Francesca Albanese hat gut lachen. Denn Jürg Lauber, Präsident des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen, bescherte der Italienerin Ende vergangener Woche eine zweite dreijährige Amtszeit als »Sonderberichterstatterin des Rates für die besetzten palästinensischen Gebiete«.
Zwar waren bei Lauber Informationen dieser Zeitung zufolge Beschwerden der Regierungen Israels, Argentiniens und Ungarns über Albanese eingegangen. Auch jüdische Organisationen hatten sich an den Schweizer Diplomaten gewandt und ihn aufgefordert, dem Menschenrechtsrat die umstrittene Personalie zur Befassung vorzulegen.
Doch der Präsident wollte nicht. Lauber verwies auf die ihm zugeschickte Einschätzung des »Koordinierungsausschusses für spezielle Verfahren«, der sich mit den Vorwürfen gegen Albanese befasst hatte - und setzte sich über die Einwände hinweg. Seit ihrem Amtsantritt als Sonderberichterstatterin habe Albanese keine antisemitischen Posts mehr veröffentlicht, befand das Komitee.
In dem auf den 28. März 2025 datierten Schreiben an den Präsidenten heißt es außerdem: »Der Ausschuss bekräftigt, dass die Nutzung sozialer Medien durch Mandatsträger im Einklang mit dem Verhaltenskodex, dem Handbuch für die Geschäftsführung und den Bedingungen für Länderbesuche stehen sollte. In diesem Zusammenhang stellt der Ausschuss fest, dass er nicht befugt ist, Handlungen und Positionen von Mandatsträgern, auch in sozialen Medien, vor ihrer Ernennung zu beurteilen. Mandatsträger werden in einem strengen Auswahlverfahren ernannt, bei dem die Berufserfahrung und die öffentliche Meinungsäußerung der Kandidaten im Lichte der vom Rat festgelegten Kriterien eingehend geprüft werden. Mit der Ernennung von Frau Albanese hatte der Rat festgestellt, dass sie alle diese Kriterien erfüllt.«
Ein Sprecher des Genfer UN-Gremiums teilte der Jüdischen Allgemeinen mit, dass gemäß den geltenden Statuten alle Sonderberichterstatter automatisch eine Amtszeitverlängerung bekämen, sofern sie dies wünschten. Das sei schon immer gängige Praxis: »Es gibt kein formelles Verfahren für den Rat, um das Mandat eines Berichterstatters zu verlängern.«
Doch Hillel Neuer, Geschäftsführer der Genfer NGO UN Watch, hält das für einen schlechten Witz. Er vermutet, dass Albanese trotz zahlreicher dokumentierter Vorwürfe, denen zufolge sie gegen den Verhaltenskodex für die Sonderberichterstatter verstoßen und keine unparteiische Haltung zum Nahostkonflikt an den Tag gelegt hat, unbedingt eine zweite Amtszeit wollte.
Neuer: »Präsident Jürg Lauber hat seinen Pflichten verletzt«
Dabei, so Neuer, sei das Verfahren bei Streitfällen seit 2008 eindeutig geregelt: »Die am 18. Juni 2008 im Konsens angenommene Erklärung des Präsidenten des Menschenrechtsrates besagt ganz klar, dass der Präsident verpflichtet ist, alle ihm zur Kenntnis gebrachten Informationen, von Staaten oder anderen Parteien, an den Rat weiterzuleiten. Dies wurde versäumt. Der Präsident hat eindeutig seine Pflichten verletzt. Die angebliche Verlängerung von Albaneses Mandat ist daher rechtlich null und nichtig.«
Das Prüfverfahren des Koordinierungsausschusses, der Albanese keine Vergehen gegen den Verhaltenskodex nachweisen wollte, nannte Neuer eine »Farce«. Der Bericht sei bereits im vergangenen Jahr erstellt worden, nachdem UN Watch die Vorwürfe gegen Albanese an die Vereinten Nationen übermittelt hatte. »Erst jetzt, paar Tage vor der anstehenden Verlängerung von Albaneses Mandat, wird plötzlich ein Prüfbericht öffentlich, nachdem man unsere Beschwerde monatelang einfach ignorierte und wir nie eine offizielle Antwort erhalten haben«, sagte Neuer im Gespräch mit dieser Zeitung.

Er kritisierte auch die Besetzung des Koordinierungsausschusses mit Freunden und Unterstützern Albaneses und nannte ihn »zahnlos«. Als Beispiel verwies Neuer auf Tlaleng Mofokeng. Die Südafrikanerin ist selbst Sonderberichterstatterin des Rates und ihrem Titel gemäß offiziell zuständig »für das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit«.
Bis Ende Dezember war Mofokeng Mitglied des Koordinierungsgremiums. Im Januar gab sie dann gemeinsam mit Albanese eine Erklärung heraus, in der Israel scharf kritisiert wurde. »Über ein Jahr nach Beginn des Völkermords erreicht Israels eklatanter Angriff auf das Recht auf Gesundheit in Gaza und dem Rest des besetzten palästinensischen Gebiets eine neue Dimension der Straflosigkeit«, erklärten die beiden Frauen unisono.
In den sozialen Netzwerken wurde Mofokeng noch deutlicher: »Fuck him«, schleuderte sie dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu auf der Plattform X Ende Januar entgegen. Auslöser der Verbalinjurie war die Ankündigung Netanjahus am Vorabend, dass die Waffenruhe mit der Hamas um einige Stunden verschoben werde, weil sich die Terrororganisation nicht an zuvor getroffene Vereinbarungen gehalten hatte. Es war nicht Mofokengs erster Aussetzer dieser Art.
Dass sie als unparteiische Richterin über Vorwürfe an die Adresse Albaneses untauglich ist, zeigte sie auch Anfang dieser Woche. »Meine liebe @FranceskAlbs, wisse, wie dankbar wir sind, dich zu haben. Die Verlängerung deiner Amtszeit erfüllt viele mit neuer Hoffnung auf Gerechtigkeit«, schrieb sie auf X, wo Mokofeng immerhin 144.000 Follower hat.
Doch Albaneses Bekanntheit hat die Südafrikanerin längst nicht erreicht. Ihre italienische Freundin ist zum »Postergirl« für israelfeindliche Gruppen weltweit avanciert. Den Gazastreifen bezeichnete sie im vergangenen Jahr als »das größte und schändlichste Konzentrationslager des 21. Jahrhunderts«. Zustimmend äußerte sie sich zu einem Vergleich zwischen Benjamin Netanjahus und Adolf Hitler. Beinahe täglich wirft Albanese Israel vor, vorsätzliche Massaker und einen Genozid am palästinensischen Volk zu begehen.
Französisches Außenministerium: »Wir bedauern das«
Dass sie dennoch für drei weitere Jahre im Amt bleiben darf, erzürnt auch viele Regierungen. Während sich das Auswärtige Amt aber nicht groß um die Personalie scherte, zeigte der Quai d’Orsay in Paris enttäuscht über die zweite Amtszeit. Briac de Charry, Sprecher von Außenminister Jean-Noël Barrot, erklärte am Dienstag auf eine Anfrage der Jüdischen Allgemeinen, Frankreich habe bislang jede Äußerung der Sonderberichterstatterin, die man für inakzeptabel erachtet habe, verurteilt.
»Wir werden dies auch künftig tun. Der Kampf gegen Antisemitismus und alle Formen von Rassismus ist für Frankreich von entscheidender Bedeutung. Wir bleiben in dieser Frage unnachgiebig«, sagte er.

Die französische Regierung habe sich an Volker Türk, UN-Hochkommissar für Menschenrechte, und an den Präsidenten des Menschenrechtsrates gewandt und Reformen angemahnt, »um die Unparteilichkeit der Sonderverfahren zu gewährleisten, insbesondere im Hinblick auf die öffentliche Kommunikation«, so der Sprecher weiter.
»Wir fordern das Präsidium des Menschenrechtsrats auf, alles in seiner Macht Stehende zu tun, damit die Mandatsträger Zurückhaltung, Mäßigung und Diskretion üben, um die Integrität ihrer Mandate oder die öffentliche Anerkennung ihrer Unabhängigkeit nicht zu gefährden und um sicherzustellen, dass das für die ruhige Ausübung ihrer Mandate erforderliche Umfeld erhalten bleibt«, erklärte de Charry.
Die Verlängerung von Albaneses Amtszeit habe »keine Konsultation der Staaten« erfordert, so der Quai d’Orsay, der die Rechtsauffassung vertritt, dass nur nach einem negativen Votum des Koordinierungsausschusses der Präsident die Möglichkeit habe, dem Rat vorzuschlagen, einem Mandatsträger keine zweite Amtszeit zu bescheren. »Dies war nicht der Fall, und wir bedauern das.«
Hillel Neuer hält die Rechtsauffassung der französischen Regierung für falsch. Die Verlängerung von Albaneses Amtszeit sei rechtlich null und nichtig, so der UN Watch-Geschäftsführer, denn: »Die UN hat ihre eigenen Regeln nicht eingehalten.« Gerichte, auch in den Vereinigten Staaten, seien nun aufgefordert zu klären, ob Albanese überhaupt noch Immunität genieße oder ob Klagen gegen sie möglich seien.