Als ich an einem Erew Schabbat in Pisgat Zeev zum Einkaufen ging, hörte ich ein Gespräch zwischen einem Mann und seiner Tochter. Das Mädchen, etwa acht Jahre alt, beteuerte, sie habe sich heute sehr gut verhalten und auch den Rest der Woche, und der Vater hätte ihr gesagt, wenn sie sich bis Sonntag gut verhielte, würde er ihr einen Luftballon kaufen.
»Aber nicht einen normalen Ballon, sondern einen, wie ich ihn will.« Und sie fragte weiter, ob sie den Ballon am Sonntag oder am Montag kaufen würden. Der Vater antwortete, er habe nicht gesagt, dass er ihr einen Ballon kaufen würde, wenn sie sich bis Sonntag gut benähme, sondern dass er ihr dann vielleicht einen Ballon kaufe.
Funktioniert das so? Ich bekomme eine Bedingung gestellt, und wenn ich sie erfülle, dann werde ich möglicherweise etwas dafür bekommen? »Wenn … dann ...« gibt mir eine gewisse Sicherheit, aber »wenn … dann vielleicht …« ist wenig verbindlich.
risiko In der Parascha Matot haben wir eine ähnliche Situation (4. Buch Mose 32,29): Zwei Stämme wollen ihr Land östlich des Jordans bekommen, wobei alle anderen zunächst den Jordan überqueren und dann für ihr Land kämpfen müssen. Mosche ist zunächst nicht begeistert davon; es klingt so, als ob sich die beiden Stämme vor der Konfrontation und dem damit verbunden Risiko scheuten.
Mosche fragt, ob sie allen Ernstes so ein schlechtes Beispiel abgeben möchten, das vielleicht sogar den Mut des restlichen Volkes schmälern und es zur Umkehr bewegen könnte, wie dies schon zur Zeit der zwölf Kundschafter geschehen ist. Gad und Reuven erklären sich jedoch bereit, ihre Familien und Tiere zu versorgen und dann mit dem restlichen Volk das Land zu erobern. Mosche, der weiß, dass er das Land nicht betreten wird, verkündet dem ganzen Volk die ausgehandelte Bedingung und sagt: »Wenn die Söhne Gads und die Söhne Reuvens mit euch den Jordan überqueren, bereit zum Krieg vor dem Ewigen, und das Land euch untertan ist, dann sollt ihr ihnen das Land Gil’ad zum Anteil geben.«
KLarheit Dies ist eine klare Bedingung. Reuven und Gad möchten gern am Ostufer des Jordans siedeln, auf einem Land, das bereits erobert ist. Mosche sagt: »Diese hier bleiben hier, aber sie helfen euch vorher, euer Land zu erobern. Danach erst werden sie zurückkehren.«
Die übrigen Stämme haben nun die Sicherheit, dass sie nicht allein werden kämpfen müssen, und Reuven und Gad haben die Sicherheit, dass sie danach zu ihren Familien und Herden zurückkehren können. Beide Seiten vertrauen auf die Einhaltung dieser Bedingungen.
Dies lesen wir am Ende der Parascha. Am Anfang hatte Mosche den Anführern der Stämme erklärt, dass jemand, der ein Neder, einen Schwur, ablegt oder etwas schwört, dazu verpflichtet ist, es zu halten. »Kechol hajoze miPiw, ja’asse« (Tue, was du versprochen hast zu tun). Hier handelt es sich nicht unbedingt um eine Bedingung, sondern um eine einseitige Verpflichtung. Ich sage, dass ich dies und jenes tun oder lassen werde. In diesem Fall geht es um Nedarim und Schewuot, um Schwüre und Gelübde – G’tt gegenüber, aber dasselbe gilt gegenüber Mitmenschen.
Wie schwerwiegend die Nichteinhaltung des eigenen Wortes ist, lesen wir im Babylonischen Talmud im Traktat Chullin auf dem ersten Blatt: Rabbi Jehuda ist der Meinung, es sei gut, etwas zu versprechen und es dann zu halten. Rabbi Meir ist der Meinung, am besten sei es, erst gar nichts zu versprechen.
Sich aufeinander verlassen zu können, sich mit und bei dem anderen sicher sein können, ist eine der Grundlagen unserer Gesellschaft. In einer Partnerschaft, in einer Familie, in einer Ehe ist dieses Vertrauen unerlässlich.
Und dieses Vertrauen schaffen wir unter anderem dadurch, dass wir unserem Wort entsprechend handeln. Dazu bedarf es allerdings einiger Voraussetzungen: Man muss sich nicht nur klarmachen, was man will und wie man es umsetzt in all den kleinen Schritten, die dazu notwendig sind, sondern vor allem, muss man sich ständig Rechenschaft über sein Tun und Lassen, Reden und Schweigen ablegen. Nicht unbedingt im Sinn einer Selbstbeurteilung (die ja viel zu schnell auch in eine Selbstverurteilung münden kann), sondern vor allem, um sich stets und ständig klarzumachen: Hier stehe ich jetzt in diesem Prozess.
Zusagen Um das Beispiel des Vaters in der Geschichte mit dem Luftballon aufzugreifen: Er müsste sich sagen, dass er solcherlei Zusagen nicht leichtfertig machen darf, wenn er nicht unbedingt dazu bereit ist, ihnen auch die (zugesagten) Taten folgen zu lassen. Das ist die Beobachtung: Dass man unüberlegt Versprechungen macht und erst viel zu spät merkt, was man da vielleicht angerichtet hat. Wahrscheinlich lässt sich das nicht vermeiden, denn es ist nur allzu menschlich, sich so oder ähnlich zu verhalten, und man weiß es möglicherweise nicht besser.
Deswegen werden wir Menschen immer wieder ermahnt – ja, wir müssen dazu ermahnt werden –, es nicht dabei zu belassen, sondern den Schritt zur Besonnenheit zu wagen, zur Vernunft, die deutlich bewertet, was gerade notwendig ist. Der Luftballonvater meint es ja nicht böse mit seiner Tochter, er ist nur gedankenlos und verdient daher eher unser Mitgefühl als unsere Kritik. Denn: Wie soll dieses Mädchen ein Vertrauensverhältnis zu ihrem Vater aufbauen, wenn sie sich doch so verhält, wie ihr Vater es möchte, aber niemals den Ballon bekommt, auf den sie sich so freute und den sie offenbar auch verdient hat?
Die Kraft und Wichtigkeit des Wortes zu kennen und zu lernen, wie man damit dem Bruder (hebräisch: »Ach«) und dem Anderen (hebräisch: »Acher«) gegenüber mit Verantwortung (hebräisch: »Achrajut«) umgeht, ist eine große und wichtige Lehre. Sie ziehen wir aus dieser Parascha. Insofern ist sie eine Ermahnung zur Vernunft, die uns Menschen dazu motivieren möchte, behutsamer und verständlicher mit uns selbst und miteinander umzugehen.
Der Autor ist rabbinischer Studienleiter des Ernst-Ludwig-Ehrlich-Studienwerks (ELES).
Inhalt
Der Wochenabschnitt Matot erzählt von Mosches letztem militärischen Unternehmen, dem Feldzug gegen die Midjaniter. Die Israeliten teilen die Beute auf und besiedeln das Land.
4. Buch Mose 30,2 – 32,42
»Reisen« ist die deutsche Übersetzung des Wochenabschnitts Mass’ej. Und so beginnt er auch mit einer Liste aller Stationen der Reise, durch die Wildnis von Ägypten bis zum Jordan. Mosche sagt den Israeliten, sie müssten die Bewohner des Landes vertreiben und ihre Götzenbilder zerstören.
4. Buch Mose 33,1 – 36,13