»Die Tochter des Vaters« oder »der Sohn seiner Mutter« – so hört man es ab und zu im Familienkreis, wenn eine starke Nähe beschrieben werden soll. Hängt dies nur von den Familienbanden ab, oder gibt es da noch etwas im Kern, das solch eine Nähe stärkt oder schwächt?
Die Eltern beeinflussen das Leben ihres Kindes. Genetisch gesehen liegt das auf der Hand. Drei beteiligen sich an der Geburt eines Kindes. Vom Vater kommt alles Weiße: die Knochen und die Sclera, das Weiße in unseren Augen. Von der Mutter kommt alles Rote: Haut, Fleisch, Blut, Haare sowie die Pupillen. Und der Allmächtige verleiht dem Körper die Seele. So steht es im Talmud (Kidduschin 30a).
Im Laufe unseres Lebens besteht die Gefahr, dass sich die natürliche Verbindung zwischen Kind und Eltern löst und der Abstand immer größer wird. Die Tora stellt dies jedoch als Voraussetzung für eine erfolgreiche Ehe dar: Ein Mann muss seine Eltern verlassen und sich an seine Frau binden (1. Buch Mose 2,24).
Wir lesen in unserem Wochenabschnitt auch davon, wie sich die Frau nach der Geburt spirituell reinigt.
halachot In unserem Wochenabschnitt geht es um Halachot und Mizwot von Reinheit und Unreinheit. Im heutigen Alltag sind sie nicht mehr sehr präsent. Doch zur Zeit des Tempels waren sie wichtiger Bestandteil des Lebens. Heute beziehen sich diese Fragen vor allem auf die Kohanim, die sich nicht auf einem Friedhof oder unter einem Dach mit einer Leiche aufhalten dürfen (auch nicht im Krankenhaus oder im Flugzeug).
Des Weiteren geht es in unserer Parascha um das Eheleben in der Zeit der monatlichen Periode, wenn die Frau für ihren Mann Nidda ist. Doch ist dies nicht ausschließlich ein Zustand der Frau, sondern er betrifft beide Ehepartner.
Wir lesen in unserem Wochenabschnitt auch davon, wie sich die Frau nach der Geburt spirituell reinigt. Dabei gibt es unterschiedliche Fristen, je nachdem, ob die Frau ein Mädchen oder einen Jungen bekommen hat.
Nach der Geburt eines Jungen braucht die Frau 40 Tage: sieben Tage der Unreinheit und weitere 33 Tage, um die Reinheit wiederzuerlangen. Nachdem ein Mädchen geboren wurde, sind 80 Tage nötig: 14 Tage der Unreinheit und weitere 66 Tage, um wieder kultisch rein zu sein. Rabbi Jischmael erklärt in der Mischna, dass hier die Dauer der Gestaltung eines männlichen und eines weiblichen Embryos entscheidend ist. Allerdings wird bereits in der Mischna mit ihm darüber diskutiert, und nicht alle teilen seine Meinung (Nidda 30a).
Für Mädchen gelten die gleichen Voraussetzungen, jüdisch zu sein wie bei Jungen.
Wenn die Tora diese Regeln beschreibt, erwähnt sie auch die Pflicht der Brit Mila. Nach den ersten sieben unreinen Tagen der Mutter wird ihr Sohn am achten Tag beschnitten, dann folgen die 33 reinen Tage.
beschneidung Die Beschneidung ist das körperliche Zeichen, dass der Vater seinem Sohn zu setzen hat, damit der Junge als Jude markiert ist und sein Bund mit G’tt bei ihm für immer stark und deutlich bleibt. Natürlich kann und muss das Kind noch lernen und sich damit beschäftigen, was es für sein künftiges Leben bedeutet, jüdisch zu sein. Doch ist es ein klares und eindeutiges Zeichen.
Ein Mädchen wird nicht beschnitten. Aber für sie gelten die gleichen Voraussetzungen, jüdisch zu sein und aktiv am religiösen Leben und am G’ttesdienst teilzunehmen.
Vorbild für das Mädchen ist in den meisten Aspekten die Mutter. Der Sohn übernimmt die männlichen Eigenschaften und Kompetenzen von seinem Vater. Er beobachtet den Vater bei der Arbeit und bei seinem Umgang mit anderen Menschen. Er lernt von ihm nicht nur zu Hause, sondern vor allem draußen, in der Öffentlichkeit. Um sich darauf vorzubereiten, ihre Tochter zu Ehrfurcht, Barmherzigkeit, Bescheidenheit oder Gastfreundschaft zu erziehen, braucht die Mutter eine viel längere Zeit, argumentiert Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888). Die doppelte Zeit von Unreinheit und Reinheit sorgt dafür, dass die Mutter zu verstehen lernt, wie wichtig ihre Aufgabe ist.
So wie die Mutter sieben Tage unrein ist, gilt auch ihr Sohn durch die Vorhaut sieben Tage als unrein und wird daher erst am achten Tag beschnitten.
Wenn nicht bei der eigenen Mutter, wo kann die Tochter es sonst lernen? Die jüdische Mutter trägt viel mehr Verantwortung für die erfolgreiche Erziehung der Tochter als der Vater gegenüber dem Sohn. Der Vater muss ihn zwar die Tora lehren und ihm beruflich helfen – doch dies alles sind Kenntnisse und Fertigkeiten, die er auch von anderen Menschen lernen kann.
Die Eigenschaften, die die Tochter bei ihrer Mutter sieht und die sie sich aneignet, sind nur von der Mutter zu lernen. Deshalb ist es laut Rabbiner Hirsch umso wichtiger, dass die Mutter sich darauf vorbereiten kann.
Folgen Rabbi Chaim ben Mosche Atar (1656–1733) sieht einen Zusammenhang zwischen dem Vater und seiner Tochter sowie der Mutter und ihrem Sohn. Chawas Sünde hat dazu geführt, dass die Frauen nach der Geburt in die Zeit der Unreinheit, des Blutverlusts kommen. Chawa wurde damit bestraft, und alle Frauen tragen die Konsequenzen, wenn sie Kinder bekommen.
So wie die Mutter sieben Tage unrein ist, gilt auch ihr Sohn durch die Vorhaut sieben Tage als unrein und wird daher erst danach, am achten Tag, beschnitten.
Den Vater beeinflusst die Geburt des Kindes nicht. Er erlebt weder Tage der Unreinheit noch Tage der Reinheit. Aus diesem Grund wird an seiner Tochter am achten Tag nach der Geburt auch kein ritueller Akt vollzogen. Die Mutter aber gilt nach der Geburt der Tochter 14 Tage lang als kultisch unrein: die sieben Tage für sich und weitere sieben Tage für ihre Tochter, die eines Tages dem gleichen Lebenszyklus unterliegen wird.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt/Main und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).
Inhalt
Der Wochenabschnitt lehrt die Gesetze für die Wöchnerin und die Dauer der Unreinheit. Für ein männliches Kind wird zudem festgelegt, dass es am achten Tag nach der Geburt beschnitten werden soll. Außerdem übermittelt Tasria Regeln für Aussatz (Tsora’at) an Körper und Kleidung. Es wird detailliert geschildert, wie dieser Aussatz festgestelltwerden kann und wie dagegen vorzugehen ist.
3. Buch Mose 12,1 – 13,59