Wieso Weshalb Warum

10. Tewet

Fragmente aus der Zeit des Zweiten Tempels in der Schiloach-Quelle Foto: Marco Limberg

Viele meinen, dass der 10. Tewet (er fällt in diesem Jahr auf den 22. Dezember) zu den leichten oder auch kleinen Fastentagen im jüdischen Kalender gehört. Aus den Propheten und dem Talmud wissen wir, dass der Grund für das Fasten am 10. Tewet die Belagerung von Jerusalem ist. Im neunten Regierungsjahr des Königs Zidkijahu kam der babylonische König Nebukadnezar mit seinem Heer nach Jerusalem und belagerte die Stadt (II. Könige 25,1).

Beim Vergleich dieser Ereignisse wird nachvollziehbar, warum nach Ansicht mancher der 10. Tewet zu den kleinen Fastentagen gehört. Am 10. Tewet begann eigentlich nur die Belagerung von Jerusalem. Am 17. Tamus dagegen, nachdem die Stadtmauer gefallen war, wurde um jedes Haus und jede Gasse gekämpft.

Am 9. Aw wurde der Tempel verbrannt, die Stadt zerstört und die Überlebenden nach Babylonien verschleppt. Und das Fasten Gedalja erinnert daran, dass der vom babylonischen König eingesetzte Stadtherr Gedalja von seinem Rivalen ermordet wurde, was dazu führte, dass auch die letzten Juden aus Angst vor Repressalien das Land endgültig verlassen mussten.

Kurzer Fastentag Der 10. Tewet, weil er in den Winter fällt, ist der kürzeste aller Fastentage. Im Gegenteil dazu fällt der 17. Tamus in den Hochsommer. Daher fastet man am 17. Tamus doppelt so lang wie am 10. Tewet. Natürlich ist Tischa beAw, der 9. Aw, der längste Fastentag – aber das nur, weil am 9. Aw von einem Abend bis zu dem anderen gefastet wird.

Wenn der 10. Tewet nur aus dieser Perspektive betrachtet wird, so kann man gewiss behaupten, dass es sich um einen kleinen Fastentag handelt. Warum teilen unsere Weisen diese Ansicht dann nicht?

Zunächst einmal ist es wichtig zu erwähnen, dass die Belagerung von Jerusalem ganze zweieinhalb Jahre dauerte. Eine Stadt wird belagert, um die Versorgung mit Lebensmitteln zu unterbrechen, damit die Belagerten geschwächt und die Stadt leichter eingenommen werden kann. Wenn diese Strategie für jede Stadt zutrifft, dann für Jerusalem und ihre Einwohner siebenfach.

Heilige Stadt Denn die Heilige Stadt Jerusalem ist nicht wie jede andere Stadt in der Welt, für sie gelten besondere Vorschriften. Der Talmud Baba Kama 82b berichtet, dass es in Jerusalem verboten war, Gemüse- und Obstgärten anzulegen. Stets kamen viele jüdische und nicht jüdische Wallfahrer in die Stadt, um im Tempel Opfer zu bringen und die Pracht der Stadt zu bewundern. Weil die abgestorbene Bodensubstanz oder Dünger der Gärten übel riechen könnten und dies als Entweihung der Heiligkeit eingestuft werden könnte, sollte hier vorgebeugt werden.

Des Weiteren wurden in der Stadt keine Bäume gepflanzt, dies damit die Wallfahrer stets rein bleiben konnten, um den Tempel betreten zu können. Auch wurden keine Hühner gezüchtet. Jerusalem hat auch keine Wasserquellen oder Flüsse.

Die nächste Quelle wäre Schiloach, aber diese Quelle befindet sich außerhalb der Stadtmauern. In der Stadt selbst wurden nur Löcher in den Boden oder Fels zum Aufsammeln des Regenwassers gegraben. Weil Niederschläge in Jerusalem nicht sehr oft vorkommen, war das gesammelte Wasser wieder schnell aufgebraucht.

Durst Die Stadt konnte sich nicht einmal mit genug Wasser zum Überleben versorgen. Daher erreichten der Durst und Hunger – wie aus der Überlieferung bekannt – katastrophale Ausmaße. Somit sehen unsere Weisen in der Belagerung Jerusalems den Anfang vom Ende der Stadt, des Tempels und der Souveränität des jüdischen Volkes.

Eine weitere Besonderheit hebt diesen Fastentag von den übrigen ab. Es ist allgemein bekannt, dass am Schabbat nicht gefastet werden darf. Wenn ein Fastentag daher auf einen Schabbat fällt, wird dieser auf einen Wochentag verschoben. So verfährt man mit allen Fasttagen außer Jom Kippur, denn die Heiligkeit dieses Tages ist enorm.

Nach Ansicht von Abudraham (Rabbiner David Ben Josef Abudraham, er lebte im 14 Jahrhundert in Sevilla) gilt diese Regel auch für den 10. Tewet. Chatam Sofer (Rabbiner Mosche Schreiber 1762-1839) beschäftigte sich mit dieser Frage und erklärte, warum der 10. Tewet in dieser Hinsicht dem Jom Kippur gleicht.

Himmlisches Gericht
Als der babylonische König Jerusalem belagerte, versammelte sich am selben Tag das himmlische Gericht, um über die Zukunft der Stadt, der Einwohner und des Tempels zu entscheiden. Als sich dann mehr Ankläger als Verteidiger vor dem Ewigen versammelten und aufzeigten, dass die Schuld der Stadt ihre Verdienste überwog, wurde die Stadt zum Untergang verurteilt.

Seitdem versammelt sich jedes Jahr am 10. Tewet das himmlische Gericht, um über die Zukunft der Stadt und des Tempels zu entscheiden. Genauso wie am 10. Tischri (Jom Kippur) die Urteile über die Schicksale der Menschen fürs ganze Jahr besiegelt werden, wird am 10. Tewet das Urteil über die Heilige Stadt besiegelt.

Maschiach Die Erbauung des Tempels und Jerusalems geht Hand in Hand mit dem Kommen des Maschiach. Und genauso, wie die Zerstörung des Tempels für das jüdische Volk viel Elend und Verfolgungen über Jahrtausende mit sich brachte, wird die Erbauung des Tempels nicht nur das Kommen des Maschiach bedeuten, sondern auch Frieden, Toleranz und Geborgenheit für alle Menschen.

Und weil die Zukunft des jüdischen Volkes, gar der ganzen Menschheit uns alle angeht, fasten wir am 10. Tewet und verharren im Gebet, richten unsere Blicke zum Himmel und öffnen unsere Herzen zur Rückkehr, denn es sind unsere gute Taten und Werke, die die Waagschale mit Verdiensten zum Überwiegen bringen werden.

Eine weitere Besonderheit dieses Tages besteht darin: Genauso wie an Jom Kippur der Verstorbenen im Gebet Jiskor gedacht wird, wurde der 10. Tewet nach der Schoa vom Oberrabbinat des Staates Israel zum Tag des allgemeinen Kaddisch erklärt. An diesem Tag wird der ermordeten Juden gedacht, deren Todestag unbekannt ist.

Jetzt, wo dieser Fastentag aus der Perspektive unserer Weisen betrachtet wurde, erkennt man leicht die besondere Heiligkeit des 10. Tewet und seine wichtige Bedeutung für die Zukunft der ganzen Welt. So mögen sich schon bald die Worte des Propheten Sacharja (8,19) erfüllen: »So spricht der Ewige der Scharen: Das Fasten des vierten und das Fasten des fünften, das Fasten des siebenten und das Fasten des zehnten (Monats) wird dem Haus Jehuda zur Wonne, zur Freude und zu fröhlichen Festen werden – doch liebet Wahrheit und Frieden!«

Chabad

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