Im Wochenabschnitt Mischpatim begegnen wir einer geradezu revolutionären Institution: dem Schabbatjahr. Es bringt die tiefe Verbundenheit unseres Volkes mit dem Ewigen zum Ausdruck und will uns daran erinnern, dass der Ewige der Herr des Landes ist. Daher soll das Land im siebten Jahr ausruhen, wie ja gleichfalls der Mensch am siebten Tag ausruht.
Das Schabbatjahr stellt eine Parallele des Schabbattages dar, und ohne tieferen Einblick in dessen Bedeutung bleibt es unverständlich. Uns Menschen ist aufgetragen, sechs Tage schöpferisch zu wirken, aber am siebten Tag sollen wir unsere Produktivität in Blick auf den Ewigen, die Urquelle der Schöpferkraft in der Weltschöpfung, zum Erliegen bringen.
Der Schabbat wird nicht dadurch begründet, dass sich der Mensch, nachdem er tagelang gearbeitet hat, auch mal entspannen muss. Die Erklärung liegt vielmehr im Hinweis auf das Handeln G’ttes, der in sechs Tagen Himmel und Erde und das Meer und alles, was in ihnen ist, geschaffen hat und am siebten Tag ruhte. Deshalb segnete Er den Schabbattag und heiligte ihn, wie wir jede Woche am Schabbat reflektieren.
erneuerung Wir sehen den feinen Unterschied zum Alltag und merken, dass die Gründe der Arbeitsunterbrechung am Schabbat alles andere als unwichtig sind: Unterbrechen wir die Arbeit, weil wir müde und abgespannt sind, weil wir uns endlich nicht mehr dem Alltagszwang unterordnen wollen? Schabbat bedeutet die größtmögliche Erneuerung der physischen und psychischen Kräfte. Weil uns an diesem Tag die Tora wirkliche Freiheit schenkt, werden wir frei für uns und für den anderen, unabhängig von seiner sozialen Rangstellung. Vor unserem Schöpfer sind wir alle gleich.
Daher liegt der tiefste Sinn des Schabbats in der Aufforderung, alle Geschöpfe G’ttes, und somit selbstverständlich den Fremden, den Knecht und die Tiere vom Zwang des Arbeitsdruckes zu entbinden. Die Tora fordert Gleichheit vor dem Ewigen.
Ebenso verhält es sich beim Schabbatjahr: Der Besitzende verliert seinen Ausschließlichkeitsanspruch auf den Boden und wird dazu angehalten, die von sich aus wachsenden Feldfrüchte mit dem Besitzlosen zu teilen. Wir sollen uns vergegenwärtigen, dass das Land dem Ewigen gehört. Deshalb sollen wir auch in den sechs, das Schabbatjahr umgebenden, Jahren kein ausbeuterisches Verhalten an den Tag legen.
Randgruppen Wir lernen aus dem Schabbatjahr über unsere Verpflichtung, uns um die Randgruppen der Gesellschaft zu kümmern, denn wir wissen selbst am allerbesten, was es bedeutet, ausgegrenzt zu sein. Deswegen ermahnt uns die Tora in unserer Parascha mit folgenden Worten: »Und den Fremden bedrücke nicht. Denn ihr wisst, wie sich der Fremde fühlt, weil ihr Fremde in Ägypten gewesen seid« (2. Buch Moses 23,9).
Direkt im Anschluss an diesen Vers lesen wir: »Und besäe dein Land sechs Jahre und sammle seinen Ertrag ein. Aber im siebten Jahr lasse es brach liegen und stelle es zur Verfügung, dass die Bedürftigen deines Volkes davon essen. Und was sie übrig lassen, sollen die Tiere des Feldes essen« (23, 10-11).
Wir lernen in unserer Parascha über die Verantwortung, die wir Menschen unseren Mitmenschen ebenso wie der gesamten Schöpfung entgegenbringen sollen. An Erstere erinnert uns diese Woche der Schabbat Schekalim, der neben Schabbat Sachor, Schabbat Para und Schabbat Hachodesch zu den vier ausgezeichneten Schabbatot vor Pessach gezählt wird.
An diesem Schabbat lesen wir auch von der Verordnung über die Abgabe der Schekalim. Jede über 20 Jahre alte männliche Person wird aufgefordert, eine Silbermünze von einem halben Schekel zu geben. Insgesamt wurden drei halbe Schekel erhoben, die für drei Bereiche Verwendung fanden: zum einen während der Wüstenwanderung zur Bestreitung der Kosten für die Säulen, auf denen das Mischkan ruhte, zum zweiten zur Anschaffung von Gemeindeopfern, Korbanot zibbur, und des Weiteren für Renovierungsarbeiten an den Gebäuden des Bejt ha Mikdasch, Bedek habajt.
bewusstsein Durch die Zahlung dieser halben Schekalim sollte in jedem das Bewusstsein gefestigt werden, dass er verpflichtet ist zur Einrichtung und zum Unterhalt aller religiösen Einrichtungen sowie zur Aufrechterhaltung aller Gebote der Tora sein Möglichstes beizutragen. Denn dadurch wird das Judentum in seiner Gesamtheit erhalten. Hier schließt sich nun der Kreis, der Schabbat, Schabbatjahr und Verantwortung für Mitmensch und Umwelt miteinander verbindet, ein Kreis, der uns an unsere gemeinsame Verantwortung vor unserem Schöpfer erinnert.
Der Autor ist Leiter des religiösen Erziehungswesens der IKG München.