PRO
Die Hauptaufgabe eines Rabbiners ist es, zu unterrichten und Rat zu erteilen, und ich sehe meine eigene Aufgabe als Rabbinerin ganz genauso. Ich glaube zwar, dass ich auch bei Hochzeiten amtieren werde, allerdings nicht im Staat Israel. Hier ist es einer Rabbinerin offiziell nicht erlaubt, Teil einer Chuppa-Zeremonie zu sein. Doch viele meiner Studenten leben im Ausland. Dort werde ich sicherlich die Gelegenheit dazu haben.
Ich bin nicht Rabbinerin geworden, um Zeremonien durchzuführen – das ist eine der Führungsaufgaben, die orthodoxen Frauen immer noch versperrt sind. Doch weil Zeremonien im Allgemeinen von Laien abgehalten werden, sehe ich in diesem Punkt keine Einschränkung. Meine eigene Gemeinde, Kehillat Jedidya im Jerusalemer Stadtteil Bakaa, hat keinen Rabbiner, sondern ein halachisches Komitee. Ich bin Teil dieses Komitees, zusammen mit anderen Männern und Frauen. Einige von ihnen sind ebenfalls ordinierte Rabbiner.
Erst in den vergangenen Jahren ist das ernsthafte Studium der Halacha für orthodoxe Frauen zugänglich geworden. Als ich in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren begann, mich jüdischen Studien zu widmen, war das Talmudstudium gerade erst für orthodoxe Frauen geöffnet worden, und so habe ich mich dem ernsthaften Studium des Talmud zugewandt. Nun ist auch die Halacha für Frauen zugänglich, und ich fühle mich sehr dadurch gesegnet, sie auf einem ebenso fortgeschrittenen Niveau studieren zu dürfen wie den Talmud.
Ich arbeite schon 20 Jahre als religiöse Führungspersönlichkeit, doch den Titel »Rabbinerin« konnte ich bisher nicht erwerben. Jetzt darf ich mich als Rabbinerin bezeichnen. Seit 16 Jahren lehre und arbeite ich im Pardes-Institut, einer strömungsübergreifenden Einrichtung in Jerusalem. Alle meine männlichen Kollegen sind Rabbiner. Ich bin Mentorin der Studenten, ich berate sie in religiösen Fragen, und ich helfe auch anderen Menschen, die nach spiritueller Führung suchen.
Nach meiner Ordination habe ich die Arbeit fortgesetzt. Für mich macht der Titel einer Rabbinerin keinen großen Unterschied. Ich glaube aber, dass andere Menschen mich jetzt als Person mit mehr Autorität wahrnehmen. Ich hoffe, dass ich der Verantwortung und dem Vertrauen gerecht werde, das meine Lehrer und diejenigen Menschen in mich setzen, für die ich religiöse Führungsperson bin.
Viele Frauen wenden sich lieber an eine Rabbinerin als an einen Rabbiner. Nicht nur, weil es einfacher ist, mit einer Frau über Sexualität und Fragen der »taharat mischpacha« zu sprechen, sondern es gibt auch andere Themen, über die Frauen leichter mit einer Frau ins Gespräch kommen – zum Beispiel über ihre Beziehung zu ihrem Partner, über Erziehung oder Schabbatregeln. Manchmal finden auch Männer die Perspektive einer weiblichen religiösen Führungspersönlichkeit hilfreich.
Ich habe drei Kinder und arbeite Vollzeit. Meine Kinder haben immer oberste Priorität. Sie unterstützen mich und sind stolz auf ihre Mutter, sodass ich keinen irgendwie gearteten Konflikt erkennen kann. Aber wenn eine andere Frau es schwierig findet, den Beruf eines Rabbiners mit ihrem Familienleben zu vereinbaren, ist das in meinen Augen völlig legitim. Übrigens finde ich, dass ein Vater auch darauf achten sollte, wie viele Abende pro Woche er im Büro verbringt. Auch er sollte zum Abendessen da sein und seine Kinder erziehen.
Das Oberrabbinat in Israel ignoriert die Ordination von Frauen. Ich kann damit leben. Schon die frühen Rabbiner haben gefragt: Wie kann es sein, dass Debora in der Bibel, eine Frau, Richterin werden durfte? Eine der Antworten, die die Tosafisten gaben, war, dass das Volk sie gewählt hat. Und wenn das Volk hinter ihr steht, dann kann es sie auch als Führungsperson bekommen. Alle Autorität geht heute vom Volk aus. Jeder kann sich seinen eigenen Rabbiner aussuchen. Wenn jemand will, dass ich seine Rabbinerin bin, dann stehe ich zur Verfügung. Und wer sich dafür entscheidet, sich eher am offiziellen Rabbinat zu orientieren, wird diesen Weg wählen.
Die ultraorthodoxe Welt hat sich dafür entschieden, die Rolle der Frau ganz anders zu definieren als wir. In der Ultraorthodoxie sieht man weibliche Rabbiner als nicht zu den Bedürfnissen der Gemeinschaft passend an. Ich bin sehr engagiert in meiner Gemeinschaft, in der modernen Welt. Und ich möchte die Bedürfnisse dieser modernen Welt erfüllen.
Es ist offensichtlich, dass die erste Ordination einer orthodoxen Rabbinerin weltweit, von Sara Hurvitz 2009 in den USA, und die Ordination von acht weiteren Frauen im Juni 2015 in den USA und in Israel den Diskurs in der orthodoxen Welt ändern werden. Frauen amtieren inzwischen als Rabbinerinnen in orthodoxen Gemeinden. Wir haben immer schon weibliche Rabbiner gebraucht, und die Stimmen weiblicher Gelehrter werden einen unschätzbaren Beitrag zum Dialog über die Zukunft des jüdischen Volkes leisten. Die Zeit ist reif dafür.
Meesh Hammer-Kossoy wurde im Juni am modern-orthodoxen Har’el Beit Midrash in Jerusalem von Rabbiner Herzl Hefter and Rabbiner Daniel Sperber als Rabbinerin ordiniert. Die Mutter von drei Kindern promovierte über ein talmudisches Thema.
CONTRA
Ich möchte gleich zu Anfang festhalten, dass ich jede Frau respektiere, die für sich entschieden hat, Rabbinerin zu werden, und jüdischen Menschen Tora und Mizwot näherbringt. Eigentlich hatte ich beinahe selbst mit diesem Gedanken gespielt. Relativ am Anfang meiner Studien an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg schrieb ich eine Arbeit über den berühmten Aufklärer Moses Mendelssohn und war von seiner Intellektualität sowie seinem Mut schwer beeindruckt: vom Phaedon, der Wolffschen Metaphysik, von der Bibelübersetzung.
Auch Abraham Geiger war eine interessante Persönlichkeit. Er hat als Rabbiner vieles bewirkt und die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin mitbegründet. Die Ideen klangen alle gut. Und doch hat es mich jedes Mal im tiefsten Innersten unangenehm betroffen gemacht, wenn ich über die Familien und die »Legacy«, also das Vermächtnis dieser Menschen las. Aus Mendelssohns Tochter Brendel wurde Dorothea Friederike, Geigers Sohn benannte sich um zu Ludwig Moritz Philipp. Bereits die zweite Generation konvertierte meist zum Christentum – oder gründete gar keine Familie.
Ich hatte ganz zu Anfang meines Studiums geheiratet, und der Schabbat wurde schnell zum Höhepunkt unserer studentischen Woche. Gäste waren herzlich willkommen, und nicht selten waren es Amerikaner, die über die »Zures« des amerikanischen liberalen Judentums berichteten: Es assimiliere sich ein Teil der zweiten Generation, in den »Tempeln« seien viele Frauen, aber wenige Männer. Oft fiel das Wort »Intermarriage«, oder wir hörten eine Geschichte über die Flucht der Tochter einer Rabbinerin nach Mea Schearim.
Dann empfingen wir einen außergewöhnlichen Gast. Er war ein Orientalist, der in Köln einen Lehrstuhl innehatte und in Belgien wohnte. Wir wurden kurz darauf zu »Feiertags-Pilgern« und entdeckten in Antwerpen eine jüdische Welt, die uns sehr gefiel. Zuallererst war es die starke »Legacy«, die uns besonders beeindruckte. Aber auch die Gastfreundschaft und Freundlichkeit, positives Judentum mit vielen Traditionen, köstliches Essen und herrlicher Gesang trugen dazu bei, dass unsere Herzen das orthodoxe Judentum lieben lernten.
Heute ist mein Mann Rabbiner in einer Gemeinde, die zu den 15 größten Deutschlands gehört. Wenn er nach Hause kommt, von mir mit einem Lächeln empfangen, von den Kindern umschwärmt und von einem warmen nahrhaften Abendessen gestärkt wird, sehe ich, wie er positive Energie tankt. Und die braucht er wirklich, denn sein Job ist überaus anspruchsvoll und anstrengend – manchmal wunderbar, manchmal aber auch undankbar. Einmal sagte mir unser Ex-Geschäftsführer, dass er den Rabbiner am liebsten sieben Tage die Woche in der Gemeinde hätte. Und tatsächlich, es gibt immer sehr viel zu tun.
Wenn ich rein theoretisch darüber nachdenke, dass eine Frau die langen Gottesdienste abhalten, Religionsunterricht für Kinder und Erwachsene erteilen, die Kita, die Kranken und die Gefangenen besuchen, Beerdigungen durchführen muss und eine Familie zu versorgen hat, hört sich das schwierig an.
Denkt man an die berühmte Bindungstheorie von Bowlby und Ainsworth, sollte eine Frau eine enge Beziehung zu ihrem Kind haben, mindestens in dessen ersten 1,5 Lebensjahren, und für das Baby oder Kleinkind sowohl körperlich als auch emotional voll da sein. In meinem Fall wären es insgesamt 7,5 Jahre Elternzeit – und ich denke, weder für die Führung einer Gemeinde noch für die Rabbi-Karriere wäre diese Tatsache besonders förderlich.
Um eine gesunde und glückliche Familie aufzubauen, was eine wirklich schwierige Aufgabe ist, braucht eine Frau Magie. Diese Magie entsteht aus »Bina«, einer rein weiblichen Kraft, die sich in Intuition, selbstlosem Benehmen, gescheiter Haushaltsführung und der Liebe, die sie dem Mann und den Kindern gibt, widerspiegelt.
Nur die Frau besitzt diese besondere Kraft, die ihr die Möglichkeit gibt, ein harmonisches Zuhause zu erschaffen, wo sich Mann und Kinder am allerwohlsten fühlen. Wo sie den Kindern »Torat Imecha« beibringen kann, damit sie gesund und glücklich aufwachsen und die »Legacy«, das Erbe, mit Freude antreten. Wo sie zu ihrem Mann eine Beziehung aufbaut, die das ganze Leben lang hält und von Jahr zu Jahr fester wird.
Ich meine damit nicht, dass eine Frau nicht arbeiten sollte. Im Gegenteil. Eine Frau kann arbeiten, wenn es aus finanziellen Gründen nicht anders geht, oder wenn es ihr Spaß macht und ihr Leben bereichert. Ich selbst arbeite von zu Hause, unterrichte und koordiniere gemeinsam mit einem Kollegen die Lauder E-Learning School Germany, ein großartiges Projekt, das das Lernen von Iwrit, Tora und Tradition deutschlandweit für Kinder ermöglicht, die keine jüdische Schule in ihrer Stadt haben. Und als Rebbetzin bin ich auch für die Frauen unserer Gemeinde da: als Ratgeberin, Lehrerin und Freundin.
Julia Konnik koordiniert die E-Learning School der Lauder Foundation in Deutschland. Die Mutter von fünf Kindern ist auch als Rebbetzin in der Gemeinde tätig. Ihr Mann, Reuven Konnik, ist orthodoxer Rabbiner in Duisburg.