Koscher ist nicht gleich koscher: Wer sich nicht an die jüdischen Speiseregeln hält, ahnt häufig nicht, welche vielfältigen Regeln beim Kauf bestimmter Lebensmittel zur Anwendung kommen können. Je nachdem, nach welcher rabbinischen Autorität ein Jude sich richtet, kann der wöchentliche Einkauf verhältnismäßig einfach zu bewerkstelligen sein – oder sich kompliziert gestalten, weil in vielen Fällen nur Lebensmittel aus koscheren Läden erlaubt sind.
Viele Juden kaufen zum Beispiel nur Milch, die als »Chalaw Israel«, also unter jüdischer Aufsicht, produziert wurde. Auch Käse muss stets koscher zertifiziert sein. Butter hingegen dürfen sogar »Chalaw Israel«-Kunden in herkömmlichen Supermärkten erwerben. Warum ist das so? Wenn die Milch, aus der die Butter hergestellt wurde, für einen »Chalaw Israel«-Essenden nicht erlaubt ist, was macht dann das Endprodukt plötzlich koscher?
Befragen wir zum besseren Verständnis unsere jüdischen Quellen. Die Milch einer Kuh, die von einem Nichtjuden gemolken wurde, ist (Babylonischer Talmud, Avoda Zara 35b) nicht erlaubt. Denn es besteht die Gefahr, dass die Milch eines nicht koscheren Tieres (wie Esel oder Pferd) in die Kuhmilch hineingemischt wurde.
Der Talmud stellt allerdings eindeutig fest, dass man aus der Milch unkoscherer Tiere sowieso keinen Käse und keine Butter herstellen kann, da sie nicht koaguliert, also gerinnt. Dieser Logik nach wäre es kein Problem, fertige feste Milchprodukte von Nichtjuden zu kaufen, da die Produktion bei Hinzufügen unkoscherer Milch gar nicht möglich wäre.
Molke Die Tatsache, dass Käse unter Ko-scher-Aufsicht hergestellt werden muss (Takanat Gevinat Akum), hat also ganz andere Gründe (Avoda Zara 29b). Gehen wir in die Geschichte zurück: Die Butter vor 400 Jahren sah ganz anders aus als die von heute. Es war keine reine feste Masse, sondern sie war eher weich, möglicherweise mit Molkeresten. Diese Reste gelten als »Chalav Stam«, als nicht unter jüdischer Aufsicht hergestellte Milch, und sind für manche Juden daher problematisch.
Früher gab es Orte, an denen die Butter ganz rein war und man sie kaufen durfte, und Orte, wo es Tradition war, Butter wegen der Furcht vor Molkeresten nicht zu verzehren.
Der Ramo (Rabbiner Moses Isserles, 1520–1572) empfiehlt, an einem Ort, wo es keine eindeutige Tradition gibt, die Butter zu kochen, um die Reste der Molke zu entfernen (Jore Dea 115,3). An derselben Stelle bekräftigt der Ramo, dass man, wenn man von einem Ort, an dem keine herkömmliche Butter gekauft wird, an einen Ort fährt, wo es Brauch ist, herkömmliche Butter zu genießen, man sie dort auch essen darf.
Heutzutage stellt sich dieses Problem ganz anders dar. Butter ist rein von allen Molkeresten und hat denselben Status wie Butter in der Zeit des Schulchan Aruch (1563), nachdem sie ausgekocht wurde. Kann Butter heutzutage also überall problemlos konsumiert werden?
Nein, denn es gibt möglicherweise andere Probleme. So wird Butter in manchen Ländern aus Molke produziert, die nach der Käseproduktion übrig bleibt. Dies macht die Butter unkoscher.
Man kann auch nicht überall sicher sein, dass in der Butter keine zusätzlichen unkoscheren Zutaten vorhanden sind. In Deutschland kann man also nur »Deutsche Markenbutter« kaufen, die laut Paragraf 13 der Butterverordnung aus Milch von Kühen hergestellt wurde – oder aus unmittelbar daraus gewonnenem Rahm, der pasteurisiert wurde.
Logik Kann man dieselbe Logik auch auf andere Milchprodukte anwenden? Laut halachischen Autoritäten wie Schach (Rabbiner Eleazar Menachem Schach (1898–2001), Pri Chadasch, Chochmas Odom, Aruch Hashulchan und anderen Gelehrten hat feste saure Sahne denselben Status wie Butter. Laut Rav Schach ist sie sogar besser, da das Problem der Molkereste sich nicht stellt.
Ebenjenes Produkt, das Rav Schach erlaubt, wird im Schulchan Aruch als »Kutach« bezeichnet. Chochmas Odom sagt, dass es »Smetana« (Saure Sahne auf Russisch) sei, und Pri Chadasch nennt es »Kaymak« (Saure Sahne auf Alttürkisch).
Schmand Wenn man diese Ansichten auf das heutige Deutschland überträgt, dann haben reine Saure Sahne, Schmand, Crème fraîche und ähnliche reine Sahneprodukte ohne weitere Zutaten denselben Status wie Butter und dürfen also auch von »Chalaw Israel«-Kunden konsumiert werden. Es ist wichtig zu beachten, dass diese Namen nicht überall für dieselben Produkte benutzt werden und man immer darauf achten muss, dass sie nicht flüssig sind. Denn dann fallen sie in die Kategorie von Milch und haben somit »Chalaw Stam«-Status.
Manchmal werde ich gefragt, ob es sinnvoll sei, sich auf diese Einschätzungen zu verlassen. Sollte man Saure Sahne ohne Koscherstempel wirklich erlauben?
Rav Taz (Rabbiner David Halevi Segal, 1586–1667), wie auch manche anderen Acharonim (rabbinische Gelehrte aus der Zeit des Schulchan Aruch), ist mit Rav Schach nicht einverstanden. Kann es denn schlecht sein, als »Machmir« zu gelten – als jemand, der sich an die strenge Auslegung der Halacha hält?
Die Antwort darauf ist: Wenn Taz und Schach sich über etwas nicht einig sind, dann entscheiden wir uns für den Standpunkt des »Machmir«, entscheiden uns also für die strengere Auslegung, solange es um ein Toraverbot geht.
Allerdings richtet sich die Halacha dennoch in vielen Fällen nach dem Schach, auch wenn es sich um ein Toraverbot handelt, da er über breitere Akzeptanz verfügt als der Taz.
Chalaw Israel Bei rabbinischen Verboten besteht im Gegensatz zu Toraverboten aber keine Pflicht, sich immer nach der strengeren Meinung zu richten. Außerdem sollte man sich vor Augen führen, dass die gesamten Vorschriften über »Chalaw Israel« den meisten Juden nicht einmal als rabbinisches Verbot gelten, sondern als Minhag.
Laut Rabbiner Mosche Feinstein (1895–1986) und Chazon Isch (Rabbiner Avraham Jeschajahu Karelitz, 1878–1953) ist das Verbot nichtjüdischer Milch heutzutage überhaupt nicht mehr relevant. Natürlich gibt es viele Juden, die nur »Chalaw Israel« kaufen, aber das ist nur ein guter Brauch, und man sollte damit nicht übertreiben.
Zum Schluss eine persönliche Notiz: Vor der Veröffentlichung dieser Überlegungen habe ich mich mit meinem Rabbiner, Dajan Chanoch Ehrentreu, beraten.
Der Autor ist Dozent für Halacha am orthodoxen Rabbinerseminar zu Berlin. Er wird derzeit zum Dajan (Richter am Beit Din) ausgebildet.