Wajikra

Biblischer Bußgeldkatalog

Die Tora regelt genau, welches Opfer für welches Vergehen dargebracht werden muss

von Rabbiner Alexander Nachama  11.03.2022 09:58 Uhr

Für Bußgeld bei Geschwindigkeitsüberschreitung gibt es keine Ermäßigung. Foto: Getty Images

Die Tora regelt genau, welches Opfer für welches Vergehen dargebracht werden muss

von Rabbiner Alexander Nachama  11.03.2022 09:58 Uhr

Schüler, Studenten, Rentner, Sozial­hilfeempfänger – gewisse Personengruppen bekommen ermäßigten Eintritt ins Kino, Schwimmbad oder ins Museum. Den vollen Preis zahlen Berufstätige. Das mag manchmal ungerecht erscheinen, schließlich würde man sich auch als Berufstätiger über den einen oder anderen Nachlass freuen. Aber, so zumindest die Annahme, die Berufstätigen können es sich leisten, den vollen Preis zu zahlen. Mag die Idee eines solchen Price Ranking wie eine Erfindung der Moderne klingen, so ist sie bereits in der Tora verwurzelt. Dazu gleich mehr!

Der Reihe nach: Mit Wajikra beginnt in dieser Woche das dritte Buch der Tora. Es wird in der rabbinischen Literatur »Torat Kohanim« genannt – Lehre der Priester. Dieser Name leitet sich davon ab, dass im Sefer Wajikra viele Mizwot vorkommen, die von besonderer Relevanz für die Kohanim, die Priester, waren: beispielsweise die Opfer, die bei der Einsetzung von Priestern darzubringen waren, ebenso die Opferhandlungen an Jom Kippur und viele Reinheitsvorschriften.

SÜNDENOPFER Im letzten Drittel des Wochenabschnitts finden sich die Verordnungen für das Sündenopfer (hebräisch: Chatat). Dieses sollte dargebracht werden, wenn jemand versehentlich Gebote übertreten hatte. War es ein gesalbter Priester (laut dem mittelalterlichen Kommentator Raschi ein Hohepriester), der sich aus Versehen versündigt hatte, so »soll er wegen der Sünde, die er begangen hat, dem Ewigen einen jungen Stier ohne körperlichen Fehler zum Sündenopfer bringen«.

Der nächste Fall: »Die ganze Gemeinde der Israeliten« hat sich »geirrt«. Das bezieht sich nicht darauf, dass alle Israeliten gemeinschaftlich eine Sünde begangen haben. Gemeint ist, wie Raschi festhält, der Oberste Gerichtshof, der Sanhedrin, der »bei einem in der Tora mit Ausrottungsstrafe verbundenen Verbot entschieden hat, es sei erlaubt«. Ein eindeutiges Fehlurteil also. Wie ist zu verfahren? »Dann soll die Gemeinde einen jungen Stier als Sündenopfer darbringen.«

Im weiteren Verlauf folgen die Verordnungen für den Irrtum eines Fürsten, dabei handelt es sich laut Ibn Esra um einen Stammesfürsten. Das darzubringende Op­fertier war ein Ziegenbock. Schließlich: »Wenn eine Person aus dem Volk aus Irrtum sündigt«, so musste sie eine Ziege darbringen.

Joseph Herman Hertz (1872–1946) stellt fest, dass das Opfertier »je nach dem Rang des Sünders« wechselte. Bei einem Hohepriester oder dem Sanhedrin war es ein Rind. Ansonsten handelte es sich um Kleinvieh.

ZEUGEN Im Anschluss berichtet die Tora über einen Zeugen, der »nicht anzeigt«, der sich also einer Zeugenaussage vor Gericht entzieht und so dazu beiträgt, dass ein Straftäter nicht verurteilt werden kann. Weiterhin geht es um denjenigen, der »etwas Unreines berührt«, und um denjenigen, der ein Gelübde nicht erfüllt. Alle müssen »ein Weibliches vom Kleinvieh, einem Schaf oder einer Ziege, zum Sündenopfer« im Heiligtum darbringen lassen.

Hier wird, um bei der Ausdrucksweise von Hertz zu bleiben, nicht nach dem Rang des Sünders unterschieden. Was aber sollte man tun, wenn man nicht vermögend genug war? War es dann unmöglich, dieses Opferritual zu erfüllen? Hätte man sich Geld leihen müssen, um nicht als Sünder zu gelten?

Es heißt in der Tora: »Reicht aber sein Vermögen nicht für ein Schaf, so bringe er als sein Opfer, für die Schuld, die er sich zugezogen hat, zwei Turteltauben oder zwei junge Tauben.«

turteltauben Dass zwei Turteltauben sowie junge Tauben in ihrem (Geld-)Wert unter dem eines Schafes oder einer Ziege liegen, ist nachvollziehbar. Die Tora gibt also Alternativen. Das Darbringen des Opfers sollte keinesfalls an fehlenden finanziellen Mitteln scheitern.

Es geht sogar noch weiter: »Wenn aber sein Vermögen auch zu zwei Turteltauben oder zwei jungen Tauben nicht hinreicht, so bringe er wegen seiner Sünde ein Zehntel feinen Mehls als Sündenopfer dar.« Auch hier scheint die Logik eine ähnliche zu sein: Ein Zehntel feines Mehl ist zweifelsohne günstiger zu bekommen als zwei Turteltauben oder zwei junge Tauben.

Es gibt bekanntlich seit knapp 2000 Jahren kein zentrales Heiligtum in Jerusalem mehr. Die Inhalte dieser Verordnungen können daher nicht mehr praktisch umgesetzt werden. Aber man kann sich durchaus fragen, welcher Sinn hinter dem steckt, was die Tora uns hier erzählt. Eine Antwort könnte dabei lauten: Vorschriften können erleichtert und angepasst werden.

verantwortung Fehlende finanzielle Mittel sollten Menschen nicht von einer Gesellschaft ausschließen. Genauso wenig bedeutet dies, dass arme Menschen von aller Verantwortung ausgenommen sind. Die finanzielle Last wird, wie man der Tora entnehmen kann, erleichtert. Fehlende finanzielle Mittel bedeuten also nicht weniger Verantwortung.

Preisnachlässe sind letztlich im Interesse aller: sowohl der – um bei den heutigen Kategorien zu bleiben – Schüler, Studenten, Rentner und Sozialhilfeempfänger, da sie so trotz geringeren Einkommens einen Anteil leisten können, als auch der Berufstätigen, da sie zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens ebenfalls davon profitiert haben beziehungsweise profitieren werden.

Gleichzeitig sollte dieses System nicht mutwillig ausgenutzt werden. In der Tora wird nicht davon berichtet, dass tatsächlich kontrolliert wurde, wie arm oder reich eine Person war. So konnte jede Person letztlich selbst entscheiden, welches Opfer sie sich leisten mag und kann.

Heute ist es ähnlich: Tricks, wie sogenannte »ewige Studenten«, die an einer Universität eingeschrieben sind, ohne tatsächlich zu studieren, machen letztlich jedes noch so gut funktionierende System kaputt. So obliegt es uns, jedem Einzelnen, stets ehrlich zu uns und zu anderen zu sein. So tragen wir unseren Anteil, dass dieses bereits in der Tora verwurzelte System auch in Zukunft funktionieren wird.

Der Autor ist Landesrabbiner von Thüringen und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

inhalt
Der Wochenabschnitt Wajikra steht am Anfang des gleichnamigen dritten Buches der Tora und enthält Anweisungen dazu, wie, wo und von welchen Tieren die verschiedenen Opfer dargebracht werden sollen. Es werden fünf Arten unterschieden: das Brand-, das Schuld-, das Friedens- und das Sündenopfer sowie verschiedene Arten von Speiseopfern.
3. Buch Mose 1,1 – 5,26

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