Wir haben gelernt, dass es unter denen, die uns regieren, auch solche gibt, die ihre Macht missbrauchen. Die Oberschicht gilt als klug mit guten Manieren. Und der Bürger erwartet zu Recht, dass die Mitglieder der Regierung moralisch integer sind. Sie sollten nicht einmal beim Stehlen eines Kaugummis im Supermarkt erwischt werden. Allerdings kommt es gerade bei hohen Politikern immer wieder zu Korruptionsfällen, bei denen es um ganz andere Summen geht.
Warum passiert so etwas gerade bei »denen da oben«? Eine der größten Überraschungen in der Tora ist, dass sie ein Sozialsystem aufgebaut hat, das der Wohlfahrt des Gesamtwesens dient. Es wird in diesem System berücksichtigt, dass es unterschiedliche Menschen im Volk gibt. Nicht jeder ist geeignet, sich den ganzen Tag mit philosophischen Fragen und mit Gesetzen zu befassen. Es gibt auch Händler, Landarbeiter und Freiberufler.
Die Tora entschied, dass der Stamm Levi und die Priester diejenigen sein sollten, die sich mit den Lehren der Tora beschäftigen. Deshalb hindert die Tora sie, bei der Verteilung des Landes Boden zu erhalten. Dadurch wurden sie von den Sorgen der Landarbeit befreit. Aber die Tora verpflichtete das Volk Israel, 24 unterschiedliche Geschenke an die Priester abzugeben. Diese Geschenke stammen aus der Pflanzenwelt und auch von Tieren. Es gibt ganze Teile von Tieren, wie zum Beispiel Arm, Backen und Magen, die bei der Abgabe von Opfern an die Priester gehen und nicht zum eigenen Verzehr vorgesehen sind.
ausnahme Doch hier finden wir eine Ausnahme. Es entsteht eine soziale Gegenseitigkeit von Geben und Nehmen zwischen den verschiedenen Gruppierungen des Volkes. Der eine kümmert sich um das Gehalt des anderen, und dafür sorgt der andere, dass der erste Tora lernt.
Viele Jahre funktionierte dieses System sehr gut. Aber die Tora, da sie wahrhaftig ist, zeigt uns auch problematische Situationen, aus denen wir etwas lernen sollen.
In der Zeit zwischen der Regierung des Priesters Eli und vor dem Propheten Samuel wurden im 1. Buch Samuel die Taten von Hophni und Pinchas, den Söhnen Elis, beschrieben. Als Eli bereits ein alter Mann war, waren seine Söhne verantwortlich für die Organisation der Opfergabe im Stiftzelt Schiloh.
»Und die Söhne Elis, Söhne der Ruchlosigkeit, kannten den Ewigen nicht. Und das Verhalten der Priester gegen das Volk (war also): Wer irgendein Opfer brachte – kam der Knabe des Priesters, wenn man das Fleisch kochte, mit der dreizähnigen Gabel in der Hand. Und er stieß in das Becken oder in den Topf oder Kessel oder in die Pfanne. Was immer die Gabel heraufbrachte, nahm der Priester damit. So hielten sie es mit ganz Israel, die dahin kamen, in Schiloh. Sogar bevor sie das Fett in Dampf aufgehen ließen, kam der Knabe des Priesters und sprach zu dem Mann, der opferte: Gib Fleisch zu braten für den Priester, und er wird nicht annehmen von dir gekochtes Fleisch, sondern rohes. Sprach dann zu ihm der Mann: In Dampf werden sie sofort das Fett aufgehen lassen, das nimm dir, wie deine Seele begehrt; so sprach er zu ihm: Nein, sondern jetzt sollst du geben. Wo nicht, nehme ich es mit Gewalt« (1. Samuel 2).
Einhalt Der Priester Eli reagierte sehr schnell auf dieses brutale Verhalten seiner Söhne: »Eli aber war sehr alt und hörte alles, was seine Söhne taten in ganz Israel. Und dass sie lagen bei den Weibern, die sich sammelten am Eingang des Stiftszelts. Und er sprach zu ihnen: Warum tut ihr dergleichen Dinge? Wie ich eure bösen Dinge höre von dem ganzen Volk, diesem da. Nicht so, meine Söhne! Denn nicht gut ist das Gerücht, das ich verbreiten höre das Volk des Ewigen. Wenn ein Mann sündigt gegen einen Mann, so schlichtet es ihm der Richter, wenn aber gegen den Ewigen ein Mann sündigt, wer soll für ihn beten? Sie aber gehorchten nicht der Stimme ihres Vaters, denn der Ewige wollte sie töten.«
Auch G’ttes Reaktion wurde klar ausgedrückt. Er sagte, sie würden wegen ihres Verhaltens am selben Tag sterben und ihre Nachkommen die Priesterschaft verlieren.
machtmissbrauch Diese schlimme Sache des Machtmissbrauchs der Regierung, gegen den die einfachen Bürger machtlos sind, ist nicht der Wunsch der Tora. Im Laufe der Geschichte – und bis heute – gibt es Anführer, die ihr Amt dazu benutzen, für Gegengeschenke Einzelne zu begünstigen. Es mag sein, dass es sich dabei um ein nur allzu menschliches Verhalten handelt, aber die Tora bekämpft es in aller Härte und schützt das Volk vor solchem Tun derer, die »da oben« sitzen.
Nach der schlechten Erfahrung mit den Söhnen Elis und weiteren weniger bekannten Fällen erteilt uns die Tora eine allgemeine Anweisung: »Und lehrten die Rabbiner: Die Priester, die Leviten und die armen Menschen, die beim Haus der Schäfer, Haus der Ernte und im Schlachthaus helfen, erhalten keine Spende oder Zehntel als Gehalt, und falls sie so tun, haben sie gegen das Gesetz der Tora verstoßen. Und in der Tora steht über sie: ›Ihr aber seid von dem Wege abgetreten und ärgert viele im Gesetz und habt den Bund Levis gebrochen, spricht der G’tt Zebaoth‹ (Maleachi 2,4), und in der Tora steht: ›Dass hinfort die Kinder Israel nicht zur Hütte des Stifts sich tun, Sünde auf sich zu laden, und sterben‹« (4. Buch Moses 18,22, Bechorot 26,2). Die Menschen werden hier gewarnt, sich nicht mit dem Priester anzufreunden, weil sie sich dann anstrengen, den Tierzüchtern und den Landwirten zu gefallen, um dadurch direkt gute Schenkungen erhalten zu können.
In 4. Buch Moses 18,19 sagt die Tora zum Thema Geschenke an die Priester Folgendes: »Alle Hebeopfer, die die Kinder Israel heiligen dem G’tt, habe ich dir gegeben und deinen Söhnen und deinen Töchtern samt dir zum ewigen Recht. Das soll ein unverweslicher Bund sein ewig vor dem G’tt, dir und deinem Samen samt dir.« Der Netziv, Rabbiner Naftali Zvi Yehuda Berlin (1817–1893), erklärt in seinem Kommentar Haamek Davar dazu, dass die Tora absichtlich Salz verwendete, um diesen Bund zu beschreiben. »Genau wie Salz, das die Speise würzen soll, wenn nicht zu viel davon verwendet wird, so ist es auch mit den Priestern, wenn sie ihre heilige Arbeit gut ausüben, wird sie eine gute Tat sein, wenn sie sie missbrauchen, wird sie die Seele zerstören.«
Jeder, der ein Regierungsamt ausübt, soll wissen, dass seine Hauptaufgabe darin besteht, den Menschen zu dienen. Natürlich wird die Aufgabe durch ein Gehalt honoriert. Ein Ehrenamt wird mit Status und Verantwortung belohnt. Aber man darf es nicht in ein Sprungbrett für private Zwecke verwandeln. Möge uns G’tt helfen, dass wir niemals in Versuchung geraten werden.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund.