Die Parascha für diesen Schabbat enthält den Priestersegen (hebräisch: »Birkat Kohanim«), der fester Bestandteil der synagogalen Liturgie ist und den sogar die Kirchen von uns übernommen haben. Der Segen kann sowohl eine spirituelle als auch eine virtuelle Handlung sein.
Viele Nichtjuden leiten das deutsche Wort »segnen« vom lateinischen »signare« ab, was so viel bedeutet wie »mit dem Zeichen des Kreuzes versehen«. Das hebräische Verb »berach« für segnen dagegen kennen wir aus der Geschichte der Welterschaffung aus dem ersten Buch der Tora, Bereschit. Es drückt die Hoffnung aus, dass der Gesegnete Anteil an der g’ttlichen Kraft und Gnade erhalten soll.
Benschen Der früher allseits bekannte jiddische Ausdruck »benschen« geht auf das lateinische »benedicere« zurück und bedeutet »jemandem Gutes von G’tt verheißen«. Unsere Vorfahren, die in katholischen Ländern in Europa lebten, übernahmen oft mehrere ursprünglich lateinische Ausdrücke und integrierten sie in ihre jiddische Alltagssprache.
Der Priestersegen ist ein schlichter, dreifacher Wunsch, um dessen Erfüllung wir andächtig flehen: »Der Herr segne dich und behüte dich« (4. Buch Mose 6, 24–26), lautet der erste Segen und meint den Schutz G’ttes. Unsere Rabbinen erweiterten den Sinn dieses Segens und erläuterten: Der Herr möge uns nicht nur vor Krankheit und Elend schützen. Er bewahre uns auch vor schädlichen Einflüssen, wie zum Beispiel der Knechtschaft des Mammons.
Der zweite Segen verkündet uns bildhaft die Gnade G’ttes: »Ein Licht strahle über uns!« Unsere Weisen deuteten diesen Segen in spirituellem Sinn: Das Licht des Wissens, die Fähigkeit zum Unterscheiden zwischen Machbarem und Unmöglichem soll uns vervollkommnen, gepaart mit Einsicht und Toleranz.
Das Segnen der Gemeinde in der Synagoge unterliegt bestimmten Voraussetzungen und Regeln. Dies entnahmen die Kommentatoren und Rabbinen aus der Formulierung des Priestersegens in der Tora. Dort ist zu lesen: »Der Herr sagte zu Mosche Folgendes: Sprich zu Aharon und seinen Söhnen: So sollt ihr die Kinder Israels segnen« (6,22).
Gepflogenheit Mit dieser Formulierung des hebräischen Textes begründete man die Gepflogenheit, dass im G’ttesdienst in der Synagoge nur ein Kohen, also ein direkter Nachfahre der Priesterfamilie, den Segen vor der Gemeinde spricht – und zwar stehend, den Betern zugewandt und mit ausgebreiteten Armen.
Bei dieser alten Tradition scheint die Frage berechtigt, warum bis heute nur ein Kohen den Segen erteilen darf. Es ist doch richtig, dass in der Wertschätzung des nachbiblischen, rabbinischen Judentums das Studium sowie die aktive Befolgung der Tora und Tugenden wie Wohltätigkeit, Sozialarbeit, die Ehre der Eltern, Gastfreundschaft, Krankenpflege, Friedfertigkeit weit höher rangieren als die priesterliche Abstammung. Wie kommt es, dass nur ein Kohen den Segen erteilen darf, auch wenn er kein Toragelehrter ist? Ist diese Anordnung der Tora mit den übrigen Normen des Judentums in Einklang zu bringen?
Der Sinn dieses Toragebots liegt in dem bekannten jüdischen Prinzip »Hoffnung«. Das Judentum hofft und harrt auf die Erlösung der Welt mit der Möglichkeit, das Bet HaMikdasch, den Tempel, und den Priesterg’ttesdienst in Jerusalem wiederherzustellen. Wegen des »Prinzips Hoffnung« muss auch die Stellung des Kohens unangetastet bleiben.
Jitzchak Abarbanel (1437–1508), ein aus Spanien stammender jüdischer Gelehrter, meinte, dass der Priestersegen an folgende drei Schichten der Bevölkerung gerichtet sei: an die Arbeiter, die Studierenden und jene, die in der Not das Land verteidigen.
Soldaten Die Arbeiter spricht der erste Teil des Segens an: »Es segne dich der Herr und bewahre dich.« Dieser Segen verheißt Wohlergehen, den Genuss der Früchte der eigenen Hände Arbeit. Der zweite Teil gilt den Studierenden, Lehrenden und Forschenden: »Der Herr erleuchte dir Sein Antlitz und sei dir gnädig.« Der dritte Segen gilt den Verteidigern des Landes. Was könnte diese mehr erfreuen als der fromme Wunsch nach Frieden: »Der Herr wende dir sein Antlitz zu und gebe dir Frieden.«
Der dritte Teil des Segens will uns den Frieden G’ttes verleihen. Bereits die nachbiblische Lehre, die Mischna, verkündete, dass der mächtigste Segen der Friede sei, weil dieser alle anderen Wohltaten beinhalte. Diesen erhoffen wir für uns und für die vielen Leidenden, die die Erfüllung dieses g’ttlichen Segens so bitter nötig hätten.
Im Lauf der Zeit entstand die feste Gewohnheit, dass zum Einbruch des Schabbat- und Feiertags Väter ihre Kinder benschen. In der chassidischen Welt legten die Anhänger des Rabbis auf den persönlichen Segen ihrer Meister zu jeglichen Anlässen stets großen Wert.
Der Autor war von 1981 bis 2002 Landesrabbiner von Württemberg.
Inhalt
Der Wochenabschnitt Paraschat Nasso setzt die Aufgabenverteilung beim Transport des Stiftszelts fort. Es folgen verschiedene Verordnungen zum Zelt und ein Abschnitt über Enthaltsamkeitsgelübde. Dann wird der priesterliche Segen übermittelt. Den Abschluss bildet eine Schilderung der Gaben der Stammesfürsten zur Einweihung des Stiftszelts.
4. Buch Mose 4,21 – 7,89