Am Ende des Schabbats machen wir Hawdala, die Abschiedszeremonie. Wir sagen eine Bracha (Segensspruch) über das Feuer, weil wir den ganzen Schabbat über kein Feuer benutzen durften. Danach folgen die Besamim, die wohlriechenden Kräuter, denn wir wollen uns den Abschied vom wöchentlichen Ruhetag mit dem köstlichen Duft der Kräuter erleichtern. Der Schabbat ist vorbei, die neue Arbeitswoche beginnt.
Wie aber verabschieden wir uns vom Schmitta-Jahr, dem Schabbatjahr, das an Rosch Haschana endet? Es gibt keine Abschiedszeremonie dafür. Dies mag daran liegen, dass das siebte Jahr, in dem das gesamte Land in Israel brachliegen muss und keine Arbeit auf dem Land verrichtet werden darf, bei Weitem nicht mit Rosch Haschana endet.
Eine Flasche israelischer Wein aus dem Schmitta-Jahr muss vollständig leer getrunken werden.
Zunächst wird am letzten Tag des zu Ende gehenden jüdischen Jahres eine Minute vor Sonnenuntergang eine allgemeine Amnestie für alle finanziellen Schulden erlassen. »Schmitta« bedeutet Freilassung. Am Ende des siebten Jahres werden alle finanziellen Schulden erlassen. Dies ist in der Tora vorgeschrieben.
Prosbul Als toratreuer Jude kann man dies nur verhindern, indem man die Schulden an ein Beit Din, ein jüdisches Gericht, überträgt, das die Schulden eintreiben kann. Private Gläubiger dürfen ihre Schulden nicht eintreiben. Ein Beit Din ist keine Privatperson, sondern eine öffentliche Einrichtung und darf daher weiterhin Schulden eintreiben. Dieses Verfahren wird in der talmudischen Literatur als »Prosbul« bezeichnet.
Ebenso sind nicht alle Produkte aus Israel einfach so wieder zugelassen: Produkte, die während des Schmitta-Jahres gewachsen sind, erhalten einen besonderen Status, eine Keduscha (Heiligkeit). Das bedeutet, dass diese Früchte »hefker« (ohne Eigentümer) sind; jeder Bauer muss jedem den Zutritt zu seinen Obstgärten gestatten, da jede Form von Privateigentum an landwirtschaftlichen Produkten verfällt.
Alle Früchte gehören allen. Auch Tiere können sie essen. Außerdem dürfen Schmitta-Erzeugnisse nicht normal gekauft oder verkauft und auch nicht ins Ausland exportiert werden. Die Produkte dürfen nicht für andere Zwecke verwendet werden. Der Hauptzweck der Schmitta-Produkte lautet: Konsum. Eine Flasche israelischer Wein aus dem Schmitta-Jahr muss vollständig leer getrunken werden. Die Hawdala-Kerze darin auszudrücken, ist nicht erlaubt. Auch der übrig gebliebene Wein muss getrunken werden.
Biur Der vielleicht schwierigste Teil des Schmitta-Jahres ist das sogenannte Biur (Beseitigung). Gegen Ende der Saison muss jeder alle verbliebenen Schmitta-Produkte aus dem Haus entfernen, sie auf die Straße stellen und in Anwesenheit von drei Personen erklären, dass sie nicht mehr sein Eigentum sind. Dann kann er sie anderen überlassen oder sie selbst abholen.
Dieser Biur ist mit dem Zeitpunkt verbunden, an dem diese Früchte nicht mehr auf den Feldern liegen. Zu diesem Zweck werden in jedem Schmitta-Jahr Tabellen veröffentlicht, aus denen hervorgeht, vor welchem Zeitpunkt die Beseitigung erfolgen muss: Für Kartoffeln endet das Schmitta-Jahr erst im Dezember 2022, drei Monate nach dem Ende des offiziellen Schmitta-Jahres am 25. September. Bei israelischen Äpfeln hat die »Heiligkeit« von Schmitta erst im Mai 2022 begonnen, aber Schmitta endet erst im Juli 2023.
Der Zeitpunkt des Beginns hat mit den Wachstumsstadien des Apfels im Schmitta-Jahr zu tun.
Der Biur für Äpfel kann also erst kurz vor Juli 2023 gemacht werden. Bei Datteln ist der letzte Termin sogar erst Oktober 2023. Wenn der Biur nicht rechtzeitig gemacht wird, darf die Frucht nicht mehr gegessen werden. So streng sind die Regeln.
Hawdala Weil jede Frucht ein anderes Enddatum und eine andere Biur-Zeit hat, können wir die Hawdala nicht nach dem Ablauf des Schmitta-Jahres machen. Aber wie feiern wir dann den Abschluss? Das Ende des Schabbats ist immer etwas traurig: Einerseits verabschieden wir uns von viel Spiritualität und intensivem Kontakt mit G’tt, Familie und Freunden, andererseits ergeben sich neue Möglichkeiten für Entwicklung und Kreativität, die am Schabbat verboten sind.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit der Übergangszeit zwischen dem vorherigen und dem nächsten Schmitta-Jahr umzugehen. Die Jahre, die auf das Schmitta-Jahr folgen, waren früher Katastrophenjahre. Der Erste und der Zweite Tempel wurden beide im Jahr nach einem Schmitta-Jahr zerstört (Talmud Taanit 29a). Offenbar hatten die Juden die Regeln nicht richtig eingehalten.
Andererseits gibt es aber auch Hoffnung: So bricht laut Talmud (Megilla 17b) die messianische Zeit nach einem Schmitta-Jahr an.
Nach einem Jahr Brache können wir wieder dort beginnen, wo wir Ende des vorangegangenen Jahres aufgehört haben: Wir gehen auf die Felder, um neue landwirtschaftliche Techniken auszuprobieren oder um Bäume zu pflanzen.
Israel ist berühmt für seine Bäume. Der Jüdische Nationalfonds KKL tut sein Möglichstes, um alle zum Pflanzen von Bäumen zu bewegen. Das verspricht eine gute Zukunft.
INSPIRATION Es gibt viele Möglichkeiten, die Zeit nach dem Schmitta-Jahr zu füllen. Vielleicht kann es inspirieren, wenn wir uns anschauen, was wir nach dem Schabbat tun: Wenn wir wirklich religiös sind, bereiten wir uns dann bereits auf den nächsten Schabbat vor.
So berichtet der Talmud (Betza 16a) von dem Gelehrten Schammai, er habe sein kulinarisches Leben die Woche über dem kommenden Schabbat gewidmet: Wenn er am Sonntag ein schönes Stück Fleisch fand, sagte er, dass er es für den Schabbat aufheben werde. Fand er am Dienstag ein schöneres Stück, so reservierte er es für den Schabbat und aß das Fleisch vom Sonntag. Auf diese Weise aß er die ganze Woche im Hinblick auf den Schabbat.
Schon jetzt könnten wir uns auf das nächste Schmitta-Jahr vorbereiten.
Wir können uns auf den kommenden Schabbat physisch vorbereiten, indem wir bereits jetzt das Menü und die Gästeliste festlegen. Aber dies kann auch spirituell sein, wie es meine verstorbene Mutter sel. A. zu tun pflegte: Alle ihre Gäste mussten einen Gedanken aus dem aktuellen Wochenabschnitt vorbereiten und ihn am Schabbat bei Tisch vortragen. Das verschaffte uns eine sehr schöne Schabbat-Atmosphäre und war oft sehr lustig. Die Menschen erzählten während ihrer Dewar Tora, ihres Vortrags, viel über sich selbst.
luxus Es ist kein überflüssiger Luxus, sich gut auf das nächste Schmitta-Jahr vorzubereiten. Das zu Ende gehende Schmitta-Jahr 5782 war in Bezug auf das Angebot und die Auswahl an koscheren Produkten wesentlich besser organisiert als das vorherige Schmitta-Jahr 5775.
Wir können auch die spirituellen Botschaften dieses besonderen Jahres stärker in unser tägliches Leben integrieren. Die Schmitta-Vorschriften erinnern uns an die Gleichheit aller Menschen, betonen, dass wir sensibel sein sollen für die Bedürftigen – jeder darf von allem essen – und fordern, dass wir uns mehr Zeit für unsere spirituelle und religiöse Entwicklung nehmen. So könnte also auch ein Bauer ein Schabbatjahr einlegen und zum Beispiel ein Jahr lang Tora lernen.
Der Autor ist Rabbiner und lebt in Israel.