Hat ein Mann zwei Gebote zu erfüllen, aber sein Geld reicht nur aus für die Ausübung einer der beiden Mizwot – dann ist eine Entscheidung unvermeidlich: Welchem der zwei muss er nun Präferenz geben? Darum dreht sich diese Talmudpassage: »Raba sagte: Das ist mir gewiss, dass vom Schabbatlicht und dem Chanukkalicht das Schabbatlicht vorzuziehen sei – wegen der Behaglichkeit im Hause. Gewiss ist mir ferner, dass vom Schabbatlicht und dem Wein zum Kiddusch das Schabbatlicht zu bevorzugen sei – wegen der Behaglichkeit im Haus. Jedoch fragte er: Was ist vom Chanukkalicht und dem Wein zum Kiddusch zu bevorzugen? Ist Kiddusch-Wein zu bevorzugen, weil dieser Fall häufiger vorkommt, oder ist das Chanukkalicht zu bevorzugen wegen der Bekanntmachung der Wunder (aramäisch: Pirsume Nissa)?«
Rabas Entscheidung dazu lautete: »Das Chanukkalicht ist zu bevorzugen – wegen der Bekanntmachung der Wunder« (Schabbat 23b). So erfüllen Chanukkalichter als Pirsume Nissa eine ganz andere Funktion als Schabbatlichter, die das Zimmer beleuchten sollen. »Diese Lichter zünden wir an über die Wunder und über die Siege und über das Außerordentliche, das Du unseren Vätern durch Deine heiligen Priester hast geschehen lassen.«
Pirsume Nissa wird nicht nur zu Chanukka praktiziert, sondern ebenfalls an Purim durch die Megillat-Esther-Lesung sowie am Sederabend durch die Lesung der Pessach-Haggada. Dabei wird jeweils an Wunder erinnert, weil Gott erlösend in die reale Geschichte eingegriffen hat. Dafür danken wir ihm, so wie wir auch täglich im Achtzehngebet Gott Dank sagen für »Deine zu jeder Zeit waltenden Wunder und Guttaten, abends, morgens und mittags«.
Das Kerzenlicht soll an die Taten Gottes erinnern. Halachisten haben die Frage diskutiert, ob Pirsume Nissa nur für Juden Bedeutung haben soll oder die Chanukkalichter auch Nichtjuden eine Botschaft mitteilen. Anders formuliert: Wird die Pflicht von Pirsume Nissa nur dann erfüllt, wenn Juden Chanukkakerzen sehen, oder auch in dem Fall, wenn ausschließlich Nichtjuden diese Lichter erblicken?
Das Kerzenlicht soll an die Taten Gottes erinnern
Dazu gibt es verschieden Antworten. So vertritt Rabbi Mosche Sternbuch in seinem Werk Moadim Uzemanim (2,141) die Meinung, dass Pirsume Nissa die jüdische Lehre von der Vorsehung Gottes bekannt machen soll. Dies gelte aber nur für Angehörige des jüdischen Volkes und nicht für Menschen, die einer anderen Religion angehören. Dagegen hat Rabbi Joseph Soloveitchik gelehrt, dass jemand auch dann die Pflicht von Pirsume Nissa erfüllt, wenn nur Nichtjuden seine Chanukkalichter sehen. Er sagt, dass Pirsume Nissa zu Chanukka Nichtjuden einschließt, zu Purim sowie am Sederabend jedoch nicht.
Wieso macht er diesen Unterschied? Sowohl bei der Lesung der Megillat Esther als auch bei der Lesung der Haggada zu Pessach geschieht Pirsume Nissa durch das Torastudium, an dem Nichtjuden bekanntermaßen keinen Anteil haben. Geht es jedoch darum, lediglich Lichter zu sehen und ihre symbolische Bedeutung zu erfassen, so seien alle Menschen angesprochen.
Rabbi Schimon Sofer vertrat ebenfalls den Ansatz, dass Pirsume Nissa durch die Chanukkalichter auch auf Nichtjuden zu beziehen sei. In seinem Responsum »Hitorerut Teschuwa« (3,457) schrieb er: »Mir scheint, dass auch derjenige, der zwischen Nichtjuden wohnt, verpflichtet ist, vor dem Hauseingang oder an seinem Fenster Chanukkalichter anzuzünden, sodass das Wunder unter den Nichtjuden bekannt wird. Denn sie werden nach dem Sinn der Lichter fragen und dadurch von der Geschichte und den Wundern erfahren. Und in der Schrift heißt es: ›Groß und heilig will Ich mich da erweisen, will Mich kundtun vor den Augen vieler Völker, und sie sollen erkennen, dass Ich der Ewige bin‹« (Jecheskel 38,23).
Laut Rabbi Sofer ist Pirsume Nissa zu Chanukka als eine Form der Heiligung des göttlichen Namens zu betrachten.