Im liberalen Umfeld ist eine »neue« Ausgabe der Tora herausgekommen: Der Herder-Verlag hat die Israelitische Bibel von Rabbiner Ludwig Philippson (1811–1889) neu aufgelegt. Wie einige ihrer Vorgänger wird hier eine überarbeitete Fassung einer »bewährten« Übersetzung präsentiert.
Herausgeber sind Walter Homolka, der Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs, Hanna Liss, Professorin für Bibel und Jüdische Bibelauslegung von der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, und Rüdiger Liwak, emeritierter Professor für Altes Testament an der Berliner Humboldt-Universität und derzeit Gastprofessor an der Universität Potsdam.
Original War die Originalausgabe der Philippson-Tora (später kam eine wesentlich günstigere kommentarlose »Volksausgabe« hinzu) noch ein riesiges bebildertes Werk mit Kommentar, eine Familienbibel, so geht es dieses Mal um die Übersetzung und den hebräischen Originaltext. Homolka und sein Team überarbeiteten zurückhaltend die Übersetzung von Philippson, die sich nicht im Austausch veralteter Begriffe und einer modernisierten Orthografie erschöpft.
Im Ergebnis hat der Text noch seinen alten Klang, ist aber ein wenig verständlicher. Wer den hebräischen Text auf der gegenüberliegenden Seite betrachtet, wird feststellen, dass Philippson einen anderen Übersetzungsansatz als Mendelssohn wählte.
Dieser stand auf der Grundlage einer rabbinischen Auslegung der Tora und entschied sich häufig, Begriffe gemäß der rabbinischen Auslegung zu übertragen. Philippson präferierte die Übersetzung nach dem direkten Wortsinn mit einem guten Gespür für den Lesefluss. So ersetzt er das häufige biblische »und« gern durch andere Worte wie »also«, »dann« und »da«. Im Anhang finden sich die Haftarot (Prophetenlesungen) zu den jeweiligen Wochenabschnitten und den besonderen Schabbatot.
Dieser Teil enthält auch ein Novum für deutschsprachige Ausgaben: die Haftara für Jom Haazmaut, den israelischen Unabhängigkeitstag. Statt Kommentar ist jedem der fünf Bücher der Tora ein einleitender Text vorangestellt. Dieser fasst das beginnende Buch zusammen und gibt weitere Einblicke aus Sicht der Autoren, darunter Rabbinerin Tamara Cohn Eskenazi oder Bernard M. Levinson.
Akademisch Allerdings zeigt sich in den begleitenden Texten eine gewisse Unsicherheit, an welche Leserschaft sich die Toraausgabe wendet. Die Kommentare sind akademisch brillant geschrieben, allerdings interessierten Laien nicht unmittelbar zugänglich. Welcher Schüler weiß schon, was ein »apotropäisches Ritual« (S. 258) ist? Der Verlag nennt Schüler und Familien als mögliche Zielgruppen. Auch die umfangreiche Einführung in »Ludwig Philippsons Bibelwerk« des Berliner Judaisten Klaus Hermann hat eher akademischen Charakter.
Der hebräische Text ist ebenfalls bewährt. Er stammt aus einer Ausgabe der Hebräischen Bibel von Max Me’ir Halevi Letteris (1800–1871), die ab 1851 veröffentlicht wurde. Letteris hat eine gut lesbare Schrift für seine Toraausgabe verwendet, und der Layouter des Herder-Verlags hat diese Vorlage sauber eingesetzt. Allerdings finden wir noch die alten Gliederungshinweise im hebräischen Text.
Hier heißt es »Caput 1« statt Kapitel 1, und wie im Letteris-Original gehen auch in der neuen Ausgabe die Wochenabschnitte im Text etwas unter. Sie stehen zwar oben auf den Seiten, aber im Text ist nur durch die lateinische I am Textrand erkennbar, dass hier ein neuer erster »Aufruf« beginnt, also ein neuer Wochenabschnitt.
In den vergangenen 20 Jahren hat sich im Bereich der jüdischen Toraübersetzungen einiges getan. Nach der Schoa gab es die »Rödelheimer« Ausgabe der Tora mit der Übersetzung von Wohlgemuth und Bleichrode (Erstausgabe 1899). Es gab Nachdrucke der Übersetzungen von Leopold Zunz (Erstausgabe 1837/1838), Naftali Tur-Sinai (zwischen 1934 und 1937) und die Übersetzung von Buber und Rosenzweig (ab 1925).
Orthodox Diese Ausgaben standen den kleinen jüdischen Gemeinden zur Verfügung, aber auch einem interessierten nichtjüdischen Publikum. In jüngster Zeit erschienen in der Schweiz auch die Übersetzung und der Kommentar von Samson Raphael Hirsch. Die Hirsch-Ausgaben zielten in erster Linie auf ein orthodoxes Publikum ab. Allen gemeinsam ist, dass sie alte Übersetzungen in einer neuen Form anbieten.
Ab 1999 gab auch die liberale Bewegung Übersetzungen der Tora heraus. Damals erschien der erste Band von Gunther Plauts Die Tora in jüdischer Auslegung in deutscher Übersetzung. Gunther Plauts Ausgabe ist »der« Kommentar der US-amerikanischem Reformbewegung. Grundlegender Toratext der deutschen Ausgabe war eine Überarbeitung der Übersetzung von Moses Mendelssohn durch Annette Böckler, die nahezu zeitgleich auch als gesonderter Band ohne Kommentar erschien.
Interessierte nichtjüdische und jüdische Leser werden nun neugierig sein, wie Ludwig Philippsons Ansatz sich heute liest, und dabei keine Konkurrenz zu anderen Übersetzungen finden, sondern eine Ergänzung.
Walter Homolka/Hanna Liss/Rüdiger Liwak (Hrsg.): »Die Tora. Mit Haftarot (hebräisch-deutsch) in der revidierten Übersetzung Ludwig Philippsons mit Einleitungen in die Fünf Bücher Mose und die Prophetenlesungen.« Herder, Freiburg 2015, 1168 S., 38 €