Talmudisches

Chana und Eli

Über ein folgenreiches Gespräch im Heiligtum

von Rabbiner Avraham Radbil  19.07.2024 11:17 Uhr

Chana übergibt ihren Sohn Schmuel dem Priester Eli. Foto: Getty Images

Über ein folgenreiches Gespräch im Heiligtum

von Rabbiner Avraham Radbil  19.07.2024 11:17 Uhr

Der Talmud bringt im Traktat Brachot 31ab einige Passagen über die Geschichte von Chana, der unfruchtbaren Ehefrau von Elkana, die darum betete, ein Kind zu bekommen. Der vollständige Text dieser Erzählung, die am ersten Tag von Rosch Haschana stattfand, ist in 1. Schmuel 1–2 zu lesen. So erhörte G’tt die Gebete von Chana, und tatsächlich wird ihre Geschichte als Haftara des ersten Tages von Rosch Haschana gelesen.

Darin geht Chana hinauf zum Heiligtum in Schilo, um den Ewigen zu bitten, ihr ein Kind zu schenken. Sie spricht ein langes stilles Gebet, ohne dass ein Laut ihre Lippen verlässt. Der Hohepriester Eli bemerkt, dass sich ihre Lippen bewegten, aber kein Gebet zu hören ist, und tadelt sie, weil er glaubt, sie hätte in betrunkenem Zustand gebetet.

Chana entgegnet Eli, dass dies nicht stimme, keineswegs sei sie betrunken, sondern nur verbittert, weil sie keine Kinder bekomme, und deshalb schütte sie Haschem gegenüber ihr Herz aus. Eli wünscht ihr alles Gute und verrät ihr, dass ihre Gebete erhört worden seien. Schon im kommenden Jahr werde ein »Mann unter Männern« geboren: der große Prophet Schmuel. Chana gelobt, ihren Sohn dem »Meister von Legionen«, Haschem, zu überlassen. Als er zwei Jahre alt ist, bringt sie den Jungen zum Tempel, damit er bei Eli lebt und lernt.

Dort entscheidet der junge Schmuel in Anwesenheit seines Lehrers Eli über eine halachische Frage und verstößt damit gegen das Gesetz, vor seinem Lehrer einen Psak, eine halachische Entscheidung, zu treffen. Obwohl er korrekt geantwortet hat, verdient er den Tod. Eli sagt Chana, sie solle nicht verzweifeln, er würde Haschem um ein neues Kind bitten, das noch größer und besser als Schmuel sei. Chana fleht Eli an, das Urteil zurückzunehmen, denn Schmuel sei das Kind, für das sie so sehr gebetet habe.

Viele halachische Hinweise leiten sich aus dieser Geschichte ab

Aus dieser Episode leiten wir viele wichtige, praktische Halachot des Gebetes ab, beispielsweise, sich beim Schemone Esre, dem Achtzehnbittengebet, zu konzentrieren. Dabei soll man die Lippen bewegen und jedes Wort leise aussprechen, und zwar so, dass es niemand anderes hören kann. Etz Josef fügt hinzu, wir könnten aus dieser Geschichte lernen, dass ein Betrunkener nicht beten sollte, da er nicht die nötige Konzentrationsfähigkeit mit sich bringe.

Aus Elis Verhalten ziehen die Tosafot den Rückschluss, dass man verpflichtet ist, einen Freund zu tadeln, der sich über ein rabbinisches Verbot hinwegsetzt. Laut der Tora muss aber nur derjenige zurechtgewiesen werden, der gegen ein biblisches Verbot verstößt.

Warum glaubte Eli, Chana sei betrunken gewesen?

Indem Eli Chana wegen der Übertretung eines rabbinischen Gebotes – dem unangemessenen Beten – kritisierte, zeigte er, dass das Gesetz auch hierfür gilt. Warum aber glaubte Eli, sie sei betrunken gewesen? Anscheinend war ihr langes Schweigen ungewöhnlich. Tatsächlich heißt es im Midrasch, Chana sei für dieses exzessive Gebet bestraft worden – ihr Sohn Schmuel starb mit nur 52 Jahren.

Eine ähnliche Idee sehen wir, als es in der Tora um Saras Tod geht. Awraham Avinu beschränkte seine Trauerreden auf ein gewisses Maß, weil längeres Beten und Wehklagen darauf hindeuten könnte, dass Haschem unbekümmert handeln würde.

Elija Ben Salomon Salman, der Gaon von Wilna (1720–1797), hat eine andere faszinierende Erklärung. Er meint, Eli nutze als Hohepriester die Kräfte der Urim und Tumim, also Teile seiner Gewänder, die der Kommunikation mit dem Ewigen dienen, um zu untersuchen, was genau Chana getan hat.

Die Buchstaben des Choschen, des Brustschilds, leuchteten auf: Schin, Kaf, Hei und Resch. Es lag in Elis Verantwortung, diese Botschaft zu entschlüsseln. Er dachte, dass dies »eine betrunkene Frau« (Schikora) bedeutete, lag aber falsch. Eigentlich sollte es »wie Sara« (KeSara) gelesen werden, eine Anspielung auf die kinderlose Sara, die ebenfalls ihr Herz ausschüttete, um schwanger zu werden. Manche sagen, dass dort »keschera« stand, nämlich dass Chana in ihrem Handeln koscher war.

Valentinstag

Eins plus eins gleich eins

Einmal im Jahr Rosen und Pralinen schenken? Die orthodoxe Tradition hat eine andere Vorstellung von der Liebe

von Rabbiner Dovid Gernetz  14.02.2025

Jitro

Das Licht weitertragen

Jeder Einzelne ist Teil des geheiligten Ganzen und hat die Verantwortung, die Tora zu stärken

von Elie Dues  14.02.2025

Talmud

Leben retten

Was unsere Weisen über eine wichtige Mizwa lehren

von Rabbiner Avraham Radbil  14.02.2025

Geiseln und Glaube

»Ich wählte den Weg des Glaubens«

»Agam Bergers Bekenntnis zum jüdischen Glauben wird gleichzeitig bewundert sowie erstaunt zur Kenntnis genommen«, schreibt die Autorin

von Chiara Lipp  13.02.2025

Beschalach

Selbst wirksam werden

Die Tora lehrt, dass der Mensch etwas riskieren muss, bevor ein gʼttliches Wunder geschehen kann

von Rabbiner Bryan Weisz  07.02.2025

Talmudisches

Torastudium

Über die Heilung für den Frust unbeantworteter Gebete

von Vyacheslav Dobrovych  07.02.2025

Trauer

Gibt es jüdische Märtyrer?

Unser Autor besucht als Rabbiner in Israel Familien, die ihre Söhne im Krieg verlieren. Wie kann er sie trösten?

von Rabbiner Raphael Evers  07.02.2025

Tu Bischwat

Neujahr auf der Fensterbank

Anders als in Israel kann man im kalten deutschen Winter keine Bäume pflanzen. Doch es gibt Alternativen, um den Feiertag mit Bedeutung zu füllen

von Helene Shani Braun  06.02.2025

Mazze und Kidduschwein

Pessach-Pakete für junge Gemeindemitglieder bestellbar

Wahlweise kann auch eine Haggada enthalten sein

 04.02.2025