Was die Zusage des syrischen Regimes zum von den Vereinten Nationen verordneten Waffenstillstand vor Ort bedeutet, sieht man am besten in der jordanischen Grenzstadt Ramtha: Die Behörden arbeiten fieberhaft an einem neuen Auffanglager für syrische Flüchtlinge.
Die 200 Wohncontainer reichen schon jetzt nicht aus. Jordanien müsste eigentlich alle zwei Tage ein Lager wie in Ramtha errichten. Mehr als 100.000 Syrer haben seit Beginn der Unruhen im Nachbarland hier bereits Zuflucht gesucht. Die Bekanntgabe von Syriens Präsident Baschar al-Assad vergangene Woche, dass seine Truppen fortan das Feuer einstellen, hat die Lage nicht beruhigt: Die Zahl der Flüchtlinge stieg auf täglich 500 Personen an.
Es hatte nur eine kurze Verschnaufpause gegeben, bis die Armee wieder schweres Kriegsgerät einsetzte. Und ungeachtet seines Versprechens verhafteten Assads Geheimdienste wieder zig Personen und folterten manche zu Tode. Der im Friedensplan von Ex-UNO-Generalsekretär Kofi Annan vorgesehene Abzug regimetreuer Truppen aus Syriens Städten fand natürlich auch nie statt.
Protest Abdul Omar gehört zur syrischen Opposition. Er erläutert, weshalb Assad die Waffenruhe nur als Verschnaufpause nutzte. Wenn das Regime nämlich wirklich unabhängige Journalisten und eine UN-Friedensmission ins Land lasse sowie seine Truppen aus den Städten abziehe, würde das ganze Land von Massendemonstrationen überzogen. Omars Einschätzung bestätigte sich am Freitag, dem ersten Tag der Waffenruhe, als vermutlich mehr als 700 Protestkundgebungen im ganzen Land abgehalten wurden.
Doch Syriens Opposition ist zutiefst gespalten. Selbst ihr Hass auf Assad und die Aussicht, Hunderte Millionen in Form von Hilfsgeldern zu erhalten, vermochten ihre Reihen nicht zu schließen. Die wichtigste Organisation, der Syrische Nationalkongress (SNC), besteht überwiegend aus geflüchteten Dissidenten im Ausland, die in Syrien selbst nur wenige Anhänger haben.
Dann hat sich der »Kurdische Nationalrat« vom SNC abgespalten. Befehlsgewalt über die schätzungsweise 40.000 Mitglieder der »Freien Syrischen Armee«, ein loser Zusammenschluss syrischer Deserteure, hat aber keine der SNC-Gruppen. Mittlerweile behauptet auch das Terrornetzwerk Al Qaida, in Syrien mitzumischen. Arabischen und kurdischen Stämmen an der Grenze zum Irak ist es teilweise gelungen, zumindest kurzfristig autonome Gebiete einzurichten.
Oppositionelle Dieses heillose Durcheinander mit Diplomatie zu befrieden, scheint unmöglich. Der Kampf um Freiheit oder Macht ist im Vielvölkerstaat zu einem Kampf ums Überleben von Volksgruppen verschiedener Religionen und Ethnien geworden. Die Mehrheit der Syrer bleibt »Ramadiin«, graue Menschen, wie Oppositionelle geringschätzend diejenigen nennen, die sich schwertun, eine Wahl zwischen dem Fortbestand von Assads blutrünstiger Diktatur und der Gefahr eines totalen Chaos zu treffen.
Das Assad-Regime um jeden Preis zu retten, scheint nur noch das Ziel von Mächten wie dem Iran. Die anderen Nachbarstaaten fürchten eine Anarchie in Syrien: Die Türkei hat Angst vor Flüchtlingsströmen, der Libanon vor Bürgerkrieg oder einem Grenzkonflikt mit Israel. Und Jordanien vor dem Sturz des Königs.
Aus denjenigen, die heute in Ramtha Auffanglager bauen, könnten schnell selbst Flüchtlinge werden.