Francesca Albanese ist keine UN-Beamtin. Und doch ist die Italienerin mittlerweile zu einem der bekanntesten Gesichter der Vereinten Nationen geworden. Und auch einem der umstrittensten.
Eigentlich ist die vom UN-Menschenrechtsrat in Genf als »Sonderbeauftragte für die besetzten palästinensischen Gebiete« bestellte Juristin zur Unabhängigkeit und Überparteilichkeit verpflichtet. Sie erhält für ihre Arbeit keine finanzielle Entschädigung. Seit 1993 gibt es den Posten des Sonderberichterstatters für die Palästinensergebiete. Auch ihre Vorgänger, darunter der Amerikaner Richard Falk und der Kanadier Michael Lynk, waren Israel wenig zugeneigt. Doch Francesca Albanese, die am Sonntag ihren 48. Geburtstag feiert, übertrifft sie in punkto medialer Präsenz und Lautstärke um Längen.
In nicht einmal drei Jahren hat sie es zu großer Bekanntheit gebracht. Albanese ist mittlerweile das »Postergirl« israelfeindlicher Gruppen weltweit und erhält zahlreiche Einladungen. Ihre Auftritte in München und Berlin im Februar lösten Gegenproteste aus. Sowohl die Ludwig-Maximilians-Universität in München als auch die Freie Universität Berlin untersagten Veranstaltungen mit ihr. Wo immer sie auftritt, ist das Medieninteresse groß.
Niederlande gegen erneute Bestellung
Dass Albanese zum Gesicht des Israel-Hasses bei den Vereinten Nationen wurde, war kein leichtes Unterfangen in einer Organisation, in der die Dämonisierung des jüdischen Staates seit langem fast schon zum guten Ton gehört. Den Gazastreifen bezeichnete sie als »das größte und skandalöseste Konzentrationslager des 21. Jahrhunderts«. Israel warf Albanese einen Genozid am palästinensischen Volk vor.
Kommende Woche soll ihre Amtszeit turnusgemäß um weitere drei Jahre verlängert werden. Gemäß den Statuten geschieht das in der Regel automatisch, es sei denn, ein Amtsinhaber verzichtet freiwillig oder es gibt schwerwiegende Einwände von Mitgliedsstaaten wegen möglicher Verletzungen des Verhaltenskodex. Sicher ist zwar, dass ein zweites Mandat für Albanese auch ihr letztes wäre, denn die Amtsdauer ist auf sechs Jahre begrenzt. Doch ob sie überhaupt Sonderberichterstatterin bleiben kann, dürfte nochmals den Menschenrechtsrat beschäftigen.
Denn auch bei einigen UN-Mitgliedsstaaten ist sie nicht wohl gelitten. Vor allem in Frankreich erntete Albanese für ihre scharfe Kritik an Präsident Emmanuel Macrons Haltung zu Israel Widerspruch. In Den Haag teilte der niederländische Außenminister mit, seine Regierung lehne eine zweite Amtszeit ab. »Diverse Äußerungen der Sonderberichterstatterin stehen im Widerspruch zum Verhaltenskodex und werden vom Kabinett missbilligt«, erklärte Caspar Veldkamp in einer Antwort auf eine Anfrage von Abgeordneten des Unterhauses.
Jüdischer Weltkongress: Albanese ist nicht unparteiisch
Auch der Jüdische Weltkongress (WJC) ist strikt gegen eine Vertragsverlängerung für Albanese. Die Italienerin habe antisemitische Klischees verbreitet und mehrfach das Existenzrecht des Staates Israel infrage gestellt, monierte WJC-Geschäftsführer Maram Stern in einem Brief an den Präsidenten des UN-Menschenrechtsrats, Jürg Lauber.
»Ihr anhaltender Mangel an Objektivität und ihr Versäumnis, einen ausgewogenen und unparteiischen Ansatz zu wahren, der von ihr als Sonderberichterstatterin erwartet wird, kompromittiert ihre Glaubwürdigkeit als unabhängige Expertin. Der Jüdische Weltkongress fordert den Menschenrechtsrat nachdrücklich auf, die Verlängerung des Mandats von Frau Albanese abzulehnen.«
Stattdessen, so Stern weiter, solle das Gremium jemanden für den Posten auswählen, »der Fairness, Objektivität und ein echtes Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und die gleiche Würde aller Völker verkörpert.«
Auch Hillel Neuer, Geschäftsführer der Genfer NGO UN Watch, wandte sich schriftlich an Lauber und forderte den Schweizer Botschafter auf, die Mitglieder des Gremiums erneut mit dem Fall Albanese zu befassen. Albaneses Verletzungen des Verhaltenskodex seien »weit verbreitet, systematisch und schwerwiegend«. Im Herbst hatte UN Watch unter der Überschrift »Wolf im Schafspelz« einen ganzen Katalog an mutmaßlichen Verfehlungen Albaneses veröffentlicht.
Keine Antwort aus dem Auswärtigen Amt
Neuer stützt sich auf die Erklärung 8/PRST/2 aus dem Jahr 2008. Der damalige Präsident des Menschenrechtsrats hatte darin festgehalten, dass den Mitgliedern des Gremiums alle Informationen zu übermitteln sind, die ihm zur Kenntnis gebracht werden hinsichtlich von »Fällen anhaltender Nichteinhaltung der Bestimmungen der Resolution 5/2 des Rates durch einen Mandatsträger«, insbesondere in Hinblick auf eine Verlängerung der Amtszeit von Mandatsträgern.
Ob Lauber dem Ansinnen nachkommen wird, ist noch unklar. Neuer äußerte am Freitag Zweifel. »Berichten zufolge plant der Präsident des UN-Menschenrechtsrats, seiner rechtlichen Verpflichtung nicht nachzukommen«, schrieb Neuer auf der Plattform X. Lauber sehe Albaneses Verfehlungen offenbar als nicht nachhaltig genug an.
Israel hat bereits formell Einspruch gegen die Wiederernennung Albaneses erhoben. Ein Sprecher Laubers bestätigte dies gegenüber der Jüdischen Allgemeinem. Auch NGOs hätten sich beschwert. »Die eingegangenen Schreiben werden derzeit geprüft. Mandate für Sonderbeauftragte wurden bislang immer stillschweigend verlängert. Es gibt kein formelles Verfahren für den Rat, um das Mandat eines Berichterstatters zu verlängern«, betonte der Sprecher. Lauber als Präsident unterliege aber den Vorgaben des Menschenrechtsrats«, seine persönlichen Ansichten über Albanese spielten daher keine Rolle.
Es ist umstritten, inwieweit UN-Mitgliedstaaten überhaupt Einfluss auf das Verfahren haben und ob weitere Staaten dem israelischen Beispiel folgen und Beschwerde gegen Albaneses Wiederernennung einreichen werden. Das noch von Annalena Baerbock geführte Auswärtige Amt wollte Fragen der Jüdischen Allgemeine in Bezug auf die umstrittene Personalie nicht beantworten oder sich zur Haltung Baerbocks äußern.
Man respektiere die Unabhängigkeit der Sonderberichterstatter des Menschenrechtsrats, hieß es aus dem Amt. Das hindere die Bundesregierung aber nicht daran, Albaneses problematische Ansichten zurückzuweisen, was man in der Vergangenheit bereits getan habe. Hillel Neuer kritisierte diese Haltung scharf: »Deutschland tut so, als könne es nichts unternehmen, und hält sich fein raus, anstatt etwas gegen eine der schlimmsten Antisemitinnen zu tun.«
Doch Baerbock hat womöglich gute Gründe, zu der Angelegenheit zu schweigen. Sie will sich nämlich im Sommer zur Präsidentin der UN-Vollversammlung wählen lassen. Und eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten könnte es ihr möglicherweise übelnehmen, falls sie sich für die Ablösung Albaneses ausspräche.