Judaika

»Auf dem Vorderdeckel in Weinrot der Davidstern«

Deckblatt der Satzung der Soncino-Gesellschaft Foto: Jüdisches Museum Berlin

Berlin-Tiergarten, Lützowufer, 15. Mai 1924: In den Geschäftsräumlichkeiten des Antiquars Josef Altmann versammelt sich ein Grüppchen jüdischer Bibliophiler, um die »Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches« zu gründen. Geprägt von einer Mischung aus Kulturzionismus, jüdischer Renaissance und der von Gründungsmitglied Arnold Zweig beschworenen »zärtlichen und heftigen Beziehung des Juden zum gedruckten Wort«, verschreibt sich die erste und einzige jüdische Bibliophilenvereinigung der »Förderung des guten und schönen jüdischen Buches«.

Initiiert hatte die Gründung Herrmann Meyer, 23-jähriger Jurastudent und passionierter Büchersammler, dem es gelungen war, die beiden jüdischen Berliner Verleger Abraham Horodisch und Moses Marx für sein ambitioniertes Unterfangen zu gewinnen. Die Benennung der Gesellschaft war eine Verneigung vor der deutsch-italienisch-jüdischen Buchdruckerdynastie Soncino, deren im gleichnamigen lombardischen Städtchen ansässige Offizin im 15. Jahrhundert neue Maßstäbe hebräischer Typografie und Druckkunst gesetzt hatte.

Schon bald wächst die Gesellschaft auf mehrere Hundert »Soncinaten« an

Schon bald wächst die Gesellschaft auf mehrere Hundert »Soncinaten« an. Ihrem Ehrenausschuss gehören so illustre Persönlichkeiten wie Leo Baeck, Martin Buber, Chaim Nachman Bialik und Max Brod, Vertreter der jüdischen geistigen Elite ihrer Zeit, an. Mit Chaim Weizmann und Salman Schasar zählen gleich zwei spätere israelische Präsidenten zu ihren Mitgliedern.

Höhepunkt ihres publizistischen Schaffens wird zwischen 1930 und 1933 die Edition einer bibliophilen Ausgabe der Tora.

Höhepunkt ihres publizistischen Schaffens wird zwischen 1930 und 1933 die Edition einer bibliophilen Ausgabe der Tora, für die die Soncinaten eigens die Gestaltung einer neuen hebräischen Type in Auftrag gegeben hatten.

Wie Musik in den Ohren von Bücherfreunden klingt eine spätere Schilderung des Drucks: »Ein gelbliches, stark geripptes, nicht ganz deckendes Handbütten mit Wasserzeichen van Gelder Zonen in jedem ersten und vierten Blatt des Bogens. Je vier Blatt Vorsatz des Auflagenpapiers. Kopfgoldschnitt, der Vorder- und Unterschnitt echte Büttenränder. Weinroter Halbfranzband mit Rückenaufdruck in Gold, der Titel in drei Schriftzeilen im zweiten des in sechs Felder mit Hilfe erhabener Bünde aufgeteilten Rückens, einer weiteren Zeile am Fuß, darüber das Soncino-Zeichen. Kräftige Decken mit grauem Bütten und auf dem Vorderdeckel in Weinrot der Davidstern. Handgestochenes Kapital in Rot und Gold.«

Dabei steht der Soncino-Pentateuch stellvertretend für die über 100 bibliophilen Drucke der Gesellschaft zu jüdischer Literatur, Geschichte und Kultur, ordentliche und Sonderpublikationen, Gelegenheits- und Spendendrucke, Zeit- und Werbeschriften, auf den Titelblättern so klangvolle Namen wie Maimonides und Mendelssohn, Lessing und Börne, Einstein und Zweig prangend, jeder Band ein Glanzstück jüdischer Buchkunst und Ausdruck einer – so Abraham Horodisch – »Geschmackskultur«.

Nur 13 Jahre nach ihrer Gründung wird die Soncino-Gesellschaft 1937 liquidiert

Nur 13 Jahre nach ihrer Gründung wird die Soncino-Gesellschaft 1937 liquidiert, »unter unbekannten Umständen«, wie jüngere Darstellungen hilflos anmerken. Die Privatbibliotheken ihrer Mitglieder werden in den darauffolgenden Jahren »arisiert«, verschleudert, auseinandergerissen, die Sammler in Flucht, Suizid oder Todeslager getrieben. Zu einer Neugründung der Gesellschaft kam es weder in den Exilländern noch im Nachkriegsdeutschland.

Herrmann Meyer, ihr Spiritus rector, entkam über Frankreich nach Palästina, Abraham Horodisch überlebte die Verfolgung in Frankreich und der Schweiz versteckt, Moses Marx war schon in den 1920er-Jahren in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Indes sind die Biografien zahlreicher Soncinaten ebenso unbekannt wie die Verbleibe ihrer Bibliotheken.

100 Jahre nach ihrer Gründung füllt die Geschichte der Soncino-Gesellschaft ein nahezu gänzlich vergessenes Kapitel deutsch-jüdischer Kulturgeschichte. Ihr historisches Erbe ist nur schwer zu ermessen. Ihr bibliophiles Vermächtnis lässt Sammlerherzen bis heute höher schlagen.

Lech Lecha

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