Festschrift

Advokat der jüdischen Mitte

Aviezer Ravitzky Foto: Flash 90

Im Rahmen einer wissenschaftlichen Tagung für Judaisten wurde Professor Aviezer Ravitzky, der fast 30 Jahre lang jüdische Philosophie an der Hebräischen Universität in Jerusalem lehrte, am 5. Juni in den sogenannten Ruhestand entlassen. Dabei konnte der 67-jährige Emeritus schon seit dem Herbst 2006 nicht mehr an der Hochschule arbeiten, denn er musste sich von einem schweren Verkehrsunfall erholen. Ganz gesund ist er leider auch heute noch nicht. Aber jetzt kann er wieder gehen und sprechen, wenn auch langsam und manchmal mit undeutlicher Aussprache.

Seine Dankesrede hatte die Familie vor der Veranstaltung aufgezeichnet und nun auf eine große Leinwand projiziert. Es war bewegend, mit Ravitzky zusammen diesen kurzen Film zu sehen. Am Ende erhoben sich die Anwesenden ehrfürchtig von ihren Plätzen. Der lange Beifall der Stehenden galt einer Ansprache, in der Ravitzky den kühnen Versuch unternahm, sein vielseitiges Lebenswerk in wenigen Sätzen zu umschreiben.

Gedankengebäude Der Redner erklärte, er habe sich weitgehend mit der Einstellung seines Lehrers Eliezer Schweid identifiziert, der das Judentum nicht bloß als eine historische oder philosophische Gegebenheit betrachtet, sondern vielmehr als eine lebende, fließende Wirklichkeit analysiert. Ravitzky haben besonders die Gedankengebäude von Maimonides, Chasdaj Crescas und Rabbiner Abraham Kuk beeindruckt. Der Erforschung ihrer philosophischen Überlegungen galt sein wissenschaftliches Interesse.

Neben seiner weitverzweigten akademischen Arbeit hat Ravitzky sich von Jugend an gesellschaftlich-politisch engagiert. So hat er sich mit der antizionistischen Ideologie der Satmarer Chassidim auseinandergesetzt, deren Standpunkt er für falsch hält, weil die Antizionisten auf die einmalige Möglichkeit verzichten, das Leben des jüdischen Volkes neu zu organisieren. Auch der aktivistisch-messianischen Ideologie einflussreicher Schüler von Rabbiner Kuk steht Ravitzky kritisch gegenüber. Er bekennt sich offen zum religiösen Zionismus und hält apokalyptische Politik und jede Form des Extremismus für unangebracht und sogar gefährlich.

Kämpfe Im Geiste von Maimonides sucht der Geehrte, den mittleren Weg auszumachen, und er hat für diesen Pfad der Mäßigung unentwegt geworben. Seine Bemühungen um Ausgleich zwischen den Extremen hat man, wie nicht anders zu erwarten, in bestimmten Kreisen heftig bekämpft. Solchen Auseinandersetzungen wich er nie aus. Heute vermissen viele Intellektuelle in Israel Ravitzkys besonnene Stimme in der öffentlichen Debatte von Grundsatzfragen.

Schon vor dem folgenreichen Unfall hat man Ravitzkys Leistungen nicht nur in akademischen Kreisen zu würdigen gewusst. Im Jahre 2001 wurde ihm der angesehene Israel-Preis verliehen. Erst in diesem Jahr hat man Ravitzky eine zweibändige Festschrift überreicht, zu der viele bekannte israelische Geisteswissenschaftler materialreiche Abhandlungen beigesteuert haben. Gewiss wird jeder, der sich für die Geschichte, Religion und Kultur des jüdischen Volkes interessiert, aus diesen Texten viel Neues erfahren. Die »Einführung«, in der man Kurzreferate der Festschrift-Beiträge findet, wurden jetzt – ins Englische übersetzt – veröffentlicht.

B. Brown, M. Lorberbaum, A. Rosenak, Y. Z. Stern (Hrsg.): »Religion and Politics in Jewish Thought. Essays in Honor of Aviezer Ravitzky«. The Israel Democracy Institute and The Zalman Shazar Center for Jewish History, Jerusalem 2012, 990 S., 197,20 NIS

Halacha

Kann ein Jude die Beerdigung des Papstes besuchen?

Papst Franziskus wird diesen Samstag, an Schabbat, beerdigt. Observante Juden könnte das vor komplizierte Fragen stellen

von Vyacheslav Dobrovych  25.04.2025

Schemini

Offene Türen

Die Tora lehrt, auch Fremde freundlich zu empfangen

von Rabbiner Bryan Weisz  25.04.2025

Nachruf

Förderer des katholisch-jüdischen Dialogs, aber auch harter Kritiker Israels

Papst Franziskus im Alter von 88 Jahren gestorben. Sein langjähriger Gesprächspartner, Rabbiner Jehoschua Ahrens, nimmt Abschied

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  28.04.2025 Aktualisiert

Chol Hamoed

Nur Mosche kannte die Freiheit

Warum das Volk Israel beim Auszug aus Ägypten ängstlich war

von Rabbinerin Yael Deusel  17.04.2025

Geschichte

Waren wir wirklich in Ägypten?

Lange stritten Historiker darüber, ob die Erzählung vom Exodus wahr sein könnte. Dann kamen die Archäologen

von Rabbiner Igor Mendel Itkin  17.04.2025

Berlin

Berlin: Gericht bestätigt fristlose Kündigung von Rabbiner

Das Berliner Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Rabbiners wegen sexueller Belästigung eines weiblichen Gemeindemitglieds bestätigt

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Feiertage

Pessach ist das jüdische Fest der Freiheit - und der Frauen

Die Rolle und Verdienste von Frauen würdigen - dafür ist Pessach eine gute Gelegenheit, sagen Rabbinerinnen. Warum sie das meinen und welchen Ausdruck diese Perspektive findet

von Leticia Witte  11.04.2025

Exodus

Alle, die mit uns kamen …

Mit den Israeliten zogen noch andere »Fremde« aus Ägypten. Was wissen wir über sie?

von Sophie Bigot Goldblum  11.04.2025