Bald, am Sederabend, werden wir alle erneut die Worte singen: »In jeder Generation erheben sich Feinde gegen uns, um uns zu vernichten.« Dieser Satz aus der Haggada erinnert uns daran, dass die Feindseligkeit gegenüber dem jüdischen Volk kein neues Phänomen ist. Im Laufe der Geschichte haben wir Verfolgung, Vertreibung und Vernichtungsversuche erlitten, aber gleichzeitig haben wir Widerstandskraft, Hoffnung und eine tiefe Verbindung zu unserem Glauben bewahrt.
Doch was bedeutet es, dass wir immer »Feinde« haben werden, bis der Maschiach kommt? Müssen wir eine Welt akzeptieren, in der Antisemitismus ein fester Bestandteil bleibt? Viele Rabbiner sehen es als ihre Aufgabe an, den Antisemitismus zu bekämpfen. Auch mir wurde diese undankbare Aufgabe in den Niederlanden zugewiesen.
Das einzige Fazit, das ich ziehen kann, ist, dass der Judenhass trotz all unserer Bemühungen um Versöhnung mit feindlichen Gruppen in alarmierendem Maße eskaliert ist. Eine äußerst enttäuschende, wenn auch nicht überraschende Wahrheit. Wir haben immer mit Feindseligkeit zu kämpfen gehabt – von der Sklaverei in Ägypten über die Verfolgungen im mittelalterlichen Europa, von Pogromen bis zur Schoa, von den Angriffen der arabischen Nachbarn bis zu den Massakern der Hamas. Diese Feindseligkeit nimmt immer neue Formen an und passt sich den jeweiligen Zeiten und Kontexten an.
Keine Übertreibung, sondern eine realistische Beobachtung
Die Aussage in der Haggada, dass man sich in jeder Generation gegen uns erhebt, ist daher keine Übertreibung, sondern vielmehr eine realistische Beobachtung. Doch die Botschaft von Pessach ist nicht nur eine Warnung vor ewiger Feindseligkeit, sondern auch eine Erzählung von Befreiung und Hoffnung. Die Tatsache, dass wir noch existieren und jedes Jahr Pessach feiern, beweist, dass keine Macht der Welt uns vollständig zerstören konnte.
Doch wenn Antisemitismus niemals verschwinden wird, ist es dann sinnlos, Brücken zu anderen Völkern und Gemeinschaften zu bauen? Der jüdische Glaube lehrt uns, trotz aller Feindseligkeit ein Licht für die Völker zu sein. Unser Erzvater Awraham wurde nicht nur dazu berufen, Haschem zu dienen, sondern auch, ein Vorbild für die gesamte Menschheit zu sein. Der Prophet Micha sagt: »Er hat dir mitgeteilt, o Mensch, was gut ist und was Haschem von dir fordert: nur Gerechtigkeit zu üben, zu lieben und bescheiden mit deinem G’tt zu wandeln« (Micha 6,8).
Nach Frieden zu streben, ist keine naive Illusion, sondern ein Ausdruck unserer tiefsten Werte.
Nach Frieden zu streben, ist keine naive Illusion, sondern ein Ausdruck unserer tiefsten Werte. Die Erkenntnis, dass Antisemitismus eine Konstante in der Geschichte ist, kann entmutigend sein. Besonders Eltern sorgen sich um die Zukunft ihrer Kinder. Wie können wir sie vor Hass und Diskriminierung schützen? Die Antwort darauf liegt zum Teil in der Pessachgeschichte selbst.
Der Auszug aus Ägypten erinnert uns daran, dass Sklaverei und Unterdrückung nicht unser Schicksal sind. Haschem hat uns erlöst und uns die Verantwortung gegeben, als freie Menschen zu leben. Das bedeutet, dass wir unsere Kinder mit Stolz, Wissen und tiefer Verbundenheit mit ihrem Erbe erziehen müssen. Darüber hinaus müssen wir sie Widerstandskraft lehren. Das jüdische Volk hat nicht überlebt, indem es passiv blieb, sondern indem es lernte, lehrte und nach Lösungen suchte. Wir müssen unsere Kinder nicht nur vor Antisemitismus warnen, sondern ihnen auch das Werkzeug geben, damit umzugehen – durch Wissen, durch Diplomatie und, wenn nötig, durch Selbstverteidigung.
Nicht nur Erinnerung an die Vergangenheit, sondern auch Leitfaden für die Zukunft
Pessach ist nicht nur eine Erinnerung an die Vergangenheit, sondern auch ein Leitfaden für die Zukunft. Das Fest erinnert uns an wichtige Prinzipien: So schwierig die Situation auch erscheinen mag, Haschem hat uns immer wieder gerettet. Die Haggada betont, wie wichtig es ist, unsere Geschichte an die nächste Generation weiterzugeben. Indem wir unsere Vergangenheit kennen, können wir in der Gegenwart und Zukunft stärker stehen.
So wie wir als Volk Ägypten verließen, müssen wir heute zusammenstehen, um gegen Antisemitismus und Ungerechtigkeit zu kämpfen. Die Worte »In jeder Generation erhebt man sich gegen uns, um uns zu vernichten« mögen entmutigend klingen, doch sie enthalten auch eine tiefere Wahrheit: Trotz allem existieren wir noch immer.