Rabbiner Brukner, die Kirchen in Nordrhein-Westfalen haben die Forderung von Innenminister Herbert Reul (CDU) zurückgewiesen, auf Präsenzg’ttesdienste zu verzichten – er hatte sich nach einem mutmaßlichen Corona-Ausbruch in einer freikirchlichen Gemeinde geäußert. Wie stehen Sie als Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln dazu?
Ich bin den Kirchen dankbar dafür, dass sie sich dieser Forderung eindeutig und entschlossen entgegengestellt haben. Auch wir wollen auf Präsenzg’ttesdienste nicht verzichten. Wir verhalten uns sehr verantwortlich und legen durchgehend Selbstdisziplin an den Tag.
Wie funktioniert Ihr aktuelles Hygienekonzept?
Am Eingang zur Synagoge werden FFP2-Masken verteilt. Es ist für jeden selbstverständlich, diese Masken zu tragen, und wenn jemand eine herkömmliche Maske trägt, wird ihm erklärt, dass er nur mit einer FFP2-Maske Zugang zum G’ttesdienst bekommt. Wir beten seit eineinhalb Jahren nur in der großen Synagoge, die Plätze in den Bänken sind weit voneinander entfernt, und sie sind mit Plexiglas-Schranken voneinander getrennt, Gemeinschaftsgesang gibt es derzeit nicht, und sogar der Chor ist lahmgelegt. Der Abstand zwischen dem Baal Kore und den Gabbaim wird eingehalten. Auf manche Bräuche, die beim Einheben und Ausheben der Tora nicht ohne Distanz funktionieren, verzichten wir nach wie vor. Und deshalb würde ich mich mit Händen und Füßen dagegen wehren, wenn man versuchen würde, unsere G’ttesdienste zu unterbinden. Es gibt übrigens auch noch einen weiteren Grund, warum die Synagogen offen bleiben sollten.
Nämlich?
Würde man die Synagogen schließen – wie im März des Jahres, als in unserem Elternheim Corona ausgebrochen ist und viele Opfer gefordert hat –, könnten sich manche Beter privat treffen und »Haus-Minjanim« organisieren, nicht unter der Aufsicht der Gemeinde natürlich. Ja, das ist auch schon geschehen, denn das religiöse Bedürfnis der Menschen, gemeinsam zu beten, ist sehr groß. Und natürlich wurden die Corona-Regeln dabei weniger streng beachtet, als es in der Synagoge möglich ist. Wenn wir die Menschen also aus der Synagoge ausschließen, dann treiben wir sie dorthin, wo sie gefährdeter sind – auch wenn es nicht unter unserer direkten Verantwortung geschieht. Das müssen wir in unsere Überlegungen mit einbeziehen!
Sie sind oft in Israel. Wie erleben Sie jetzt dort G’ttesdienste?
Bei meinem Israel-Besuch im März hatte ich ein wunderbares Erlebnis. In dem kleinen Ort, wo meine Familie lebt, gibt es »Straßen-Minjanim« zu verschiedenen Zeiten. Wenn aus der Tora vorgelesen wurde, hat einer die Sefer Tora gebracht. Das Gebet hat immer unter Einhaltung der Maskenpflicht unter freiem Himmel stattgefunden – bei Regen wurde ein Zelt aufgestellt. Die Leute haben sich daran gewöhnt, es haben sich Gruppen gebildet. Und jetzt, wo sich, G’tt sei Dank, in Israel alles sehr schnell normalisiert hat und man mit Maske wieder in die Synagoge kann – wobei die Teilnehmerzahl immer noch beschränkt ist –, fällt es den Leuten richtig schwer, auf das Gebet im Vorhof zu verzichten. Die Rückkehr zur Normalität fällt ihnen nicht leicht – es war so bequem, schnell einen Stuhl aus dem Wohnzimmer zu holen und draußen mit den Nachbarn zu beten! Außerdem sind die unter 16-Jährigen noch nicht geimpft. Zudem gibt es auch in Israel Impfgegner. Die Gesellschaft allerdings ist ihnen gegenüber sehr tolerant. Es ist natürlich leichter, auch diese Menschen einzubeziehen, wenn man weiterhin unter freiem Himmel betet. Die hätten sonst nämlich ein Problem – sie dürfen nicht in die Synagoge.
Sie sind am Sonntag erneut aus Israel zurückgekehrt, drei Tage nach der Massenpanik an Lag BaOmer auf dem Berg Meron …
Diese Katastrophe ist nicht nur das Unglück der unmittelbar betroffenen Familien, dieses unbeschreiblich schreckliche Ereignis ist eine Mahnung an uns alle, als jüdisches Volk zusammenzustehen und unsere Verbindung trotz Verschiedenheiten zueinander zu stärken – dies vor allem mit Blick auf die Zukunft.
Mit dem Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) sprach Ayala Goldmann.