Die Terroristin Beate Zschäpe muss wegen der rassistisch motivierten Anschlagsserie des NSU als Mörderin hinter Gittern bleiben. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe verwarf ihre Revision nach Angaben vom Donnerstag und strich nur eine Einzelstrafe. »Die lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe und die festgestellte besondere Schuldschwere sind hiervon jedoch unberührt geblieben.« Auch die Urteile gegen die NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben und Holger G. seien rechtskräftig. Gegen den Mitangeklagten André E. hingegen wird im Dezember verhandelt. (Az.: 3 StR 441/20)
Damit ist das Kapitel um Zschäpe beendet. Die wichtigste Frage war, ob die obersten Strafrichter Deutschlands der Argumentation des Oberlandesgerichts (OLG) München folgen, das Zschäpe als Mittäterin der Neonazi-Terrorzelle »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) - und damit als Mörderin - verurteilt hatte. Es gibt keinen Beweis, dass sie selbst an einem der Tatorte war.
Die Antwort lautet eindeutig ja: Die Feststellung, Zschäpe habe an der Planung jeder einzelnen Tat mitgewirkt, und die daraus erfolgten Schlussfolgerungen seien »rational nachvollziehbar«, teilte der 3. Strafsenat des BGH mit. Ohne ihre Versprechen, etwa nach dem Tod ihrer beiden Komplizen ein Bekennervideo zu veröffentlichen, hätten die verfolgten Ziele nicht erreicht werden können.
Die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung alleine führe zwar nicht dazu, dass dem einzelnen Mitglied eine Tat zugerechnet werden kann. »Jedoch kann etwa ein weltanschaulich-ideologisches, religiöses oder politisches Ziel der Tatbegehung sowohl den Charakter eines hierauf gerichteten Personenzusammenschlusses bestimmen als auch erhebliche Bedeutung für die Qualifizierung der Tatbeteiligung als Täterschaft anstelle Teilnahme haben«, so der BGH.
Zschäpe hatte fast 14 Jahre mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund gelebt. In dieser Zeit ermordeten die Männer acht türkischstämmige und einen griechischstämmigen Kleinunternehmer sowie eine Polizistin. 2011 nahmen sie sich das Leben, um der drohenden Festnahme zu entgehen. Zschäpe zündete die gemeinsame Wohnung an, verschickte ein Bekennervideo und stellte sich.
Das Mammutverfahren um die Morde und Anschläge der Neonazi-Terrorzelle NSU war am 11. Juli 2018 nach mehr als fünf Jahren und über 400 Verhandlungstagen zu Ende gegangen. Das OLG stellte bei Zschäpe die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen. Das schriftliche Urteil liegt seit Ende April 2020 vor, es ist 3025 Seiten lang.
Ralf Wohlleben wurde als Waffenbeschaffer wegen Beihilfe zum Mord zu zehn Jahren Haft verurteilt, Holger G. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren Haft. Weil die Anwälte keine weiteren Erklärungen zu ihren Revisionen abgegeben hätten, erläuterte der BGH die Gründe für seine Entscheidung hier nicht.
Anders ist der Fall des Mitangeklagten André E. gelagert. Nur bei ihm hatte auch die Bundesanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt. Daher soll nun am 2. Dezember verhandelt werden. »Als Termin zur Verkündung einer Entscheidung ist der 15. Dezember 2021 in Aussicht genommen.«
Das OLG hatte E. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Er habe dem NSU-Trio mehrere Bahncards verschafft, die auf ihn und seine Ehefrau ausgestellt waren - aber mit Fotos von Böhnhardt und Zschäpe versehen waren. Mit dem Urteil blieb das OLG weit unter der Forderung der Anklage, die auf Beihilfe zum versuchten Mord plädiert hatte. E. soll unter anderem auch ein Wohnmobil angemietet haben, mit dem die Täter für einen Bombenanschlag nach Köln fuhren.
Der fünfte Angeklagte, Carsten S., hatte seine Revision zurückgezogen. Er ist seit Mitte 2020 frei, nachdem der Rest seiner dreijährigen Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er hatte gestanden, dem NSU die »Ceska«-Pistole übergeben zu haben, mit der später neun Morde begangen wurden, und war wegen Beihilfe verurteilt worden. Nur in seinem Fall hatte sich der BGH bisher geäußert und im März mitgeteilt, dass S. zu Recht auferlegt worden war, die Kosten des Verfahrens und die Auslagen der Nebenkläger anteilig mitzutragen.
Der NSU, seine blutige Spur und der Prozess
Morde, Sprengstoffanschläge, Raubüberfälle: Die rechtsextreme Terrorgruppe NSU (»Nationalsozialistischer Untergrund«) hat eine blutige Spur der Gewalt durch Deutschland gezogen. Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) wichtige Kapitel beendet:
Januar 1998: Nach einer Razzia in ihrer Bombenwerkstatt in Jena tauchen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe unter.
September 2000: Die Mordserie beginnt: Mundlos und Böhnhardt erschießen den türkischen Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg (Bayern).
Dezember 2000/Januar 2001: Kurz vor Weihnachten deponieren die Täter eine Christstollendose mit einem eingebauten Sprengsatz in einem Lebensmittelgeschäft einer iranischstämmigen Familie in Köln (Nordrhein-Westfalen). Die Tochter öffnet die Dose einige Wochen später, wird schwer verletzt.
Juni 2001: Der Türke Abdurrahim Özüdogru wird in seiner Änderungsschneiderei in Nürnberg erschossen. Sein Landsmann Süleyman Tasköprü stirbt in der Stadt Hamburg.
August 2001: Mord an dem Gemüsehändler Habil Kilic in München (Bayern).
Februar 2004: Im norddeutschen Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) wird der Imbiss-Verkäufer Mehmet Turgut erschossen.
Juni 2004: Eine Nagelbombe explodiert in der Kölner Keupstraße. Mehr als 20 Menschen werden verletzt, einige lebensgefährlich.
Juni 2005: Mord an dem Imbiss-Inhaber Ismail Yasar in Nürnberg.
Wenige Tage später wird der Grieche Theodoros Boulgarides in seinem Münchner Schlüsseldienst erschossen.
April 2006: In Dortmund (Nordrhein-Westfalen) wird der türkischstämmige Kioskbetreiber Mehmet Kubasik erschossen. Zwei Tage später treffen tödliche Schüsse Halit Yozgat in seinem Kasseler Internet-Café (Hessen).
April 2007: Die Täter erschießen in Heilbronn (Baden-Württemberg) die Polizistin Michèle Kiesewetter. Ihr Kollege wird schwer verletzt.
November 2011: Sparkassen-Überfall in Eisenach (Thüringen). Böhnhardt und Mundlos verstecken sich in einem Wohnmobil. Den Ermittlern zufolge erschießen sie sich, als die Polizei sie entdeckt. Zschäpe zündet die gemeinsame Wohnung in Zwickau (Sachsen) an, kurz darauf stellt sie sich in Jena.
Juni 2012: Es wird bekannt, dass beim Verfassungsschutz Akten vernichtet wurden, nachdem die Terrorgruppe aufgeflogen war. Wegen der schweren Ermittlungspannen räumt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, im Juli seinen Posten.
November 2012: Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Zschäpe.
Mai 2013: Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen und von weltweitem Medieninteresse begleitet, beginnt in München der Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Zschäpe und vier Mitangeklagte.
Juli 2018: Der Prozess endet. Zschäpe wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht spricht sie unter anderem des zehnfachen Mordes und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung schuldig. Auch die anderen Angeklagten bekommen mehrjährige Haftstrafen.
April 2020: Das schriftliche Urteil mit 3025 Seiten liegt vor. Die Anwälte können nun darauf reagieren und ihre Revisionen begründen. Der Mitangeklagte Carsten S. hat seine schon zurückgezogen, das Urteil gegen ihn ist somit rechtskräftig.
August 2021: Der Bundesgerichtshof erklärt die Urteile gegen Zschäpe, den Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben und den NSU-Helfer Holger G. für rechtskräftig.