Wenige Monate nach dem Papstbesuch in der römischen Synagoge, der etliche Kontroversen ausgelöst hatte, ist der mühsame jüdisch-katholische Dialog wieder getrübt. Der Dekan des Kardinalskollegiums, Angelo Sodano, hatte die jüngsten Angriffe auf Benedikt XVI. in eine Reihe »mit der Offensive gegen Pius XII. wegen seines Verhaltens während des letzten Weltkriegs« gestellt. Der mit Verve vorgetragene Versuch des früheren vatikanischen Staatssekretärs, den im Zusammenhang mit Missbrauchsvorwürfen in die Kritik geratenen Papst zu verteidigen, sorgte bei Italiens jüdischen Gemeinden zumindest für Irritation.
alarmierend »Ein unangemessener Vergleich«, befand Renzo Gattegna, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinden in Italien. Giuseppe Laras, Ehrenvorsitzender der italienischen Rabbinervereinigung, erklärte, es sei »alarmierend«, wenn die Diskussion um die Rolle von Pius XII. während des Holocaust »mit den Vergehen pädophiler Priester verquickt« werde.
Auch die langjährige Präsidentin des Dachverbandes jüdischer Gemeinden, Tullia Zevi, übte harsche Kritik an Sodano: »Solche Vergleiche sind gefährlich, weil sie auf der Verwechslung völlig unterschiedlicher Ebenen beruhen. Die Pädophilie ist weitgehend eine Folge des Keuschheitsgebots. Der Zölibat verstößt gegen die menschliche Natur. Wann wird die Kirche das endlich begreifen?« Sodanos Entgleisung war kein Einzelfall. Zuvor hatte der päpstliche Hausprediger Raniero Cantalamessa am Karfreitag die Kampagne gegen die Kirche mit Antisemitismus verglichen. Vatikansprecher Federico Lombardi distanzierte sich umgehend von den Äußerungen und bat Juden und Missbrauchsopfer um Entschuldigung. Und Cantalamessa selbst erklärte, es sei nicht seine Absicht gewesen, Gefühle zu verletzen, »ich bedaure das aufrichtig«. Doch die Äußerung eines erfahrenen Predigers wie Cantalamessa bezeugt, wie sehr der mediale Beschuss der vergangenen Wochen die Nerven in der Kirchenführung freigelegt hat. »In dieser schwierigen Phase des Dialogs ist der Verzicht auf alte Vorurteile und unnötige Härte geboten«, fordert Renzo Gattegna. »Ein kontinuierlicher Schlagabtausch zwischen Juden und Katholiken belastet das Klima.«
Freimaurer Doch schon kurze Zeit später sorgte der Altbischof von Grosseto, Giacomo Babini, für einen neuen Eklat: Eine katholische Website zitierte ihn mit den Worten, die aktuelle Kritik sei ein »zionistischer Angriff von Feimaurern und gottesmordenden Juden«. Drei Tage später dementierte der 81-Jährige: »Äußerungen, die ich nie über unsere jüdischen Brüder getätigt habe, wurden mir zugeordnet.« Ein anderer katholischer Bischof, Vincenzo Paglia, hatte sich jedoch zuvor schon von Babini distanziert: Dieser verhalte sich »konträr zur offiziellen Linie und der Mehrheit der katholischen Kirche«.
Nur einen Tag nach Paglia erklärte der Altbischof von Foligno, Arduino Bertoldo, es sei historisch keineswegs falsch, »die Juden als Gottesmörder zu bezeichnen«. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Roms, Riccardo Pacifici, zeigt sich verärgert: »Wir erleben eine lächerliche Abfolge von Erklärungen und Dementis, die nicht mehr tragbar ist. Wir verlieren allmählich die Geduld.« Auch für Renzo Gattegna ist nach dieser »schlimmen antisemitischen Propaganda« das Maß voll: »All diese Entgleisungen widersprechen den Freundschaftsbezeugungen der Kirche gegenüber dem jüdischen Volk.« Die jüdische Historikerin Anna Foa kommentiert die angeblichen Einzelfälle sarkastisch: »Offenbar handelt es sich um eine Epidemie.«
unfähig Während die Proteste der jüdischen Gemeinden der katholischen Tageszeitung Avvenire gerade mal vier Zeilen wert waren, widmeten die meisten italienischen Medien ihnen breiten Raum. Für erregte Diskussionen sorgte ein Kommentar des prominenten jüdischen Intellektuellen Vittorio Dan Segre in Silvio Berlusconis Hausblatt Il Giornale, der erneut auf »Parallelen zwischen den Angriffen auf den Vatikan und der Judenverfolgung« hinwies: »Sie liegen in der Unfähigkeit des Kirchenstaates und des Staates Israel (der irrtümlich oft mit dem Judentum identifiziert wird), einer medialen Delegitimierung zu begegnen.«
Benedikt XVI. fand indes vergangene Woche erneut Worte des Lobes für Pius XII. Gelegenheit dazu bot ein RAI-Fernsehfilm über das Wirken des umstrittenen Papstes. Pius habe »der Kirche den Weg der Wahrheit gewiesen«, erklärte Joseph Ratzinger. Und er habe während des Zweiten Weltkriegs »vielen Verfolgten Rettung gebracht«.