Im Wochenabschnitt Schemini lesen wir zum Ende des Abschnitts einen höchst interessanten Vers: »Denn Ich bin der G’tt (Adonai), der euch aus Ägypten geführt hat, dass Ich euer G’tt (Elohim) sei. Darum sollt ihr heilig sein, denn Ich bin heilig« (3. Buch Mose 11,45).
Zunächst finden sich die beiden, in der Tora häufig verwendeten G’ttesnamen Adonai und Elohim in einem Vers wieder. Zum anderen werden die Kinder Israels zur Heiligkeit aufgefordert. Dieser Vers wirft viele Fragen auf. Wieso benutzt die Tora in diesem Vers die verschiedenen G’ttesnamen?
Was bedeutet es, heilig zu sein? Wie stehen der erste und der zweite Teil des Verses miteinander in Verbindung?
Wahrnehmung Die Mystiker erklären, dass die beiden G’ttesnamen für verschiedene menschliche Wahrnehmungen G’ttes stehen. So repräsentiert der Name »Adonai« das Wahrnehmen des G’ttlichen, während es sich auf wundersame und übernatürliche Art und Weise manifestiert. Der Name »Elohim« steht für das Wahrnehmen des G’ttlichen, das sich im alltäglichen Leben zeigt.
Als die Israeliten die Wunder des Exodus sahen, offenbarte sich G’tt durch sein Wirken als »Adonai«.
Als die Israeliten die Wunder des Exodus sahen, offenbarte sich G’tt durch sein Wirken als »Adonai«. Wenn wir die Schönheit der Schöpfung betrachten, sehen wir, wie sich G’tt durch sein Wirken als »Elohim« offenbart.
So benutzt die Tora im ersten Schöpfungsbericht, im ersten Kapitel des 1. Buches Mose, ausschließlich den Namen »Elohim«, denn es geht dort um das Inkraftsetzen der Naturgesetze.
Im zweiten Schöpfungsbericht hingegen, im zweiten Kapitel des Buches Bereschit, wird auch der Name »Adonai« verwendet. »Da machte Adonai, Elohim, den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Geist des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen« (1. Buch Mose 2,7).
Die Erschaffung des Menschen wird hier als Wunder begriffen. Der aus Staub bestehende Mensch kann Mensch sein, da sich der Geist des Lebens in ihm befindet. Die bloße Materie wird belebt, kann nun als Partner des Schöpfers agieren. Daher wird hier auch der G’ttesname »Adonai« benutzt, neben dem im vorigen Schöpfungsbericht ausschließlich verwendeten »Elohim«.
Die moderne Bibelkritik sieht in der Verwendung verschiedener G’ttesnamen ein Indiz dafür, dass der Bibeltext von verschiedenen Autoren verfasst wurde.
Die jüdische Tradition wiederum hatte schon Jahrhunderte vor dem Auftreten der modernen Bibelkritik die verschiedenen G’ttesnamen als Ausdruck der verschiedenen menschlichen Wahrnehmungen G’ttes verstanden.
erklärung Wenden wir uns nun wieder dem Vers zu: »Denn ich bin der G’tt (Adonai), der euch aus Ägypten geführt hat, dass Ich euer G’tt (Elohim) sei.«
Die mystische Erklärung der G’ttesnamen lässt eine neue Interpretation des Verses zu. G’tt (Adonai) führte das jüdische Volk mit zahlreichen Zeichen und Wundern aus der ägyptischen Sklaverei heraus. Doch dies geschah aus einem bestimmten Grund: »Dass ich euer G’tt (Elohim) sei.« Er führte das jüdische Volk aus der Sklaverei heraus, um daraufhin auch in den alltäglichen Wundern erkannt zu werden, um die Menschheit zu lehren, dass der Sonnenaufgang nicht weniger wundersam ist als die Spaltung des Meeres.
Vielleicht kann diese Erkenntnis auch eine Überleitung zum Begriff der Heiligkeit darstellen. Wenn wir in der westlichen Welt an einen Heiligen denken, dann stellen wir uns oft einen asketischen Weisen vor, der die Welt und ihren Trubel verlassen hat, um sich G’tt hinzugeben. Die wenigsten würden bei dem Wort »heilig« wohl an einen Sportler oder an eine Unternehmerin denken.
Doch die Tora fordert alle in der Gesellschaft auf, heilig zu sein. Die Tora glaubt auch nicht an den asketischen Lebensstil. Im Gegenteil. Sie gebietet die Ehe, das Essen und das Trinken, das alltägliche Leben. Und trotzdem fordert sie Heiligkeit.
In der traditionellen jüdischen Philosophie ist der Mensch, der ein heiliges Leben führt, ein auf den ersten Blick ganz irdischer Mensch. Er hat eine Familie, einen Beruf, soziale Kontakte. Doch gleichzeitig ist dieser Mensch durch und durch spirituell. In der Familie und im Beruf, mit jedem Atemzug versucht der heilige Mensch, das Gute zu wählen und sich vom Bösen fernzuhalten. Er löst sich dabei jedoch nicht vom irdischen Dasein, unabhängig davon, wie unpraktisch die Wahl zugunsten des Guten zu sein scheint.
Diese Kombination des Irdischen und des Spirituellen im Alltag zu verwirklichen, ist um einiges anspruchsvoller, als sich vom Irdischen zu lösen.
kohanim Die Tora beschreibt ihr Ideal vom jüdischen Volk mit einem Vers im 2. Buch Mose: »Und ihr sollt Mir werden ein Königreich von Priestern (Kohanim) und ein heiliges Volk« (19,6).
So wie die Kohanim die Rolle der treibenden moralischen Instanz im jüdischen Volk ausüben sollen, so soll das gesamte Volk zu den Kohanim der Menschheit werden. Und das nicht, weil das jüdische Volk in irgendeiner Art und Weise überlegen ist, sondern weil es einer Aufgabe geweiht wurde.
Das jüdische Volk soll der Menschheit offenbaren: G’tt ist in allem. Die Spiritualität ist nichts, was vom Alltag getrennt werden kann.
Das jüdische Volk soll der Menschheit offenbaren: G’tt ist in allem. Die Spiritualität ist nichts, was vom Alltag getrennt werden kann. G’tt ist in unseren irdischsten Momenten. Wir können ihn in der Natur erkennen, im Körper. Im Buch Hiob heißt es: »Aus meinem Fleisch erkenne ich G’tt« (19,26).
Daher ist auch das jüdische Religionsgesetz, die Halacha, voll und ganz auf das Diesseits fokussiert. Es geht darum, was man essen darf und was nicht, zu welchen Anlässen man trinken sollte und wann man es lieber lässt. G’tt soll beim Essen, beim Schlafen und beim Sprechen offenbart werden.
Durch das heilige Leben offenbart man, dass Spiritualität und Alltag nicht im Widerspruch zueinander stehen. Sie bilden eine Einheit genauso wie die Wunder und die Natur, wie die G’ttesnamen »Adonai« und »Elohim«.
Der Prophet Secharja sagt vom messianischen Zeitalter: »An jenem Tag wird der Ewige (Adonai) eins und sein Name eins sein« (14,9). Vielleicht bedeutet dies auch, dass der Mensch verstehen wird, dass die authentische Spiritualität im Alltag gefunden werden kann. Denn Natur und Wunder sind eins.
Der Autor studiert Sozialarbeit in Berlin.
inhalt
Der Wochenabschnitt Schemini schildert zunächst die Amtseinführung Aharons und seiner Söhne als Priester sowie ihr erstes Opfer. Dann folgt die Vorschrift, dass die Priester, die den Dienst verrichten, weder Wein noch andere berauschende Getränke trinken dürfen. Der Abschnitt listet auf, welche Tiere koscher sind und welche nicht, und er erklärt, wie mit der Verunreinigung durch tote Tiere umzugehen ist.
3. Buch Mose 9,1 – 11,47