Karlsruhe

BGH verhandelt zur »Judensau« an Wittenberger Stadtkirche

Mittelalterliche antisemitische Skulptur an der Stadtkirche in Wittenberg Foto: imago images/Christian Schroedter

Über eine als »Judensau« bezeichnete Schmähplastik an der Stadtkirche Wittenberg in Sachsen-Anhalt wird heute Vormittag am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe verhandelt.

Der Kläger verlangt, dass das antisemitische Sandsteinrelief aus dem 13. Jahrhundert entfernt wird. Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch Spitzhüte als Juden identifiziert werden. Eine laut BGH-Pressemitteilung als Rabbiner geltende Figur hebt den Schwanz des Schweins und blickt ihm in den After.

Die Stadtkirchengemeinde bezeichnet die »Wittenberger Sau« als »ein schwieriges Erbe, aber ebenso Dokument der Zeitgeschichte«.

LUTHER Vor dem Landgericht Dessau-Roßlau und dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg war der Kläger gescheitert. Dietrich Düllmann, der nach eigenen Angaben 1978 zum Judentum konvertiert ist, ist fest entschlossen, auch im Fall einer weiteren Niederlage nicht aufzugeben.

»Ich werde den ganzen juristischen Weg ausschöpfen«, sagte der 79-Jährige der Deutschen Presse-Agentur im Vorfeld. Im Zweifel wolle er am Bundesverfassungsgericht und schließlich am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorstellig werden. Ob der BGH schon heute ein Urteil spricht, ist offen.

Der Fall hat Brisanz, weil das Relief nicht an irgendeiner Kirche prangt: In der Wittenberger Stadtkirche hatte einst Martin Luther (1483-1546) gepredigt. Sie gilt als Mutterkirche der Reformation. Wegen seiner antijüdischen Äußerungen geriet Luther in die Kritik. Den protestantischen Reformator »von seinem Sockel zu stoßen«, sei auch eines seiner Anliegen, sagte Düllmann. »Er muss als Erz-Antisemit klar benannt werden.«

ERKLÄRTAFEL Das OLG hatte 2020 entschieden, dass die Skulptur isoliert betrachtet zwar eine Beleidigung darstelle und in ihrer Entstehungszeit das Ziel gehabt habe, Juden verächtlich zu machen. Doch ist sie nach Auffassung des Gerichts seit 1988 Teil eines Mahnmals und hat damit keinen beleidigenden Charakter mehr.

Eine Erklärtafel in der Nähe der Abbildung weist auf den Kontext hin. Schmähplastiken dieser Art seien besonders im Mittelalter verbreitet gewesen, heißt es dort. »Es existieren noch etwa fünfzig derartige Bildwerke.«

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hatte nach der OLG-Entscheidung erklärt, »umso mehr bedarf es der Anbringung einer Tafel, die das ‎Schmährelief eindeutig erläutert und in den historischen Kontext einordnet«.

Auf Nachfrage antwortete er nun, die Kirche müsse eine klare Abgrenzung und Verurteilung zum Ausdruck bringen. Das sei aus der aktuellen Erläuterung nach seinem Verständnis nicht ersichtlich.

»Die antijudaistische Geschichte der Kirche lässt sich nicht ungeschehen machen«, so Schuster. »Daher ist die Anbringung einer Erklärtafel besser, als eine solche Schmähplastik einfach zu entfernen und damit zu verleugnen.« Einordnende Erklärungen seien zwingend notwendig. »Sie müssen Hintergrundinformationen liefern und die Aussagen des Bildwerks unzweideutig verurteilen.« Gelungene Beispiele dafür sind nach Angaben des Zentralrats am Regensburger Dom und an der Ritterstiftskirche St. Peter in Bad Wimpfen bei Heilbronn zu finden.

ANTIJUDAISMUS Der Antisemitismusbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Christian Staffa, erklärte: »Die Wittenberger ›Kirchensau‹ stellt fraglos eine Schmähung dar und kann so nicht bleiben. Doch die lange Geschichte christlichen Antijudaismus und Antisemitismus, die sich in diesem Relief auf obszöne Weise verdichtet, ist nicht auf juristischem Wege zu klären.« Vielmehr gehe es darum, die kirchlichen Zeugnisse antijüdischer Haltung und Praxis als Anlass zur Umkehr von aller Judenfeindschaft zu nehmen. »Sich der antijüdischen Geschichte zu stellen und diesen Prozess auch sichtbar zu machen, ist ein langer Weg, der mittlerweile begonnen, aber noch lange nicht zu Ende ist.«

Der Umgang mit antijüdischen und antisemitischen, aber auch aus heutiger Sicht rassistischen Relikten der Vergangenheit ist nicht nur bei Kirchen ein Thema. Auch Museen zum Beispiel stellen sich vermehrt der Frage und ergänzen Ausstellungsstücke etwa mit Erklärtafeln oder stellen Kunstwerke bewusst auf den Kopf. In der Biologie wiederum wurden schon Bezeichnungen von Tieren geändert, um auf diese Weise Namensbestandteile beispielsweise aus Kolonialzeiten zu entfernen. dpa

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