Das neue Buch von Peter Schäfer, Zwei Götter im Himmel – Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike, möchte uns einladen, den jüdischen Monotheismus zu überdenken – so heißt es jedenfalls im Klappentext. Der Autor, Judaist und Leiter des Jüdischen Museums Berlin, argumentiert, im antiken Judentum habe es zwei Götter gegeben. Gleichzeitig erkennt er aber an, dass die Quellen eine klare Aussage zur Existenz eines zweiten »Gottes« vermeiden.
Es geht also um eine assoziative Lesart, mit der letztendlich jede Wissenschaftstheorie arbeitet. Ich betrachte es jedoch als irreführende Methode, die tief mystische Hechalot-Literatur mit der klassischen rabbinischen Literatur gleichzusetzen. Zugegeben, selbst der Talmud beinhaltet neben den normativ halachischen Diskussionen erzählerisch aggadische Elemente, unter denen auch ungewöhnliche mystische Vorstellungen vorkommen (wie der Aufstieg in den himmlischen Garten Pardes).
these Schäfers These hebt die binitarischen Vorstellungen im Judentum des Zweiten Tempels hervor, das heißt, das Gedankenspiel mit einer göttlichen Gestalt neben Gott. Ist dies aber wirklich antikes rabbinisches Judentum? Ist es nicht vielmehr eine alternative Lesart des jüdischen Denkens der Antike? Genauso ist die bei Teilen von Chabad Lubawitsch verbreitete Idee, dass Rebbe Menachem Mendel Schneerson als Maschiach anzusehen ist, eher als alternatives jüdisches Denken der Moderne und nicht als Manifestation modernen rabbinischen Judentums zu werten.
Schäfers Buch stellt zweifellos eine präzise und wissenschaftliche Analyse wenig bekannter Quellen dar. Es zeigt auch klar, wie im Babylonischen Talmud viele nicht konforme Meinungen scharf zurückgewiesen werden. Dabei beweist sich die undogmatische und motivierende Offenheit des Talmuds, der abweichende, auch »häretische«, Einstellungen nicht verschweigt oder verheimlicht, sondern sich mit ihnen direkt auseinandersetzt und sie dadurch widerlegt.
text Dennoch enden viele talmudische Diskussionen unentschieden, sodass wir am Ende gar nicht wissen, was eigentlich im Text als richtig angesehen wird. Das gilt sowohl für die halachischen Diskussionen (zum Beispiel über die Todesstrafe) als auch für die aggadischen Konzepte (etwa von »Olam Haba«, der zukünftigen Welt).Von der Antike übernahm das Judentum vieles – auch Konzepte wie die Idee einer vom Körper unabhängigen Seele, die in der Tora nicht explizit erwähnt wird und die in klassische rabbinische Traditionen unter dem Einfluss der postbiblischen und prärabbinischen Schriften einfloss.
Besonders die Pseudepigraphie, die Henoch-Bücher, wird in Schäfers Buch ausführlich besprochen. Es überrascht nicht, dass assoziatives jüdisches Denken auch das Konzept Gottes miteinbezieht. Weitaus bekannter als die in Schäfers Buch angesprochenen binitarischen Spekulationen ist in der viel späteren mystischen Literatur der Kabbala aber die Idee von zehn Sefirot, die die zehn Kräfte Gottes darstellen.
Sie sollten jedoch nicht als Gottes Essenz verstanden werden, schon gar nicht als Idee von zehn Göttern als mögliche dezimale Spekulation. Darum soll auch der im Buch prominent vertretene Engel Metatron nicht als zweiter Gott betrachtet werden, sondern als mystische Delegierung der Kraft Gottes zu einem bestimmten Zweck. Ähnlich betont der Religionswissenschaftler Karl E. Grözinger: »Diese neuen Mächte sind aber letztlich dann doch wieder göttlicher Name, wenn auch in permutierter Form. Die himmlischen Mächte und die Schöpfung erscheinen demnach als Variationen des Gottesnamens.«
Peter Schäfer: »Zwei Götter im Himmel – Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike«. C. H. Beck, München 2017, 200 S., 24,95 €