Der Talmud (Edujot 5,6 und Pessachim 64b) berichtet darüber, dass der Tannait Akawja Ben Mahalalel, der seine Zeitgenossen an Weisheit und an Sündenscheu übertraf, lehrte: »Betrachte folgende drei Dinge, so kommst du nicht in die Hand der Sünde: Wisse, woher du gekommen bist, wohin du gehst und vor wem du einst Rechenschaft und Rechnung zu geben haben wirst.«
Nach Akawjas Ansicht soll der Mensch über die Begrenztheit seines Lebens nachdenken sowie über die Erhabenheit des Ewigen. Wenn jemand ernsthaft an den eigenen Tod denkt und an die Tatsache, dass seine Seele dann über Tun und Lassen in dieser Welt vor dem himmlischen Gericht wird Rechenschaft ablegen müssen, dann verliert jede Sünde ihren Reiz. Ein vernünftiger Mensch wird zu dem Schluss kommen, dass ein sündhaftes Vergnügen sich nicht lohnt.
endlichkeit Reflexionen über die Endlichkeit des menschlichen Lebens sollen keineswegs unsere Tatkraft lähmen und eine depressive Stimmung hervorbringen, sondern uns vor möglichen Irrwegen schützen und dadurch wahre Lebensfreude sichern und steigern.
In manchen aschkenasischen Gemeinden ist es üblich, Akawjas Ratschlag bei jeder Beerdigung zu rezitieren (siehe zum Beispiel die Begräbnistexte im Koren-Siddur von Rabbiner Jonathan Sacks). Diejenigen, die eine verstorbene Person auf ihrem letzten Weg begleiten, werden bei dieser Gelegenheit an schlichte Wahrheiten erinnert, die ihnen den Pfad der Sündenscheu nahebringen. In den Worten Schlomos: »Besser ist es zu gehen in ein Haus der Trauer als zu gehen in ein Haus des Gastmahls, da jenes das Ende aller Menschen ist; und der Lebende wird es sich zu Herzen nehmen« (Kohelet 7,2).
Dass ein Nachdenken über den eigenen Tod Positives bewirken kann, lernen wir auch aus der folgenden Mischna: »Rabbi Levitas aus Jawne sagt: Sei unbedingt bescheidenen Sinnes, denn des irdischen Menschen Hoffnung ist Moder« (Sprüche der Väter 4,4). Der Tannait aus Jawne weist nicht nur auf die große Bedeutung der Demut hin, sondern fügt auch eine Begründung hinzu: Stolz und Hochmut sind unangebracht – das kann sich jeder Mensch klarmachen, wenn er sich vorstellt, wie es seinem Körper nach dem Tod ergehen wird.
DEMUT Gedanken über den eigenen Tod können, wie besprochen, zur Sündenscheu und auch zu einer demütigen Haltung führen. Was aber ist dann zu tun, wenn der Mensch bereits gesündigt hat? Dass dieser Fall oft vorkommt, wissen wir aus der Schrift: »Denn es gibt keinen gerechten Menschen im Land, der (immerdar) das Gute übte und niemals sündigte« (Kohelet 7,20 und Könige I 8,46). Es ist wichtig zu wissen, dass jedem Sünder der Weg der Umkehr (hebräisch: Teschuwa) offensteht.
Dass auch das Tun von Teschuwa von einer Betrachtung über den kommenden Tod gefördert werden kann, geht aus der folgenden Talmudstelle hervor: »Rabbi Eliezer sagte: ›Tue einen Tag vor deinem Tod Teschuwa.‹ Die Schüler sprachen zu Rabbi Eliezer: ›Weiß denn der Mensch, an welchem Tag er sterben wird?‹ Der Rabbi erwiderte: ›Umso mehr muss er heute Teschuwa tun, vielleicht stirbt er morgen.‹ Es ergibt sich also, dass er all seine Tage in Umkehr verbringt« (Schabbat 153a).
Es ist beachtenswert, wie Maimonides, der Rambam (1138–1204), die soeben zitierte Gemara in seinem religionsgesetzlichen Kodex referiert hat: »Immer betrachte sich der Mensch so, als stünde er kurz vor seinem Tod, als könnte er, noch in seiner Sündhaftigkeit beharrend, plötzlich sterben. Man tue deshalb von den Sünden, die man begangen hat, sofort Teschuwa, und man sage nicht, wenn ich alt sein werde, dann will ich Teschuwa tun; man könnte ja sterben, bevor man alt geworden sein wird. Das ist es, was Schlomo meint: ›Zu jeder Zeit seien deine Kleider weiß‹ (Kohelet 9,8)« (Hilchot Teschuwa 7,2).
Talmudisches