Bekleidung

Das richtige Outfit

Warum beim Synagogenbesuch Stilsicherheit gefragt ist

von Daniel Neumann  21.03.2025 09:52 Uhr

Schick in die Synagoge? Ein Muss Foto: Getty Images

Warum beim Synagogenbesuch Stilsicherheit gefragt ist

von Daniel Neumann  21.03.2025 09:52 Uhr

Mark Twain hat einmal gesagt: »Kleider machen Leute. Nackte Menschen haben sehr wenig oder gar keinen Einfluss auf die Gesellschaft.« Dieses Zitat ist zwar nicht mehr ganz taufrisch, aber es hat wohl kaum etwas an Aktualität eingebüßt. Denn damals wie heute spielt Kleidung eine wichtige Rolle. Sie kann Macht und Herrschaft kennzeichnen, Zugehörigkeit symbolisieren, Wertschätzung transportieren. Sie kann auch zu einem Erkennungszeichen werden, und zwar freiwillig oder gezwungenermaßen.

Gerade mit Letzterem haben wir Juden viele schlechte Erfahrungen machen müssen. Denn es geschah im Laufe unserer wechselhaften Geschichte nicht selten, dass Juden von den Autoritäten Kleidungsvorschriften aufoktroyiert bekamen. Dass sie gezwungen wurden, für alle anderen als andere erkennbar zu werden, also gekennzeichnet, stigmatisiert, ausgesondert. Das ging unter islamischer Herrschaft bereits im 8. Jahrhundert los. Damals wurden Juden in Persien gezwungen, gelbe Gürtel zu tragen, um identifizierbar zu sein – als Menschen zweiter Klasse.

Anders als Amtsträger in anderen Religionen sind Rabbiner nur selten als Rabbiner erkennbar.

Andernorts wurden bestimmte Halsketten oder verschiedenfarbige Schuhe verordnet. Die Kirche stand dem in nichts nach und griff ebenfalls zu unterschiedlichen Symbolen. So wurde beispielsweise im Jahr 1215 beim 4. Laterankonzil unter Papst Innozenz III. Folgendes beschlossen: »Juden und Sarazenen beiderlei Geschlechts in jeder christlichen Provinz und zu allen Zeiten sollen in den Augen der Öffentlichkeit durch die Art ihrer Kleidung von anderen Völkern unterschieden sein« (Kanon 68).

Je nach Region und Zeit mussten Juden fortan sogenannte Judenhüte oder gelbe Ringe oder Flecken auf der Kleidung tragen. Gelb war übrigens deshalb eine beliebte Farbe, da sie zumindest im Abendland für Sünden wie Neid, Geiz oder Hochmut stand – all das Negative, das man nur allzu gern mit den Juden in Verbindung brachte.

Jedenfalls muss man kein Historiker sein, um die Linie zu erkennen, die vom gelben Gürtel über den gelben Ring bis zum sogenannten »Judenstern« der Nazis reichte. Also jenem gelben Stern, den die Juden ab 1941 im gesamten Deutschen Reich zu tragen gezwungen wurden. Auf Zuwiderhandlung stand die Todesstrafe. Auch wenn die Nazis die demütigende Kennzeichnung in der ihnen vertrauten Weise auf ein neues Level hoben, war es doch nur der bisherige Höhepunkt einer langen historischen Tradition. Einer Tradition der Markierung, der Stigmatisierung und der Diffamierung.

Doch langsam. Die schlechten Erfahrungen mit Kleidungsvorschriften sind für Juden zwar ziemlich umfangreich. Sie beschreiben das Verhältnis zu Kleidern, Kleidung und Ästhetik aber nur unzureichend. Schließlich gibt es auch eine Reihe von Kleidungsstücken oder Erkennungszeichen, die ganz freiwillig getragen wurden.

So etwa die Kippa oder der Tallit. Und wer kennt sie nicht, die traditionelle Kleidung aus den früheren Schtetls in Polen oder Russland. Den langen schwarzen Mantel namens Kaftan, der durch einen Gürtel ergänzt wird. Oder den markanten Pelzhut, den Schtreimel. Die Schtetls gibt es zwar schon lange nicht mehr, da sie in dem lodernden Judenhass des vorigen Jahrhunderts dem Erdboden gleichgemacht wurden. Aber die traditionelle osteuropäisch-jüdische Kleidung hat sich in die Neue Welt hinübergerettet und findet sich auch heute noch in den Zirkeln bestimmter orthodoxer Gruppen.

Gewiss, dieser Kleidungsstil gehört nicht unbedingt zur Haute Couture, aber er ist durchaus apart und zieht einige Blicke auf sich. Auch wenn man schon in bestimmte orthodoxe Viertel in den USA, in Israel, England, Belgien oder Frankreich reisen muss, um den so gekleideten Zeitgenossen zu begegnen.

Mal abgesehen von diesen historischen Trachten, die nur von bestimmten Gruppen getragen werden, lassen sich Juden allerdings nur selten anhand ihrer Kleidung unterscheiden. Und das gilt auch für Rabbiner. Denn im Gegensatz zu vielen Amtsträgern in anderen Religionen, die durch eine besondere Amtstracht erkennbar sind, ist dies bei Juden in aller Regel nicht der Fall. Buddhisten etwa erkennt man ohne Weiteres an ihren Gewändern. Ebenso Hindus. Evangelische Pfarrer begegnen uns im Gʼttesdienst meist mit schwarzem Talar und weißem Beffchen. Und katholische Priester häufig im prächtigen Messgewand.

Rabbiner hingegen sind nur selten als Rabbiner erkennbar. Sie sehen aus wie jedermann. Mit anderen Worten: Sie haben keine spezielle Amtstracht. Tragen keine besonderen Erkennungszeichen, besitzen keine exklusiven Insignien. Natürlich, sie tragen in der Regel eine Kopfbedeckung, eine Kippa. Aber das tun auch andere Juden, sofern sie sich als religiös, orthodox oder was auch immer verstehen. Wobei: Inzwischen gibt es bestimmte religiöse Bewegungen wie Chabad Lubawitsch, die durch einen bestimmten uniformen Kleidungsstil auffallen. Schwarze Hüte, schwarze Anzüge und weiße Hemden. Da die Männer obendrein lange Bärte tragen, entstehen mitunter amüsante Gruppenfotos.

Aber dennoch ist das keine Amtstracht, die sich von dem gängigen Kleidungsstil merklich unterscheidet. Nun könnte man auf die Idee kommen, dass Kleidung für uns Juden nicht besonders wichtig sei. Zumal sie schnell dazu verleiten kann, sich von
Äußerlichkeiten blenden zu lassen. Und an dieser Sorge ist mit einem kurzen Blick in die Tora durchaus etwas dran.

Das heißt aber nicht, dass Kleidung nicht wichtig wäre. Ganz im Gegenteil. Denn an anderer Stelle macht die Tora durchaus detaillierte Vorgaben, wie die Kleider der Priester gefertigt werden sollen, die einst im Tempel von Jerusalem ihren Dienst taten. Von den Beinkleidern über den Rock, den Mantel, den Gurt, den Kopfschmuck bis hin zum Brustschild. Von den Materialien über die Farben hin zu den Formen sollte jedes Kleidungsstück davon zeugen, dass es für einen besonderen, einen heiligen Zweck gefertigt wurde.

Nun gibt es heute bekanntermaßen keinen Tempel mehr. Und damit auch keinen Tempeldienst und auch keine speziellen Gewänder oder andere Utensilien, die Heiligkeit atmen – doch die Idee, die in diesen Vorschriften zum Ausdruck kommt, ist keineswegs überholt. Schließlich gibt es auch heute noch besondere Zeiten wie etwa den Schabbat. Zeiten also, die wir heiligen und die sich vom Rest der Woche unterscheiden. Zeiten, deren Achtung wir unter anderem durch unsere Kleidung zum Ausdruck bringen.

Schon im Talmud steht, dass man am Schabbat andere Kleidung tragen soll als unter der Woche.

Erst recht, wenn wir zum Schabbat die Synagoge besuchen. Schon unsere Weisen geboten im Talmud, dass die Kleidung, die man am Schabbat trägt, nicht dieselbe Kleidung sein soll, die man unter der Woche trägt (Schabbat 113a). Für jemanden, der ohnehin täglich Anzüge trägt, ist das zwar nicht ganz so leicht zu bewerkstelligen, aber der Gedanke ist klar: Der Schabbat ist ein besonderer Tag, dem man auch durch festliche Kleidung Rechnung trägt.

Es wundert mich offen gesagt immer wieder, wie leger viele meiner Glaubensgenossen zum Schabbat in die Synagoge kommen. Nicht, dass man einen Feiertag nicht auch in T-Shirt und Shorts begehen könnte. Aber ist es die richtige Kleidung, um dem Ort, dem Anlass und dem Ewigen Tribut zu zollen? Glaubt man wirklich, dass es überhaupt keine Rolle spielt, wie man herumläuft und was man anzieht? Dass ein Jogging­anzug keinen Unterschied zu festlicher Kleidung macht? Schließlich verändert die jeweilige Kleidung ja nicht nur die Art und Weise, wie man von der Außenwelt wahrgenommen wird. Sondern sie hat auch erheblichen Einfluss auf das eigene Empfinden. Sie ist Ausdruck von Wertschätzung und Respekt gegenüber dem Anlass und dem Umfeld.

Davon zeugt auch mancher Witz, wie der, in dem ein Reisender sich in einem kleinen galizischen Dorf beim jüdischen Schneider eine Hose bestellt. Entgegen seiner Ankündigung schafft es der Schneider allerdings nicht, die Hose vor der Abfahrt des Reisenden fertigzustellen. Sieben Jahre später kommt der Reisende wieder in dem Dorf vorbei und der Schneider überreicht ihm stolz die Hose. Da sagt der Reisende wütend: »Gʼtt hat die ganze Welt in sieben Tagen geschaffen und du brauchst sieben Jahre für eine Hose?« Daraufhin erwidert der Schneider: »Ja! Aber guck dir mal diese vermurkste Welt an und dann schau dir diese wunderbare Hose an!«

Es mag einem gefallen oder nicht. Man mag es akzeptieren oder dagegen protestieren. Aber »Kleider machen Leute«. Und eine saubere, gepflegte Kleidung hat noch niemandem geschadet. Ganz im Gegenteil!

Der Autor ist Jurist und Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen.

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