Berlin im Mai 2017. Auf dem Richardplatz im Bezirk Neukölln versammeln sich rund 200 Personen zur Demonstration am alljährlichen Nakba-Tag, der an die »Katastrophe« – denn das bedeutet das arabische Wort auf Deutsch – der Staatsgründung Israels 1948 erinnern soll.
Doch wer glaubt, dass diese Kundgebung eine exklusiv arabische Veranstaltung ist, an der sich allenfalls einige deutsche Feinde Israels beteiligen, irrt gewaltig. Mit von der Partie ist eine ebenso kleine wie lautstarke Gruppe von Israelis, die als »Jews for the Palestinian Right of Return« firmiert. Mit den immer wieder gebrüllten Parolen, die auf eine Vernichtung Israels abzielen, haben sie ganz offensichtlich keine Probleme. Wohl aber mit dem jüdischen Staat, der für sie nur Apartheid, Rassismus und Kolonialismus verkörpert.
trolle Nun ließen sich derartige »Trolle«, wie sie kürzlich auf dem Portal »Queer.de« genannt wurden, weil sie mehrfach durch das massive Stören von schwul-lesbischen Straßenfesten aufgefallen sind, sobald sich dort ein Vertreter Israels angekündigt hatte, geflissentlich ignorieren, wenn da nicht deutsche Medien und Institutionen wären, die sich mit Begeisterung auf sie stürzten.
Allen voran das Israel-Büro der zur Partei Die Linke gehörenden Rosa-Luxemburg-Stiftung, die ihnen reichlich Platz widmet und ihre ganz persönlichen Leidensgeschichten präsentiert. »Ich habe mich entschieden, in Berlin zu leben, weil ich erkannt habe, dass ich, wenn ich in Israel bleibe, sterben werde«, erklärt darin eine Dana aus Tel Aviv.
Gerne inszenieren sie sich dabei reichlich geschichtsvergessen als Dissidenten. Oder behaupten, so wie Liad Kantorowicz, auf Veranstaltungen in Berlin, dass man aus politischen Gründen »aus Israel vertrieben« worden sei. Kantorowicz selbst bezeichnet sich als Künstlerin und packt, wie sie auf Facebook berichtet, auf dem Weg zu ihrer Performance »Terrorist Superstars« in der Berliner U-Bahn gerne einmal Brotmesser und Schere aus, um damit öffentlich herumzufuchteln, was für sie im Kontext »weißer Privilegien« stehen würde.
Eng verwoben sind diese antizionistischen Israelis ebenfalls mit der hiesigen Fraktion der »Boykott, Desinvestition und Sanktionen«-Bewegung, kurz BDS.
phänomen So weit, so irre. Nicht wenige Israelis, die ebenfalls in Berlin leben, sind mittlerweile reichlich genervt davon. »Die wissen ganz genau, mit welchen Israelhassern sie reden oder zusammenarbeiten«, ist etwa Eyal überzeugt.
Mit Blauäugigkeit oder einer Unkenntnis der hiesigen Verhältnisse habe das alles nichts zu tun. »Sie sprechen Antisemiten aus der Seele und bestätigen deren Ansichten«, meint der 40-jährige Medizintechniker aus Netanya, der seit fast 30 Jahren in Berlin lebt. »Früher hat es diese ultralinken Israelis hier nicht gegeben.« Das Phänomen ist also relativ neu.
»Innerhalb der israelischen Community sind diese radikalen Antizionisten nur eine verschwindend kleine Minderheit, obwohl die meisten Israelis in Berlin politisch überwiegend regierungskritisch und eher links eingestellt sind«, ergänzt Tomer Friedler. Er persönlich hat mit Kritik an Israel, wie wohl alle anderen, auch kein Problem, attestiert dieser Szene in Berlin aber ganz andere Motive.
vergleich »Sie sind sehr präsent und haben das Israel-Bashing als Methode entdeckt – um genau die Aufmerksamkeit zu bekommen, die sie in Tel Aviv oder Jerusalem nie hätten«, vermutet der 25-jährige Medienstudent aus Kiryat Bialik nördlich von Haifa. »Zudem scheinen sie darin eine Möglichkeit zu sehen, sich in die Gesellschaft zu integrieren, die den jüdischen Staat ohnehin negativ sieht.« Dissens wird von ihnen nicht geduldet. »Man wird dann ›Straßenratte‹ genannt und als ›zionistischer Faschist‹ diffamiert.«
Beileibe kein Einzelfall. »Ich habe mit Entsetzen feststellen müssen, dass in Berlin eine kleine, aber höchst schrille Gruppe von Israelis lebt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Israel bei jeder Gelegenheit an den Pranger zu stellen«, wird Steven Blum, ein amerikanischer Jude, der drei Jahre in der deutschen Hauptstadt gelebt hat, im Tablet Magazine zitiert. Sogar den Vergleich mit Nazi-Deutschland würden sie legitim finden. Wer ihren Ansichten nicht zustimme, sei nur ein »islamophober Neokonservativer«.