Nach den Worten des Talmuds (Brachot 5a) hat G’tt dem jüdischen Volk drei kostbare Gaben zugedacht, die aber alle nur mit großen Opfern und Schmerzen zu erwerben sind: Tora, Eretz Israel und Olam Haba, die zukünftige Welt im Jenseits.
Wenn wir in die Tiefe der menschlichen Gefühlswelt eindringen, erkennen wir, dass dem Menschen nicht etwa dasjenige besonders kostbar ist, aus dem er den größten Gewinn zieht, sondern das, wofür er viele Opfer gebracht hat. Die Tora, das Land Israel und die jenseitige Welt werden dem jüdischen Volk und dem individuellen jüdischen Menschen nicht zum Nulltarif gewährt. Vielmehr fordert deren Erwerb seinen hohen Tribut und ringt dem jüdischen Volk große Aufopferung ab, denn erst mit der Zahlung eines hohen Preises lernt man die erworbene Sache wirklich zu schätzen. Die Opfer, die das jüdische Volk gebracht hat und zu bringen hat, lassen uns empfinden, wie kostbar die g’ttlichen Gaben für das jüdische Volk geworden sind.
Bund Am Ende der Wüstenwanderung versammelt Mosche kurz vor seinem Tod noch einmal die Israeliten. Er bekräftigt eindringlich die Verpflichtung der anwesenden Generation in ihrer Eigenschaft als das Volk G’ttes auf den kollektiven Bund, den es mit dem Ewigen eingeht. Der Bund wird seine Gültigkeit über alle künftigen Generationen hinweg behalten, weil er auch mit denen geschlossen wird, die nicht anwesend sind.
So lesen wir im 5. Buch Mose 29, 13–14: »Nicht mit euch allein schließe ich diesen Bund und diesen Eid, sondern mit dem, der heute hier mit uns vor dem Ewigen, unserem G’tt steht, und mit dem, der heute nicht hier bei uns ist.« Der große Torakommentator Raschi (1040–1105) bemerkt, dass damit die künftigen Generationen gemeint sind.
Der Bund, der in unserer Parascha erneuert wird, gilt als gesetzliche Grundlage, die die Nachkommen auf den Eid verpflichtet, den ihre Vorfahren geleistet haben. Dieser Bund wird für alle noch ungeborenen künftigen Generationen gleichermaßen bindend bleiben. Er stützt sich auf die drei Säulen Tora, Land Israel und die jenseitige Welt, die G’tt dem jüdischen Volk als Gaben verleiht.
Tora Die erste der drei Gaben ist die Tora. Die schriftliche Tora (die fünf Bücher Mose) und die mündliche Tora (Mischna und Talmud) bestimmen den jüdischen Lebenswandel und Alltag. Sie gestalten die jüdische Gedankenwelt, das Lernen und Lehren. Die Gebote der Tora und die Vorschriften der mündlichen Überlieferung verlangen einen hohen persönlichen und unermüdlichen Einsatz sowie selbstlose Hingabe.
Jedem ist bekannt, welche Opfer Juden in allen Generationen für das Judentum gebracht haben. Ganze jüdische Gemeinden wurden ausgerottet, weil ihre Mitglieder die anderen Religionen, vom Hellenismus bis zum Christentum, nicht annehmen wollten. Unter Lebensgefahr lernten Juden Tora und praktizierten ihr Judentum.
Die zweite Gabe, die das jüdische Volk von G’tt erhalten hat, ist Eretz Israel. Was während vieler Jahrhunderte fast nur ein Traum war, ist in den vergangenen 100 Jahren in vielen kleinen und größeren Schritten Realität geworden. Noch ist vieles im Fluss und ohne klare Konturen. Die äußeren Grenzen des Staates Israel und seine innere Gestaltung sind noch immer nicht definitiv festgelegt und stellen Themen von ungeheurer politischer Brisanz dar.
Wie in Israel selbst gehen auch in der Diaspora die Meinungen, wie Israel zu innerem und äußerem Frieden kommen kann, weit auseinander. Niemand von uns bleibt von diesem Thema unberührt. Jeder stellt sich, wenn er neue Nachrichten über Israel zur Kenntnis nimmt, die Gretchenfrage: Ist das gut oder schlecht für Israel?
Wertschätzung Der Erwerb und Aufbau des jüdischen Staates fordert bis heute einen hohen Preis und leider auch viele Opfer. Erst mit Zahlung eines schmerzhaften Preises aber lernt man die erworbene Sache wirklich zu schätzen, denn es liegt in der Natur des Menschen, die Wertschätzung einer kostenlosen Sache zu vernachlässigen. Die Verteidigung unserer Heimat gegen feindliche Nachbarn kostet bis zum heutigen Tag zahllose Menschenleben, fordert von den israelischen Bürgern einen harten und langjährigen Einsatz in der Armee und zwingt den Staat zu hohen Militärausgaben. Ständig muss Israel gegen die militärische Bedrohung ums Überleben kämpfen und hat gewaltige Verluste von Soldaten und zivilen Opfern grausamer Terroranschläge zu beklagen.
Im Talmud (Sanhedrin 98b) erklären einige Gelehrte, dass sie die messianische Erlösung (Ge’ula) erleben wollen, nicht jedoch die Chewlej Maschiach, die Geburtswehen der Erlösung, eine Zeit von großem Leid und schweren Qualen, die dem messianischen Zeitalter vorangeht.
Der Prophet verkündet: »Jerusalem wird eine offene Stadt sein (Sacharja 2,8). Demnach wird sich Jerusalem in der Ära der Erlösung als offene Stadt präsentieren, in der sich jeder frei und ohne Angst vor Gefahren bewegen kann. Einerseits müssen wir der leidvollen Vergangenheit gedenken, aber andererseits sind wir aufgerufen, ungeachtet der schwierigen Lage trotzdem optimistisch in die Zukunft zu blicken.
Die dritte g’ttliche Gabe ist Olam Haba, die künftige, jenseitige Welt. Den Eintritt muss man sich durch einen gerechten Lebensweg verdienen, die Umsetzung des mit hartem Einsatz erarbeiteten Torawissens, die Erfüllung von Mizwot und die Ausführung von Maassim towim (gute Taten) in der dornig-steinigen Umwelt unseres diesseitigen Lebens.
Wie Lohn und Strafe beschaffen sind, wissen wir nicht. Sicher aber zählen für die Würdigung eines jüdischen Lebens die Taten und Mühen, die aufgewendet worden sind, um als Mensch und Jude zu bestehen. Die Befolgung der Mizwot, Schabbat, Kaschrut und der jüdische Rhythmus des täglichen Lebens bilden die Grundlagen, die das Familienleben, das gesellschaftliche Leben, das Berufsleben und auch den Umgang mit der Freiheit prägen sollen. Das alles gestaltet insgesamt unser Leben.
Als Juden haben wir die Aufgabe, an der Vervollkommnung der Welt zu einem Herrschaftsbereich des allmächtigen Schöpfers zu arbeiten. Die drei Geschenke, die uns G’tt gegeben hat, sollen uns in unserem Leben als Wegweiser dienen. Der Mensch ist kein Zufallsprodukt. Er hat wichtige Aufgaben in dieser Welt zu erfüllen.
Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde München.
Inhalt
Im Zentrum des Wochenabschnitts Nizawim steht der Bund des Ewigen mit dem jüdischen Volk. Diesmal sind ausdrücklich auch die künftigen Generationen miteinbezogen. G’tt versichert den Israeliten, dass er sie nicht vergessen wird, doch sollen sie die Mizwot halten.
5. Buch Mose 29,9 – 30,20