Die Verantwortung für die Sicherheit Israels sei Teil der »deutschen Staatsräson«, lautet die regierungsoffizielle Formel, die deutsche Politiker bei offiziellen Anlässen gerne wiederholen. Doch welche konkreten Konsequenzen hätte diese Floskel im Falle einer für den jüdischen Staat existenzbedrohenden militärischen Konfrontation? Die Frage könnte sich dramatisch zuspitzen, sollte Israel im Alleingang die iranischen Atomanlagen bombardieren und in der Folge Zielscheibe schweren terroristischen Beschusses oder gar direkter iranischer Gegenschläge werden.
Die Vorstellung, Deutschland würde Israel im Ernstfall mit Truppen zu Hilfe eilen, darf man ins Reich der Träume verweisen. Es besteht einstweilen aber auch kein Anlass, sich ein solches Szenario auszumalen. Dass Israel noch dieses Jahr den Iran angreift, ist eher unwahrscheinlich. Und dafür, dass es sich auf absehbare Zeit alleine verteidigen kann, sorgt in erster Linie das enge Bündnis mit den USA, deren Militärhilfe sich in den Jahren der Präsidentschaft Barack Obamas keineswegs verringert, sondern sogar deutlich verstärkt hat.
U-Boot Doch auch Deutschland hat keinen geringen Anteil an Israels militärischer Schlagkraft. Schon im Sechstagekrieg 1967 halfen nicht zuletzt aus deutschen Wiedergutmachungszahlungen finanzierte Waffen den Israelis zum Sieg. Heute sichert die Lieferung modernster deutscher U-Boote Israel die nukleare Zweitschlagkapazität, die potenziellen nuklearen Aggressoren klarmacht, dass ein Angriff auf den jüdischen Staat mit Sicherheit die eigene atomare Vernichtung nach sich ziehen würde.
Doch international verschärft sich die Tendenz zur Delegitimierung des jüdischen Staates, und trotz fortgesetzter Bekenntnisse zur »besonderen historischen Verantwortung« Deutschlands für Israel wächst auch hierzulande die Neigung zur Anpassung an diesen Trend. Das jüngste Indiz dafür lieferte kürzlich SPD-Chef Sigmar Gabriel, als er die israelische Besatzung in Hebron als »Apartheid-Regime« bezeichnete und sich damit die Terminologie des internationalen »Antizionismus« zu eigen machte – nicht ohne freilich zu betonen, er sage dies als »Freund Israels«.
Solche »Freunde«, die wie die ärgsten Feinde des jüdischen Staates reden (oder zumindest denken), werden bis hinein ins deutsche politische Establishment zahlreicher. Die Äußerung des Vorsitzenden der deutschen Sozialdemokratie, die immerhin auf eine große Tradition solidarischer Bindungen zu Israel zurückblicken kann, rief jedenfalls kaum noch öffentliche Entrüstung hervor.
Kalter Krieg Deutschlands Politik gegenüber Israel war, jenseits pathetischer historischer Reuebekenntnisse, jahrzehntelang durch zwei interessengeleitete Faktoren bestimmt: Die Unterstützung für den Staat, in dem die Überlebenden der NS-Judenvernichtung eine Heimstatt gefunden hatten, diente als moralischer Eignungsnachweis für die Rückkehr der Deutschen in den Kreis zivilisierter Nationen, namentlich für ihre Aufnahme in den Westen. Und im Kalten Krieg fungierte Israel als nahöstliche Bastion im Kampf gegen die sowjetische Bedrohung.
Der Kalte Krieg ist Geschichte, und Belege für sein historisches Schuldbewusstsein hat das weltweit als demokratische Musternation angesehene und als europäische Führungsmacht geforderte Deutschland immer weniger nötig. Als tragende Säule deutsch-israelischer Sonderbeziehungen wird die Holocaust-Erinnerung so unweigerlich schwächer.
Längst wird das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels von deutschen Politikern nur noch in einem Atemzug mit dem zu einem Palästinenserstaat abgegeben, und das Interesse verlagert sich darauf, sich mit den neuen islamischen Machthabern in postrevolutionären arabischen Staaten gut zu stellen.
Konfrontation Noch fungiert Deutschland innerhalb der EU als profilierter Fürsprecher Israels, der den jüdischen Staat trotz Kritik vor allem an seiner Siedlungspolitik auf UN-Ebene weitgehend deckt. Der Konflikt mit dem Iran könnte diese Linie jedoch infrage stellen. Während Mahmud Ahmadinedschad im ZDF-Interview den Holocaust eine »Lüge« und Israel einen »künstlichen Staat« nennt, will die deutsche Regierung im EU-Verbund einmal mehr mit dem Iran verhandeln – und die Gespräche auch ohne Erfolgsaussicht so weit wie möglich in die Länge ziehen, um nur ja eine militärische Konfrontation zu verhindern.
Die Angst vor der iranischen Bombe wird von dem Zorn auf ein »aggressives« Israel überlagert, das einen »Flächenbrand« im Nahen Osten auslösen könne. Eine deutsche Entsolidarisierung mit dem jüdischen Staat unter Maßgabe der »Friedenssicherung« um jeden Preis scheint so nicht mehr ausgeschlossen. Gabriel, der denkbare nächste Bundeskanzler, macht vor, wie man einen solchen Kurswechsel verkaufen würde: als Freundschaftsdienst, um Israel vor sich selbst und seinem vermeintlichen Hang zur Selbstzerstörung zu schützen.
Der Autor ist Politischer Korrespondent der »Welt« und der »Welt am Sonntag«.