Interview

»Zweifel, ob ich sprechen soll«

Marcel Reif über seinen Vater und die geplante Rede im Bundestag zum Holocaust-Gedenktag

von Nils Kottmann  31.01.2024 07:41 Uhr

Marcel Reif über Holocaust-Gedenkrede vor dem Bundestag: Hatte Zweifel, ob ich sprechen soll Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress

Marcel Reif über seinen Vater und die geplante Rede im Bundestag zum Holocaust-Gedenktag

von Nils Kottmann  31.01.2024 07:41 Uhr

Herr Reif, Ihr Vater wollte lange nicht über den Holocaust sprechen und Sie lange nicht über Ihren Vater. Warum halten Sie jetzt eine Rede vor dem Bundestag?
Mein Vater hat geschwiegen, weil er wollte, dass ich als behütetes, unbelastetes Nachkriegswirtschaftswunder-Kind aufwachse. Für mich war das heldenhaft. Ich möchte deshalb auch nicht das Sprachrohr meines Vaters sein. Deswegen habe ich auch Zweifel gehabt, ob ich vor dem Bundestag sprechen soll.

Wie wollen Sie denn von ihrem Vater erzählen, ohne sein Sprachrohr zu werden?
Indem ich die Geschichte meines Vaters nicht erzählen werde, wie er sie erlebt hat, sondern wie ich sie erfahren habe. Das ist ein Unterschied. Ich könnte und möchte sie auch gar nicht so wie er erzählen, das wäre anmaßend.

Wie haben Sie seine Geschichte erfahren?
Nach seinem Tod habe ich ein Buch geschrieben und mich dafür mit meiner Mutter zusammengesetzt. Ihr Schweigegelöbnis war offenbar ausgelaufen, und so hat sie mir einige Dinge erzählt. Nicht nur das Schreckliche, sondern auch die guten Geschichten.

Welche waren das?
Wie mein Vater etwa von Berthold Beitz aus dem Zug ins Vernichtungslager gerettet wurde. Oder dass er selbst vorher einem vierjährigen Jungen das Leben gerettet hatte, als er ihn auf der Flucht durch die Wälder auf seinen Schultern trug.

Als Kind haben Sie nie versucht, mit ihm über sein Schicksal zu sprechen?
Ich würde gern sagen, dass ich sein Schweigen respektiert habe, aber ich hatte vielmehr einfach Angst vor den Details. Ich schäme mich auch nicht, so aufgewachsen zu sein. Sein Schweigen hat es mir leicht gemacht, in diesem Land der Täter aufzuwachsen. Ich sollte nicht in jedem Mann, jeder Frau auf der Straße den vermeintlichen Mörder meiner Verwandten sehen.

Was haben Sie Ihren Söhnen von Ihrem Vater erzählt?
Ich habe ihnen die Dinge erzählt, die zu erzählen waren. Der Ältere hat seinen Großvater noch als Menschen, als wunderbaren Opa kennengelernt, da spielt die Geschichte keine Rolle. Meine Kinder werden aber bei der Gedenkrede dabei sein und Dinge über ihn hören, über die wir in der Familie vorher nicht gesprochen haben, weil sie nach dem Willen meines Vaters nicht dahin gehören. Mir war es wichtig, dass sie nicht vor allem die Enkel eines Holocaust-Überlebenden sein sollen, sondern Enkel eines wunderbaren Menschen. Meinen Vater zu ehren, heißt für mich auch, dass ich mich nicht hinstelle und in die Luft rufe: Ich bin Kind eines Holocaust-Überlebenden, wer bietet mehr?

Was hätten Sie Ihrem Vater gern gesagt?
Wie sehr ich ihm dankbar bin.

Mit dem Sportjournalisten sprach Nils Kottmann.

Nachruf

Keine halben Sachen

Die langjährige Nahost-Korrespondentin der WELT, Christine Kensche, ist gestorben. Ein persönlicher Nachruf auf eine talentierte Reporterin und einen besonderen Menschen

von Silke Mülherr  10.01.2025

Meinung

Tiefpunkt für die Pressefreiheit

An der besetzten Alice Salomon Hochschule versuchte die Rektorin zusammen mit israelfeindlichen Aktivisten, die journalistische Berichterstattung zu verhindern

von Jörg Reichel  10.01.2025

Alice Salomon Hochschule

Nach Besetzung: Hochschulleitung soll Journalisten behindert haben

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union erhebt schwere Vorwürfe gegen die Leitung

 10.01.2025 Aktualisiert

Nachruf

Eine unabhängige Beobachterin mit Herzensbildung

WELT-Chefredakteur Jan Philipp Burgard nimmt Abschied von Israel-Korrespondentin Christine Kensche

von Jan Philipp Burgard  10.01.2025

Interview im "Playboy"

Marcel Reif: Antiisraelische Hetze bei Demos ist Judenhass

»Ich hätte mir gewünscht, dass der Rechtsstaat viel schneller und viel härter eingreift«, sagt der Sportkommentator

 10.01.2025

USA

Kreuzritter 2.0? - Ein designierter US-Verteidigungsminister mit Kreuz(zug)-Tattoo

Pete Hegseth steht wegen seiner Tätowierungen in der Kritik. Angeblich symbolisieren sie eine Kreuzzugsideologie. Was hinter Jerusalemkreuz und Co. steckt

von Andrea Krogmann  10.01.2025

USA

Los Angeles: Auch jüdische Stars verlieren Häuser

Dazu gehören Adam Brody und Steve Guttenberg, der den Behörden half, Bewohner zu evakuieren

 10.01.2025

Washington D.C.

Wegen Haftbefehl gegen Netanjahu: US-Repräsentantenhaus beschließt Sanktionen gegen IStGH

Nun muss der Senat den Gesetzentwurf bestätigen. Auch dort haben die Republikaner eine Mehrheit

von Imanuel Marcus  10.01.2025

Meinung

Hitler ein Linker? Der »Vogelschiss«-Moment der Alice Weidel

Mir ihren Aussagen zu Adolf Hitler im Gespräch mit Elon Musk hat die AfD-Chefin erneut ihre Inkompetenz bewiesen

von Michael Thaidigsmann  10.01.2025