Als leidgeprüfter Mann kenne ich die Leiden meiner Geschlechtsgenossen und habe gelernt, dass es mit voranschreitendem Alter nicht besser wird. Nein, wir werden sensibler! Kürzlich begann in der Synagoge hinter mir ein älterer Mann während des Gebets zu seufzen. Leise aber hörbar. Zunächst mit großen Pausen, doch dann wurden die Abstände immer kürzer. Ähnlich wie bei Wehen. Ein paar Mal blickte ich mich um. Alles sah normal aus. Der Mann machte einen gesunden Eindruck. Schließlich flüsterte er in seinem wehenhaften Seufzen: »Oooh, ich habe so einen Durst!« Natürlich. In der Synagoge war es warm. Kurze Zeit später wieder: »Ooooohh, ich habe so einen Durst!« Nach dem zwanzigsten Wehklagen besorgte ich ihm einen Plastikbecher mit Wasser. Ein Abenteuer für sich, denn ich war mir nicht sicher, ob es sich gehört, Getränke mit ins Morgengebet zu bringen.
Wasser Als Retter in der Not versorgte ich jedenfalls den Verdurstenden mit Wasser. Doch nach einigen Minuten setzten die Wehen von Neuem ein. Zuerst in größeren Abständen, später immer häufiger. Als ich es nicht mehr aushielt, fragte ich, was nicht in Ordnung sei. »Ooooh!«, sagte der Mann, »ich hatte einen so starken Durst, ich hatte so starken Durst!«