Die Tora ist ein Gegenentwurf zur Welt der antiken Ägypter: Die Religion Ägyptens war auf das Jenseits bezogen. Es gab klare Vorstellungen davon, wie das Jenseits aussehen würde. Ganz anders die Tora. Den Kohanim, den Priestern, ist der Kontakt zu Toten stark beschränkt, sie befassen sich in erster Linie mit dem Leben. Auch gibt die Tora keinerlei Hinweise auf das, was nach dem Tod konkret passiert. Die Tora spricht von einigen untadeligen Menschen, wie Awraham, die nach ihrem Tod »zu ihrem Volk eingesammelt« werden: »Und er … starb in einem gesegneten Alter … und ward zu seinem Volk eingesammelt« (1. Buch Mose 25,8).
Die Ägypter nutzten Hieroglyphen für die Vermittlung ihres Wissens. Nur Eingeweihte konnten diese vielen Zeichen lesen. Die Tora ist hingegen mit nur 22 Buchstaben geschrieben. Wer Zugang zum Wissen der Tora erlangen wollte, musste lediglich diese Buchstaben lernen. Der Götzendienst führte zu Unmoral. Dementsprechend heißt es im 3. Buch Mose 18,3: »Nach dem Brauch des Landes Ägypten, in dem ihr gewohnt habt, tut nichts.« Eine bemerkenswerte Differenzierung folgt dann im 5. Buch Mose. Die Ablehnung soll sich nicht auf die Menschen beziehen: »Du sollst den Ägypter nicht verabscheuen, denn ein Fremdling warst du in seinem Land« (23,8).
Das Land war nach dem Auszug des jüdischen Volkes im übertragenen Sinne leer. Im Talmud heißt es: »Und sie leerten Ägypten, sagte Rabbi Ami: Das bedeutet, dass sie Ägypten wie eine Falle gemacht haben, in der es kein Getreide als Köder gibt, um Vögel anzulocken. Resch Lakisch sagte: Sie machten Ägypten wie einen Abgrund im Meer ohne Fische« (Berachot 9b).
Das konkrete Wissen über die Welt der alten Ägypter ging verloren.
Das konkrete Wissen über die Welt der alten Ägypter ging dann verloren. Dass man jedoch eine »Ahnung« davon hatte, bezeugt ein Kommentar Raschis zum 2. Buch Mose 10,10: »Ich habe eine Erklärung aus dem Midrasch gehört. Es gibt einen Stern. Sein Name ist Ra’a. Der Pharao sprach zu ihnen: Durch meine astrologischen Fähigkeiten kann ich sehen, dass dieser Stern aufgeht, um euch in der Wildnis zu begegnen. Ein Zeichen für Blut und Metzelei.« Es gab also etwas Wissen über den Götzen Raʼa, aber er ist zu einem Stern geworden.
Erhalten hat sich die Ablehnung, im Land Ägypten zu wohnen. So heißt es im Talmud Jeruschalmi (Sukka 5,1): »Rabbi Schimon ben Jochaj sagte, an drei Stellen wurde Israel gewarnt, nicht in das Land Ägypten zurückzukehren, ›denn so wie ihr heute Ägypten gesehen habt, werdet ihr es nie wieder sehen‹ (2. Buch Mose 14,13). ›Und der Ewige sprach zu euch: Ihr sollt nie mehr auf diesem Weg zurückkehren‹ (5. Buch Mose 17,16). ›Und der Ewige wird euch auf Schiffen nach Ägypten zurückbringen‹« (5. Buch Mose 28,68).
Maimonides, der Rambam (1135–1204), wird dieses später als Begründung für das Verbot (Sefer ha-Mitzwot 46) nennen, sich nicht im Land Israel aufzuhalten. Der Babylonische Talmud (Sukka 51b) schildert hingegen die florierende Gemeinde von Alexandria: »Es ist gelehrt worden, dass Rabbi Jehuda gesagt hat: Wer die Große Synagoge von Alexandria in Ägypten nicht gesehen hat, hat die Herrlichkeit Israels nicht gesehen. Sie sei wie eine große Basilika mit einem Säulengang innerhalb eines Säulengangs. Zuweilen waren 600.000 Mann und weitere 600.000 Mann darin, doppelt so viele wie die, die Ägypten verlassen hatten. Darin befanden sich 71 goldene Stühle, von denen jeder aus nicht weniger als 21.000 Talenten Gold bestand.« Ein paar Zeilen später heißt es dann aber: »Abajje sprach: Sie alle tötete Alexander der Mazedonier. – Weshalb wurden sie bestraft? – Weil sie den Schriftvers übertreten haben: Ihr sollt nie mehr auf diesem Weg zurückkehren – sie aber sind zurückgekehrt.«
Der Rambam lebte selbst in Ägypten. Er argumentierte: »Es ist aber gestattet, in das Land Ägypten des Handels und der Einkäufe wegen zu kommen« (Hilchot Melachim 5,8). Aber auch er bezieht sich auf die unmoralische Umwelt Ägyptens. Kurz: Ein moralisches Umfeld ist die bessere Umgebung.