Nizawim – Wajelech

Auf das Leben!

Die Tora lehrt, das Leben über den Tod zu stellen. Foto: Getty Images / istock

Das Judentum glaubt an die Olam haba – die kommende Welt, an das Leben nach dem Tod, die Auferstehung der Toten. Im zweiten Gebet der Amida wird sie erwähnt.

In der Mischna Sanhedrin (10,1) hören wir, dass der Glaube an die Auferstehung sich auf die Tora gründet und ein Hauptgedanke des Judentums darstellt. In den Kommentaren lesen wir, dass die Tora zwar die Vorstellung von der kommenden Welt enthält, aber nicht eigens thematisiert.

Vergänglichkeit Das biblische Buch Kohelet kann wie ein langes Klagelied gelesen werden, das die Vergänglichkeit und das Ende des Menschen von verschiedenen Seiten beleuchtet. Sein Grundtenor ist: »Havel havalim, hakol havel – nichtig und flüchtig, alles ist nichtig« (1,2). Man fragt sich, warum der Autor des Buches die kommende Welt und das Leben nach dem Tod mit keinem Wort erwähnt.

Das Judentum glaubt an die nächste Welt, aber warum gibt es in seiner Literatur so wenige Hinweise darauf?

Jede Weltzeit hat mit dem Gedanken zu tun, dass der Tod das Leben in Schach hält, es erniedrigt. Bis zu der Frage: Warum soll man eigentlich gegen den Frevel dieser Welt kämpfen, wenn dieses Leben nur ein Korridor für das kommende Leben ist?

Das Judentum glaubt an die nächste Welt, aber warum gibt es in seiner Literatur so wenige Hinweise darauf?

Es kann sein, dass die Angst vor unserem Ende die Kräfte der Menschheit in besonderer Weise bindet. Ein Zeugnis dieser Angst sind die imposanten Gebäude der Antike, wie zum Beispiel die Pyramiden. Sie sind der bauliche Ausdruck dafür, wie der Mensch versucht, dem Tod etwas entgegenzusetzen, ihn scheinbar mit der Mächtigkeit eines monumentalen Grabmals zu übertrumpfen.

Der Mensch hat Angst vor dem Tod. Er ist lebenslang in einer Art Hassliebe mit ihm verbunden. Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, ging sogar davon aus, dass wir von zwei Grundtrieben beherrscht sind: dem Eros- und dem Todestrieb.

Ethik Das Judentum richtet sich gegen diese enge gedankliche Bindung an den Tod. Es orientiert auch seine Praxis und Ethik gegen die Gewöhnung an den Tod. So fällt schon auf, dass Mosches Grabstelle nicht bekannt ist. Sie wurde nicht überliefert. Es konnte kein Pilger- und Kultort des Todes entstehen.

Vielmehr arbeitet das Judentum auf der ganzen Linie an der Entzauberung des Todes. Dazu gehört zum Beispiel die Mizwa, sich mit Reinigungswasser, dem die Asche der Roten Kuh beigemengt war, zu besprengen, wenn man in Berührung mit einem Toten gekommen war. Erst dann durfte man sich wieder in den Tempel begeben.

Noch schärfere Reinheitsvorschriften gelten in dieser Hinsicht für den Hohepriester, der zum Dienst vor Gott im Allerheiligsten berufen ist. Er soll grundsätzlich so wenig wie möglich in Kontakt mit Toten kommen und sogar darauf achten, dass er sich nicht einmal mit ihnen auch nur zeitweise unter einem Dach aufhält.

Gott ist ein Gott der Lebendigen und nicht ein Gott der Toten. Entsprechend sollen sich seine Diener und sein ganzes Volk verhalten. Davon lesen wir in unserem Abschnitt, wenn es in 30,15 heißt: »Siehe, Ich lege dir heute das Leben und das Gute vor, den Tod und das Böse.« Und: »Ich nehme Himmel und Erde heute über euch zu Zeugen: Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, dass du das Leben erwählst und am Leben bleibst, du und deine Nachkommen« (30,19).

bekenntnis Das Leben ist zu bejahen, und der Tod ist abzulehnen. Das Leben ist ein Segen, der Tod ein Fluch. Uns Heutigen scheint diese Feststellung einleuchtend zu sein und keiner Erklärung zu bedürfen. Wir fragen uns eher, weshalb dieses Bekenntnis zum Leben und Lebendigen ausdrücklich in der Tora festgehalten wurde.

Wenn wir jedoch auf die Entstehungszeit der Tora sehen, erklärt sich das für uns Selbstverständliche: Die Antike war geprägt von der Magie des Todes über das Lebendige.

Dem steht die Tora mit ihren Aussagen grundlegend entgegen. Sie lehrt das Volk Israel, das Leben über den Tod zu stellen. Ja, es gibt Leben nach dem Tod, und es gibt auch die Auferstehung der Toten. Das ewige Leben kann nach den Worten Mosches für das Volk Israel gewonnen werden, wenn es an seinem Bund mit dem Ewigen von Generation zu Generation festhält.

generationen Bleiben die aufeinanderfolgenden Generationen im Bund mit Gott, bewahren sie sich gegenseitig das Leben in der nächsten Welt. Die Eltern leben in ihren Kindern weiter, und diese sorgen wiederum für das Weiterleben in der kommenden Welt, wenn sie den Bund mit Gott halten.

Von diesen generationsübergreifenden Zusammenhängen spricht Mosche, wenn er sagt: »Denn ich schließe diesen Bund und diesen Eid nicht mit euch allein, sondern mit euch, die ihr heute hier seid und mit uns steht vor dem Ewigen, unserm Gott, wie auch mit denen, die heute nicht mit uns sind« (5. Buch Mose 29, 13–14). Mosche bezieht sich auch auf die zukünftigen Generationen.

Das Judentum ist eine stark auf das Diesseits fixierte Religion.

Das Judentum ist eine stark auf das Diesseits fixierte Religion. Es interessiert sich weniger für die Dinge des Jenseits. Aus diesem Grund stehen auch die Familie und die Kinder bei ihm – im Vergleich mit den anderen großen Religionen – im Zentrum.

Schon Rachel sieht ihr Fortleben in ihren Kindern verankert, wenn sie sich bei Jakob beschwert: »Schaffe mir Kinder, wenn nicht, so sterbe ich« (1. Buch Mose 30,1). Und auch Awraham beklagte sich bei Gott über ausbleibenden Nachwuchs (15,1). Unsere Weisen dachten an Eheleute, die keine Kinder bekommen konnten. Ihre guten Taten ebnen ihnen den Weg in die kommende Welt. In der Familie kommt es darauf an, dass wir unsere Eltern ehren und respektieren und unsere Kinder so erziehen, dass sie am Judentum festhalten, um so miteinander das ewige Leben in dieser Welt zu erreichen – einer Welt, die Gott von Anfang an als gut bezeichnete.

Erneuerung Alle sieben Jahre, so lautet Mosches Auftrag, soll sich das Volk Israel versammeln, um das Gesetz Gottes zu hören und den Bund mit dem Ewigen zu erneuern. Es genügt nicht, sich historisch an den Bundesschluss zu erinnern. Vielmehr geht es darum, jeder Generation die Worte des Gesetzes zu vergegenwärtigen: »Versammle das Volk, die Männer, Frauen und Kinder und den Fremdling, der in deinen Städten lebt, damit sie es hören und lernen und den Ewigen, euren Gott, fürchten und alle Worte dieses Gesetzes halten und tun und dass ihre Kinder, die es nicht kennen, es auch hören und lernen, den Ewigen, euren Gott, zu fürchten alle Tage« (5. Buch Mose 31, 12 und 13).

Der Ewige ist jetzt unser Leben und nicht erst im Himmel. Das Tor zur Ewigkeit ist nicht der Tod, sondern das Leben – hier und jetzt – im Bund mit Gott. Und dieser Bund bedarf der stetigen Erneuerung.

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).


Inhalt
Im Zentrum des Wochenabschnitts Nizawim steht der Bund des Ewigen mit dem gesamten jüdischen Volk. Diesmal sind ausdrücklich auch diejenigen Israeliten miteinbezogen, die nicht anwesend sind: die künftigen Generationen. Gott versichert den Israeliten, dass Er sie nicht vergessen wird, doch sie sollen die Mizwot halten.
5. Buch Mose 29,9 – 30,20

Im Wochenabschnitt Wajelech geht es um Mosches letzte Tage. Er erreicht sein Lebensjahr und bereitet die Israeliten auf seinen baldigen Tod vor. Er verkündet, dass Jehoschua sein Nachfolger sein wird. Die Parascha erwähnt eine weitere Mizwa: In jedem siebten Jahr sollen sich alle Männer, Frauen und Kinder im Tempel in Jerusalem versammeln, um aus dem Mund des Königs Passagen aus der Tora zu hören. Mosche unterrichtet die Ältesten und die Priester von der Wichtigkeit der Toralesung und warnt sie erneut vor Götzendienst.
5. Buch Mose 31, 1–30

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