Nachdem unsere Vorfahren aus Ägypten ausgezogen sind, folgt die Wanderung durch die Wüste. Doch die anfängliche Freude über die Befreiung aus der Unterdrückung und der Sklaverei wird bald vom anstrengenden und entbehrungsreichen Alltag in der Wüste überschattet.
Am Berg Sinai erhalten sie die Tora. Die Offenbarung macht aus dem ungeordneten Haufen davongelaufener Sklaven ein Volk: das Volk Israel. Aber nur drei Tagesmärsche vom Berg Sinai entfernt, beginnt das Volk zu murren und klagen. Vor allem die mit den Israeliten mitziehenden Ägypter stellen sich als »Trittbrettfahrer« der Befreiung vor. Sie haben sich den Israeliten angeschlossen, weil sie sich ein besseres Leben als zu Hause in Ägypten versprochen haben. Und nun bereuen sie ihre Entscheidung und zeigen sich enttäuscht. So zetteln sie einen Aufruhr gegen Mosche an. Die Aufständischen schreien: »Wir wollen Fleisch essen! Wir haben genug vom Manna, dieser Wüstennahrung!« Sie sehnen sich nach den Sprichwort gewordenen »Fleischtöpfen Ägyptens«.
Not und Pein im fremden Land
In der biblischen Erzählung erleben wir hier zum ersten Mal, wie schnell die Not und Pein im fremden Land vergessen sind. Und wie schnell auch manche Israeliten beginnen, ihr früheres Leben in Unfreiheit zu verklären und in rosigen Farben zu malen. Sie erinnern sich nicht nur an die Fleischtöpfe Ägyptens, sondern schwärmen von Zwiebeln und Kürbissen, die es in Ägypten angeblich in Hülle und Fülle gegeben hat. All das soll ihnen Mosche jetzt gefälligst herbeischaffen.
Und so lässt G’tt in Seiner Fürsorge einen Schwarm Wachteln vorüberfliegen. Einen ganzen Monat lang genießt das Volk mitten in der Wüste den Luxus von Wachteln. Vielen aber liegen sie so schwer im Magen, dass sie ihre Gier mit dem Leben bezahlen. Eine fürchterliche Strafe auf dem Weg in die Freiheit und Unabhängigkeit!
Unsere Kommentatoren zeigen durchaus Verständnis für die Unruhe, die diese nicht-israelitischen Mitläufer unter den Israeliten anzetteln. Sie meinen, dass man von ihnen als Ägypter ja wohl kaum erwarten kann, dass sie über ihren Schatten springen und kommentarlos die beschwerliche Reise in ein Land erdulden, das noch dazu ein unsichtbarer G’tt versprochen hat.
Der erste Priester der Israeliten
Viel strenger urteilen unsere Schriftgelehrten über Mosches Bruder Aharon, den ersten Priester der Israeliten. In der Kritik steht auch Mirjam, die Schwester von Mosche und Aharon. In der allgemeinen Unzufriedenheit verleumden Mirjam und Aharon ihren Bruder Mosche und stellen sein Familienleben bloß.
Ein antiker Herrscher wie Nero oder Herodes hätte hier kurzen Prozess gemacht und die aufmüpfigen Familienmitglieder ermorden lassen. Nicht so Mosche.
In unserer Parascha lesen wir auch von einem Gespräch zwischen Mosche und seinem Schwiegervater Jitro, einem midjanitischen Priester. Mosche spricht: »Wir ziehen an den Ort, von dem G’tt sagte: ›Ich will ihn euch geben …‹ Komm mit uns, und wir werden dir Gutes erweisen; denn der Ewige hat Israel Gutes verheißen« (10,29). Doch Jitro antwortet: »Ich will nicht mitgehen, sondern ich werde in mein Land und zu meiner Familie gehen« (10,30). Mosche lässt es aber nicht dabei bewenden und beschwört Jitro: »Verlass uns bitte nicht, denn du weißt, wo wir überall in der Wüste lagern können, und du könntest uns immer als geübter Wegweiser nützlich sein …« (10,31). »Wenn du doch mitkommen würdest«, setzt Mosche fort, »so wollen wir uns dir gegenüber dankbar zeigen und dir abgeben von all dem, was der Herr uns zuteilwerden lässt.«
Jitro war ein sehr geeigneter Anführer
Das Land Jitros, Midjan, lag an der Grenze zur Wüste Sinai, so war Jitro sicherlich ein sehr geeigneter Anführer in dieser Gegend. Über die endgültige Antwort Jitros schweigt die Tora. Dass er sich letztendlich doch überzeugen ließ und mit den Israeliten weiterzog, können wir nur aus dem biblischen Richterbuch folgern (1,16 und 4,11).
Jitro, der Vater von Mosches Frau Zippora, weilte nicht zum ersten Mal im Lager der Israeliten. Über seinen ersten Besuch haben wir bereits im Sefer Schemot gelesen, dem 2. Buch Mose. Damals brachte Jitro Mosches Frau und die Kinder ins Lager der Israeliten zurück. Was er damals über die wundersame Errettung der Israeliten gehört hatte, musste ihn so beeindruckt haben, dass die Schriftgelehrten der Meinung waren, er kehrte damals zu den Seinigen nur zurück, um die Konversion seiner Familie vorzubereiten. So kam es zu dem jetzigen Aufenthalt. Umso überraschender also die unerwartete Wendung, dass Jitro nun wieder heimkehren möchte.
Über die Gründe von Jitros Sinneswandel klären uns die Gelehrten auf: Sie meinen, dass Jitros Wille zur plötzlichen Heimkehr in der veränderten Beziehung zu Mosche begründet war. Der Talmud meint zu wissen, dass Mosche sich zwischenzeitlich von seiner Frau Zippora getrennt hatte. Dies hätte sowohl Jitros Einstellung zu Mosche als auch seinen Status im Lager der Israeliten möglicherweise verändern können und wäre Grund genug für die rasche Heimkehr gewesen.
Jitro sah mit der Auflösung der Ehe zwischen Mosche und seiner Tochter seinen Einfluss im Lager der Israeliten schwinden. Vielleicht zog Jitro das sichere eigene Zuhause in Midjan gegenüber einem unsicheren Anteil nach der Landnahme im Heiligen Land vor. Vielleicht trug Mosche mit seinem beschwichtigenden, beschwörenden Zureden diesen Gefühlen Jitros Rechnung. Er wollte damit Jitro gegenüber zum Ausdruck bringen, dass man den weisen, erfahrenen Ratgeber und den wüstenerprobten Wegweiser hochschätzen und ehren würde. Jitro hätte nichts zu befürchten. Wenn der Ewige Israel zum Guten bedenkt, würde es auch ihm und den Seinigen an nichts mangeln.
So blieb Jitro im Lager der Israeliten. Diese Episode ergänzt mit einem Farbtupfer das Bild des Lehrers und Befreiers der Israeliten.
Der Autor ist emeritierter Landesrabbiner von Württemberg.
inhalt
Der Wochenabschnitt Paraschat Beha’Alotcha beginnt mit den Vorschriften für den Leuchter im Stiftszelt. Danach bringt er weitere Vorschriften für die Leviten. Außerdem wird ein zweites Pessachfest für diejenigen eingeführt, die es im Monat Nissan nicht feiern konnten. Ferner wird geschildert, wie am Tag eine Wolke und nachts eine Feuersäule die Anwesenheit des Ewigen am Stiftszelt anzeigen. Immer wenn die Wolke sich vom Stiftszelt entfernte, setzten auch die Kinder Israels ihren Zug fort.
4. Buch Mose 8,1 – 12,16