Nach dem Deal ist vor dem Deal? Genau diese Frage scheint immer virulenter zu werden. Denn zu der jüngsten Gesprächsrunde in der vergangenen Woche über das Atomabkommen mit dem Iran waren erstmals wieder amerikanische Diplomaten nach Wien gereist. Im Gegensatz zu den Delegationen der anderen vier UN-Vetomächte Russland, Großbritannien, Frankreich und China sowie Deutschland saßen sie nicht direkt am Tisch mit den Unterhändlern aus dem Iran, aber ihre Anwesenheit in einem benachbarten Hotel wird als Indiz dafür gewertet, dass Washington zu einem erneuten Kurswechsel bereit sein könnte.
Es ist die erste Zusammenkunft auf hoher Ebene, seit US-Präsident Donald Trump, der im Mai 2018 den Ausstieg seines Landes aus dem Atomabkommen verkündet hatte, abgewählt wurde und Joe Biden im Weißen Haus das Ruder übernommen hat. Gegenstand der Gespräche ist die Erfüllung gewisser Vorbedingungen, unter denen sowohl die Vereinigten Staaten als auch der Iran bereit wären, wieder in einen Dialog zu treten, um dem Atomabkommen neues Leben einzuhauchen.
URANANREICHERUNG Aber das dürfte schwierig werden. Zwar verbreitete der iranische Vize-Außenminister Abbas Araghchi Optimismus und erklärte: »Wir haben heute die Ergebnisse der Expertenrunden überprüft. Und es scheint, dass eine neue Einigung erzielt werden könnte.« Doch aktuelle Nachrichten aus dem Iran, insbesondere über die Fortschritte bei der Urananreicherung in der Atomanlage von Natanz, könnten eher das Gegenteil bewirken.
Denn in der Nacht zum vergangenen Freitag hatte Ali Akbar Salehi, Ex-Außenminister und Chef der iranischen Atomenergieorganisation, verkündet, dass es seinem Land nun erstmalig gelungen sei, Uran auf bis zu 60 Prozent anzureichern, und zwar pro Stunde rund neun Gramm. Erlaubt sind gemäß Atomabkommen aber nur 3,67 Prozent.
Wenn die Nachricht stimmen sollte, wären die Mullahs ihrem Ziel, nukleare Sprengköpfe bauen zu können, damit einen Riesenschritt näher gekommen. Denn für Atombomben gilt ein Schwellenwert von 90 Prozent angereichertem Uran – bis dato hatte man aber lediglich 20 Prozent geschafft. »Das ist eine Antwort auf ihre Böswilligkeit«, erklärte Präsident Hassan Ruhani am Mittwoch. »Was sie gemacht haben, war nuklearer Terrorismus. Was wir machen, ist legal.«
NUKLEARDEAL Wer damit gemeint war, ist klar: Israel. Denn am 11. April war es in der Atomanlage von Natanz zu Explosionen gekommen, bei denen zahlreiche Zentrifugen, die für die Urananreicherung gebraucht werden, zerstört wurden. Ein Cyberangriff des Mossad hatte diese vermutlich ausgelöst. Irans Außenminister Mohammed Dschawad Sarif betonte, dass es sich dabei nur um ältere Modelle gehandelt habe, die außer Gefecht gesetzt werden konnten, und man längst leistungsfähigere benutzen würde. Doch der Imageschaden – noch am 10. April feierte der Iran seinen »Nationalen Feiertag der Nukleartechnik« – ist da.
Brüssel verurteilte die Vorfälle in Natanz.
Nicht nur dieser Feiertag bestimmte wohl das Timing der Explosionen. Zugleich waren sie auch ein Signal aus Jerusalem in Richtung Wien. Vor allem Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gilt als Kritiker des Nukleardeals mit den Mullahs. »Die Gefahr, dass der Iran auf einen Weg zurückkehrt, der es ihm – diesmal sogar mit internationaler Erlaubnis – ermöglicht, ein nukleares Arsenal zu entwickeln, steht unmittelbar vor uns« , sagte er noch Anfang des Monats.
REAKTIONEN Brüssel jedenfalls verurteilte die Vorfälle in Natanz. Jeder Versuch, die derzeitigen Bemühungen um eine Wiederbelebung des Atomabkommens zu stören, sei in vollem Umfang zurückzuweisen, hatte unmittelbar danach ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell erklärt. Auch Bundesaußenminister Heiko Maas zeigte sich im Hinblick auf die Gespräche in Wien beunruhigt. »Was wir aus Teheran hören, ist kein positiver Beitrag, besonders angesichts der Entwicklung in Natanz.« Irans neue Ankündigung, nun mit der Anreicherung von Uran auf 60 Prozent zu beginnen, macht das Ganze nun nicht einfacher. In einer gemeinsamen Erklärung drückten Deutschland, Frankreich und Großbritannien deshalb ihre »große Sorge« aus.
In den Vereinigten Staaten scheint man ebenfalls nicht begeistert über die Entwicklungen zu sein. Präsident Biden gilt als Befürworter des Atomabkommens. Zwar kritisierte auch er die Pläne Teherans, die Urananreicherung voranzutreiben. Doch man will die Fühler weiterhin ausstrecken. »Ich denke, es ist verfrüht, ein Urteil darüber zu fällen, wie das Ergebnis aussehen wird, aber wir sind noch im Gespräch.«
Und die Explosionen vom 10. April könnten noch weitere Folgen haben, und zwar für das amerikanisch-israelische Verhältnis – schließlich war am selben Tag auch US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Jerusalem zu Gast. »Wenn Israel wirklich hinter diesem Angriff stecken sollte, wie Analysten glauben«, schreibt die »Washington Post«, »dann hat das Land sein Timing nicht nur so ausgerichtet, um die laufenden Gespräche in Wien zu sabotieren, sondern auch, um eine deutliche Botschaft nach Washington zu schicken, indem man den Verteidigungsminister brüskierte.«