Sobibor

Zukunft des Gedenkens

Überlebende des Aufstands von Sobibor trafen sich zum 70. Jahrestag. Foto: AFP

Thomas Blatt und Filip Bialowicz erzählen vom Aufstand im deutschen Vernichtungslager Sobibor 1943, als wäre er gestern gewesen. »Wir lockten die deutschen Wachmänner zum Magazin. Da warteten bereits sowjetische Juden auf sie. Das waren die einzigen unter uns, die einmal als Soldaten gedient hatten und mit Waffen umgehen konnten.« Die Gefangenen töteten die Wachleute, um an Waffen zu kommen. Knapp 400 Juden entkamen. Ringsum gab es nur sumpfigen Wald, ein Minenfeld und hinter der Bahnrampe das Dorf Sobibor. Doch dort suchte kaum jemand Zuflucht.

erinnerung 70 Jahre ist das her. Am 14. Oktober gedachten Überlebende von Sobibor, Angehörige, Politiker, Jugendliche und Geistliche der hier Ermordeten. 250.000 Juden aus ganz Europa wurden in dem Lager an der heutigen Ostgrenze Polens vergast. Von den 400, die im Herbst 1943 den Aufstand wagten, überstanden nur 47 Flucht und Krieg. Heute leben noch acht von ihnen. Einige, darunter Bialowicz und Blatt, kamen zum Jahrestag des Aufstandes noch einmal her.

»Die Juden aus Holland reisten mit Personenzügen an. Sie waren völlig ahnungslos, freuten sich, dass die lange Reise nun endlich zu Ende war«, berichtet Bialowicz vor Jugendlichen. »Ich war damals ein Kind, half den Ankommenden mit dem Gepäck, und sie drückten mir zum Dank sogar noch ein Trinkgeld in die Hand.« Fassungslos starren die jungen Zuhörer den heute 83-Jährigen an. Durch das perfide Lügensystem kam das Vernichtungslager mit einer geringen Zahl von Wärtern aus. »Der Lagerkommandant begrüßte die Juden freundlich und offiziell. Gleich würden sie die Möglichkeit erhalten, Postkarten zu schreiben, dann würden ihnen die Haare geschnitten, und danach gebe es eine erfrischende Dusche.«

gräber Das kleine Museum ist geschlossen. Wetterbeständige Fotowände entlang eines Pfades zeigen nun den Ablauf des deutschen Massenmordes an über drei Millionen Juden im besetzten Polen. An vielen Stellen dauern die archäologischen Arbeiten an. »Wir wissen bis heute nicht, wo genau sich die gemauerten Gaskammern befanden«, erklärt Dariusz Pawlos, der Vorsitzende der Stiftung Deutsch-Polnische Aussöhnung. »Nach dem Aufstand haben die Nazis das Lager vollständig zerstört und auf den Massengräbern den Wald wieder aufgeforstet.«

Die Besucher der bisherigen Gedenkstätte dachten, dass sich das größte Massengrab unter dem Mausoleum befand. »Das ist aber gar nicht so«, erklärt Pawlos. »Wir arbeiten eng mit Archäologen, Historikern und Rabbinern zusammen. Denn wir wollen zwar die Aschegräber genau lokalisieren, aber die Totenruhe nicht mehr als unbedingt notwendig stören.«

Das größte Problem ist die Finanzlage. Seit Jahrzehnten trägt Polen ganz allein die Kosten der heutigen Gedenkstätten. Lediglich im Fall von Auschwitz gibt es eine Stiftung, die alljährlich Restaurierungsarbeiten bezahlt.

finanzen Doch Deutschland, das im Fall von Auschwitz 60 Millionen Euro zusagte, weigert sich bislang, auch für die anderen Gedenkstätten zumindest einen Teil der finanziellen Verantwortung zu übernehmen. Unlängst hatte Cornelia Pieper, FDP-Politikerin und noch Staatsministerin im Auswärtigen Amt, jede Kostenübernahme abgelehnt. In der Fernsehsendung Kontraste sagte sie, dass es nur um Länder gehe, »die davon betroffen waren, die dort auch Inhaftierte hatten. Da war Deutschland nicht dabei«. In Wirklichkeit stammten rund 20.000 der insgesamt 250.000 in Sobibor vergasten Juden aus Deutschland.

Auf einer Konferenz, die dem 70. Jahrestag des Aufstandes vorausging, erklärte der Vertreter der deutschen Botschaft in Polen, die Bundesregierung sei nie offiziell um finanzielle Unterstützung für die Gedenkstätte Sobibor gebeten worden. Polens Vizeminister für Kultur und nationales Erbe, Piotr Zuchowski, bestätigt das, fügt aber hinzu, die polnische Seite habe immer wieder Interesse an einem deutschen Engagement signalisiert.

Die Neugestaltung der Gedenkstätte mitsamt kleinem Museum soll zwölf Millionen Zloty kosten, umgerechnet rund drei Millionen Euro. »Wir erwarten nicht, dass die Deutschen, die immerhin diese Todesfabriken auf dem Boden Polens gebaut haben, alle Kosten für die Gedenkstätten tragen sollen«, sagt Zuchowski, »aber doch einen Teil«. Nun wird er ein offizielles Schreiben nach Berlin senden – »da das unsere deutschen Partner ja so wünschen«.

Österreich

Hitler-Geburtsort Braunau benennt Straßennamen mit NS-Bezug um

Ausgerechnet in Adolf Hitlers Geburtsort gibt es bis dato nach Nationalsozialisten benannte Straßen. Das soll sich ändern - und trifft bei einigen Politikern auf Widerstand

 03.07.2025

Hamburg

Hamas-Anhänger tritt bei staatlich gefördertem Verein auf

Das Bündnis Islamischer Gemeinden in Norddeutschland wird durch das Programm »Demokratie leben« gefördert und lud einen Mann ein, der Sinwar als »Märtyrer« bezeichnet hat

 03.07.2025

«Stimme der verstummten Millionen»

Anita Lasker-Wallfisch blickt ernüchtert auf die Welt

Sie gehörte dem Mädchen-Orchester von Auschwitz an, überlebte das Lager und später das KZ Bergen-Belsen. Am 17. Juli wird die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch 100. Und ist verzweifelt angesichts von Antisemitismus, Rechtsruck und Krieg, sagt ihre Tochter

von Karen Miether  03.07.2025

Janusz-Korczak-Preis

»Eine laute Stimme für Frieden und Gerechtigkeit in dieser Welt«

Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann wurde mit dem Janusz-Korczak-Preis für Menschlichkeit ausgezeichnet. Die Laudatio hielt der Professor für Internationale Politik und Konfliktexperte Carlo Masala. Die Rede im Wortlaut

von Carlo Masala  03.07.2025

Ravensbrück

KZ-Gedenkstätte erhält 207 Interviews mit Überlebenden

Grimme-Preisträgerin Loretta Walz führte über 30 Jahre Gespräche mit den Überlebenden, nun übergab sie den letzten Teil der Sammlung

von Daniel Zander  03.07.2025

Geschichte

Rechts und links: Wie die AfD ein falsches Goebbels-Zitat verbreitet

Ein Faktencheck

 02.07.2025

Reaktionen

Massive Kritik an Urteil über Charlotte Knoblochs Ex-Leibwächter

Der Mann bewachte die Präsidentin der IKG München, obwohl er sich privat judenfeindlich und rassistisch äußerte. Für das Verwaltungsgericht nicht genug, um ihn aus dem Polizeidienst zu entlassen

 02.07.2025

Kommentar

Justiz: Im Zweifel für Antisemitismus?

Ein Verwaltungsgerichtsurteil lässt große Zweifel aufkommen, dass es alle mit der Bekämpfung von Antisemitismus unter Beamten ernst meinen

von Michael Thaidigsmann  02.07.2025

Nach Skandal-Konzert

Keine Bühne bieten: Bob-Vylan-Auftritt in Köln gestrichen

Die Punkband hatte beim Glastonbury-Festival israelischen Soldaten den Tod gewünscht

 02.07.2025