Wieso, weshalb, warum

Blau

Himmel und Ozean sind die Motive, die die jüdische Tradition mit dem blauen Faden der Zizit in Verbindung bringt. Foto: Thinkstock

Wenn wir im Zusammenhang mit dem Judentum an die Farbe Blau denken, so kommt vielen von uns als Erstes die israelische Flagge in den Sinn. Das moderne Hebräisch kennt zwei Bezeichnungen für blau: »kachol« und »techelet«. Das Wort kachol stammt aus dem Akkadischen und gelangte erst Ende des 19. Jahrhunderts in den hebräischen Sprachgebrauch. Techelet hingegen lässt sich insgesamt 48-mal in der Tora finden.

Zizit Die am häufigsten zitierte und dennoch geheimnisvollste Stelle findet sich in Paraschat Schelach Lecha, die den letzten Abschnitt des Schma Jisrael bildet. Dort heißt es: »Sie sollen sich Zizit an die Enden ihrer Kleider machen für alle Generationen. Und sie sollen an die Zizit der Ecke einen Faden himmelblauer Wolle (petil techelet) geben.« Der Farbton techelet (von Assyrisch »takiltu«), der an dieser Stelle mit »himmelblau« übersetzt wird, beschreibt auch die Blautöne schwarzblau, purpurblau und hyazinthblau.

Zur Begründung der Zizit wird ausgeführt: »Damit ihr sie seht und euch an alle Gebote des Ewigen erinnert und sie erfüllt.« Sie stellen also eine Gedächtnisstütze, einen Knoten im Taschentuch, dar, der sogar einen versteckten Hinweis auf die Anzahl der Mizwot insgesamt enthält: Die Addition der Buchstaben des Wortes »Zizit« (90+10+90+10+400) ergibt den Zahlenwert 600. Der einzelne Zizit besteht aus acht Fäden, die der Länge nach fünf Knoten haben – insgesamt also 613. Warum aber gebietet die Tora den einen blauen Faden neben den sieben weißen?

Blau steht in vielen Kulturkreisen für Ruhe und Sicherheit. Reflektiert die Wasseroberfläche das Blau des Himmels, so liegt sie glatt da und verspricht den Seeleuten eine ruhige Überfahrt. Blau symbolisiert auch die Tiefe des Ozeans und die Unendlichkeit des Himmels. Himmel und Ozean sind die Motive, die die jüdische Tradition mit dem blauen Faden der Zizit in Verbindung bringt.

Techelet Im Babylonischen Talmud stellt Rabbi Meir die Frage, warum gerade Techelet als Farbe für den Faden der Zizit gewählt wurde. Seine Antwort lautet: »Weil die Farbe Blau dem Meer gleicht und das Meer dem Himmel gleicht und der Himmel dem himmlischen Thron gleicht.«

Zur Begründung wird ein Toravers aus Paraschat Mischpatim angeführt, in dem steht: »Unter seinen Füßen war wie ein Werk aus leuchtendem Saphir.« »Unter seinen Füßen« wird hier auf die Füße des Thrones Gottes bezogen und nicht auf die Füße des Ewigen selbst. Der Blick auf den blauen Faden soll im Gläubigen eine Assoziationskette vom Blau der Zizit zum saphirblauen Thron Gottes auslösen.

Der Gerer Rebbe Yehudah Aryeh Leib Alter (1847–1905) war der Auffassung, das Wasser stehe als Lebenselixier der Welt für die materielle Dimension der Schöpfung, der Himmel für die spirituelle Dimension und der Thron für die Nähe zu Gott.

Heute strahlen die meisten Schaufäden in reinem Weiß – aber nicht, weil die Gemeinde der Botschaft des blauen Fadens nicht mehr bedarf, sondern weil das Wissen über die Quelle des Farbstoffs verloren ging. Er wurde traditionell aus einem Chilason genannten mediterranen Weichtier entnommen, das man in der nachtalmudischen Zeit aber keiner genauen Spezies mehr zuordnen konnte.

Chilason Der chassidische Rebbe von Radzyn glaubte Ende des 19. Jahrhunderts, den Chilason im Tintenfisch entdeckt zu haben, und forderte, die alte Praxis wiederaufzunehmen.

Der Oberrabbiner des Mandatsgebiets Palästina, Yitzhak HaLevi Herzog, widersprach dem Rebben. Herzog hatte 1913 eine Doktorarbeit verfasst, die die Schnecke Hexaplex trunculus als wahrscheinlichsten Kandidaten für die Techelet-Herstellung darstellte.

Die große Mehrheit der Zizitträger aber blieb den reinweißen Fäden treu und rettete so dem Tintenfisch und den anderen möglichen Kandidaten unter den Weichtieren das Leben.

Rabbi Sholom DovBer Schneersohn (1860–1920), der fünfte Lubawitscher Rebbe, behauptete, der Chilason werde erst wieder auftauchen, wenn der Messias kommt. Bis zu diesem Tag bleibt uns die israelische Fahne.

Chaje Sara

Handeln für Generationen

Was ein Grundstückskauf und eine Eheanbahnung mit der Bindung zum Heiligen Land zu tun haben

von Rabbiner Joel Berger  22.11.2024

Talmudisches

Elefant

Was unsere Weisen über die Dickhäuter lehrten

von Rabbiner Netanel Olhoeft  22.11.2024

Studium

»Was wir von den Rabbinern erwarten, ist enorm«

Seit 15 Jahren werden in Deutschland wieder orthodoxe Rabbiner ausgebildet. Ein Gespräch mit dem Gründungsdirektor des Rabbinerseminars zu Berlin, Josh Spinner, und Zentralratspräsident Josef Schuster

von Mascha Malburg  21.11.2024

Europäische Rabbinerkonferenz

Rabbiner beunruhigt über Papst-Worte zu Völkermord-Untersuchung

Sie sprechen von »heimlicher Propaganda«, um Verantwortung auf die Opfer zu verlagern: Die Europäische Rabbinerkonferenz kritisiert Völkermord-Vorwürfe gegen Israel scharf. Und blickt auch auf jüngste Papst-Äußerungen

von Leticia Witte  19.11.2024

Engagement

Im Kleinen die Welt verbessern

Mitzvah Day: Wie der Tag der guten Taten positiven Einfluss auf die Welt nehmen will

von Paula Konersmann  17.11.2024

Wajera

Offene Türen

Am Beispiel Awrahams lehrt uns die Tora, gastfreundlich zu sein

von David Gavriel Ilishaev  15.11.2024

Talmudisches

Hiob und die Kundschafter

Was unsere Weisen über die Ankunft der Spione schreiben

von Vyacheslav Dobrovych  15.11.2024

Gebote

Himmlische Belohnung

Ein Leben nach Gʼttes Regeln wird honoriert – so steht es in der Tora. Aber wie soll das funktionieren?

von Daniel Neumann  14.11.2024

New York

Sotheby’s will 1500 Jahre alte Steintafel mit den Zehn Geboten versteigern

Mit welcher Summe rechnet das Auktionshaus?

 14.11.2024