Der Monat Elul, der am Dienstagabend, den 22. August, beginnt, ist der letzte Monat eines jüdischen Jahres. Dieser Monat gilt als eine Zeit der Selbstprüfung und des Hinterfragens, als Zeit für einen Rückblick auf unsere Taten und spirituellen Fortschritte des vergangenen Jahres. Er gilt aber auch als Zeit der Vorbereitung auf die kommenden »Tage der Ehrfurcht«: Rosch Haschana und Jom Kippur.
Da der Elul als Monat der g’ttlichen Barmherzigkeit und Vergebung gilt, stellt er die günstigste Zeit für Teschuwa (Rückkehr zu G’tt), Tefila (Gebet), Zedaka (Wohltätigkeit) und Ahawat Israel (Nächstenliebe) in der Suche nach Selbstverbesserung und Näherkommen zu G’tt dar.
Obwohl diese Taten auch zu jeder anderen Zeit willkommen und lobenswert sind und einen großen Einfluss auf unser spirituelles Konto haben, können sie im Monat Elul noch mehr bewirken als zu anderen Zeiten im Jahr.
Gesetzestafeln Der Grund, warum diese Zeit als eine Versöhnungszeit zwischen G’tt und dem jüdischen Volk gilt, ist: Nachdem das Volk in der Wüste die Sünde des Goldenen Kalbes begangen hatte und die Gesetzestafeln zerbrochen worden waren, stieg Mosche auf den Berg Sinai. Dort bat er um Erbarmen und Verzeihung für das Volk.
Haschem erhörte seine Gebete und sprach zu ihm: »Haue dir zwei steinerne Tafeln, wie die ersten waren, dass ich die Worte darauf schreibe, die auf den ersten Tafeln waren, welche du zerbrochen hast. Und sei morgen bereit, dass du früh auf den Berg Sinai steigest …« (2. Buch Mose 34, 1–2).
An Rosch Chodesch Elul, dem ersten Tag des Monats, stieg Mosche erneut auf den Berg Sinai und verweilte dort 40 Tage lang, bis zum zehnten Tag des Monats Tischri. Am zehnten Tischri brachte er die zweiten Tafeln, die G’tt dem jüdischen Volk als Zeichen seiner Vergebung übergeben hatte.
Diese 40 Tage wurden von da an als Tage des g’ttlichen Entgegenkommens, der Rückkehr zu Ihm und der Versöhnung für die kommenden Generationen festgelegt und der 10. Tischri als Jom Kippur, als Tag der Versöhnung, festgehalten.
Das Sternbild des Monats Elul ist die Jungfrau – ein zusätzliches Zeichen dafür, dass dieser Monat der Teschuwa (Rückkehr), der Reinheit und der Sündenlosigkeit geweiht ist, wie es heißt: »Schuwi Betulat Jisrael ...« – »Kehre zurück, o Jungfrau Israels ...« (Jirmijahu 31, 20).
Hohelied Eine weitere Andeutung darauf, dass der Monat Elul unsere Nähe zu G’tt repräsentiert, ist der Vers aus dem Schir Haschirim, dem Hohelied des König Salomo: »Ani leDodi weDodi li« – »ich wende mich meinem Liebsten zu, und mein Liebster wendet sich zu mir« (Hohelied 6,3).
Die Anfangsbuchstaben dieser Wörter (Alef-Lamed-Waw-Lamed) ergeben das Wort »Elul«. So wie wir uns durch Teschuwa und gute Taten unserem Liebsten, G’tt, zuwenden, wendet auch Er sich uns zu und schenkt uns Vergebung.
Die vier Wörter des zitierten Verses enden alle mit einem »Jud« – dem Buchstaben, der den Zahlenwert zehn hat. Vier mal zehn ist 40 – eine weitere Andeutung der 40 Tage, eine Zeit, die für die Teschuwa festgesetzt ist, nämlich von Rosch Chodesch Elul bis Jom Kippur.
Vom zweiten Tag Rosch Chodesch Elul an bis Erew Rosch Haschana, dem Abend des ersten Neujahrstages, bläst man an jedem Wochentag nach dem Morgengebet den Schofar (Rema, Orach Chaim, 581,1).
Man bläst während des ganzen Monats, um auf den Tag des Gerichts hinzuweisen, der sich nähert, und so die Menschen zur Rückkehr zu bewegen. Der Schofarton verkündet: »Wachet auf, ihr Schlafenden, lasst euch erwecken aus eurem Schlummer, überprüfet eure Taten und kehret reuig zurück« (Rambam).
Am Vortag von Rosch Haschana wird kein Schofar geblasen, damit klar zum Ausdruck kommt, dass das Schofarblasen im Elul ein von den Weisen angeordneter Minhag (Brauch) ist, wobei das Schofarblasen an Rosch Haschana jedoch eine Vorschrift der Tora ist. Ein anderer Grund dafür ist, den Satan zu verwirren, damit er denkt, dass Rosch Haschana bereits vorbei ist (Mischna Brura).
Midrasch Vom zweiten Tag des Monats Elul an bis Hoschana Rabba wird in aschkenasischen Gemeinden nach dem Morgen- und Abendgebet der Psalm 27 (»G’tt ist mein Licht und meine Rettung« ...) rezitiert. Dieser Brauch hat seinen Ursprung im Midrasch: »G’tt ist mein Licht« symbolisiert Rosch Haschana, und »meine Rettung« steht für Jom Kippur. Weiter heißt es: »Denn Er wird mich in Seiner Sukka schützend bergen ...«, dies ist eine Andeutung für Sukkot.
Wenn man im Monat Elul seinen Freunden Briefe schreibt, sollten am Anfang oder am Ende des Briefes die kommenden Hohen Feiertage erwähnt werden, indem man um Erbarmen bittet und auch gute Wünsche zum Ausdruck bringt: Man möge in den kommenden Tagen des Gerichts in das Buch des guten Lebens eingeschrieben werden (Beer Hejtew 581,10).
Man pflegt auch, in diesem Monat die Tefillin sowie die Mesusot untersuchen zu lassen, die sich an den Türpfosten des Hauses befinden.
Entdeckt man darin einen Schaden oder einen Fehler, so muss eine Korrektur vorgenommen werden. (Kitzur Schulchan Aruch 128,3). Eine Mesusa sollte mindestens zwei Mal in sieben Jahren überprüft werden (Joreh Deah 291,1).
Selichot Im Monat Elul werden zusätzliche Gebete, Selichot, gesprochen. Hier handelt es sich um die Gebete der Rückkehr und Vergebung. Der aschkenasische Brauch ist es, vier bis zehn Tage (abhängig vom Jahr) vor Rosch Haschana mit den Selichot anzufangen.
Es ist üblich, das erste Mal im Jahr die Selichot an einem Motzei Schabbat (Schabbatausgang) um die Mitternachtszeit zu sagen. An den restlichen Tagen werden die Selichot üblicherweise früh am Morgen vor dem Schacharit (dem Morgengebet) gesagt, wobei man die Selichot während des ganzen Tages sagen darf.
Die Reihenfolge der Gebete sowie die einzelnen Selichot sind für jeden Tag fest vorgeschrieben. Sefardischer Brauch ist es, während des ganzen Monats Elul die Selichot zu sprechen (Orach Chaim 581,1).
Es ist außerdem Brauch, an Erew Rosch Haschana nach dem Morgengebet Gelübde aufzulösen, damit man den Tag des Gerichts ohne die Schuld eines übernommenen und nicht erfüllten Gelübdes beginnt. Die Bitte der Auflösung muss vor mindestens drei Personen ausgesprochen werden.
So soll sich jeder drei Personen wählen und vor ihnen sprechen, dass er alle Gelübde, die er während des Jahres gemacht hat, bereut und sie auflösen möchte. Sie antworten ihm: Es sei dir aufgelöst.
Man pflegt diese Handlung mit einer festgelegten Formulierung, die in den Gebetbüchern zu finden ist, auszuführen. Diese Formulierung enthält die genauen Angaben über Gelübde und die Art und Weise, wie man sie auflösen kann. Während des Prozederes sollten Männer ihre Ehefrauen im Sinne haben, um auch sie von ihren Gelübden zu befreien (Joreh Deah 234,56).
Friedhöfe Viele haben den Brauch, an Erew Rosch Haschana Friedhöfe zu besuchen (Kitzur Schulchan Aruch 128,13). Es wird angenommen, dass die Gebete neben den Gräbern der verstorbenen heiligen Personen G’tt stärker beeinflussen können. Wir beten darum, dass die Verdienste dieser Menschen unseren Gebeten helfen sollen, und dass diese Personen als unsere Fürsprecher vor G’tt auftreten.
Es ist sehr wichtig, sich stets daran zu erinnern, dass wir nicht zu den Toten selbst sprechen, sondern allein zum Heiligen, gepriesen sei Er. Manche Menschen pflegen vor dem Friedhofsbesuch nichts zu essen, sondern lediglich etwas zu trinken (Sefer Haminchagim Chabad).
Einige beachten auch den Brauch, an Erew Rosch Haschana bis nach Mittag zu fasten. Die Quelle dafür ist ein Midrasch (Wajikra Rabba 30,7), der besagt, dass dieses Fasten die Schulden der Fastenden um ein Drittel vermindert.
Urteil Rosch Haschana selbst soll wie ein Gerichtstag angegangen werden. Dabei können wir uns aber sicher sein, dass wir das für uns günstigste Urteil bekommen werden – frei nach dem Motto: Im Zweifel für den Angeklagten.
Als Vorbereitung sollte man sich auch äußerlich schön machen, um gepflegt vor dem Richter zu erscheinen. So gibt es den Brauch, sich vor Rosch Haschana Haare und Fingernägel zu schneiden und sich zu rasieren (Orach Chaim 581,4). Man sollte für diesen Tag auch seine besten Kleider anziehen (Schaarej Teschuwa 581,4).
Viele kennen auch den Brauch, vor Rosch Haschana in einer Mikwe unterzutauchen (Rabbi Jehuda Hachassid 12). Das alles kann als ein Symbol für einen Neuanfang angesehen werden. Mögen wir alle in das Buch des Lebens eingeschrieben sein!
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Ge-meinde Osnabrück und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz.